Die dunkle Nacht des Glaubens:Gnade und Aufgabe

14. August 2023 | von

Der emeritierte Bamberger Erzbischof ist dem heiligenP. Maximilian M. Kolbe eng verbunden – nicht zuletzt durch seinen Vorsitz im Stiftungsrat der Maximilian-Kolbe-Stiftung. Seine Spiritualität für heute fruchtbar zu machen, ist eines seiner großen Anliegen. Hier tut er es für die Leserinnen und Leser des Sendboten.

Maximilian Kolbe – ohne Glaubenszweifel, ohne Verunsicherungen, auch in allen Schwierigkeiten und Rückschlägen immer sicher und fest, Schritt für Schritt voran auf dem Weg zum Ziel der Heiligkeit und des Martyriums. So stellen sich die meisten Verehrer den heiligen Maximilian Kolbe vor; so bleibt er ihnen aber auch zugleich unerreichbar fremd!

Seit seiner Vision der zwei Kronen – der weißen, die für Keuschheit und Heiligkeit steht, und der roten, die auf das Martyrium aus Gottes- und Nächstenliebe hinweist – strebte er mit Entschiedenheit und Eifer, sogar mit Rigorismus und Härte gegen sich selbst, beide Ziele an und erreichte sie.

Einer seiner Biographen schreibt: „Selbst in den dunklen Tagen seines Lebens wird er von einem beispiellosen Optimismus getragen. Er ist der allzeit zuversichtliche Christ, der sicher weiß, dass er auf dem Weg zu seinem Ziel ist, an jedem Tag, zu jeder Stunde, und dieses Ziel vor Augen, lässt er sich durch keine Unbill beirren.“ (Paul Löcher in: „Maximilian Kolbe. Jedem ist der Weg gewiesen. Texte eines Märtyrers“, Schwabenverlag, Ostfildern 1977, Seite 12) Aber das ist nur die halbe Wahrheit!

Nacht des Glaubens

Auch Maximilian Kolbe kennt bei sich und bei anderen die „Nacht des Glaubens“. Er schreibt zum Beispiel: „Du spürst, dass dein Herz kalt wird wie ein Eisberg, der die edlen Gefühle des Gottvertrauens, der Gottes- und Nächstenliebe in dir erstarren lässt. Du spürst den Frostmantel, der sich jetzt um deine Seele gelegt hat. Vergebens suchst du nach dem, was einst deine Seele so mild und gut machte: die kleinen Blüten der täglichen Tugenden, die kleinen Abtötungen, die du aus Liebe zu Gott dir auferlegtest und die deiner Seele doch so viel Glück schenkten. Sie sind fort. Und die edlen Gedanken, von denen du glaubtest, sie seien so fest in dir verankert und so unerschütterlich, sie sind weg, sind eingefroren. Und jetzt streckst du deine Hand aus um Hilfe, um Liebe, um Stärkung, und die Vergnügungen, die dir die Welt bietet, sind so kalt, denn es mangelt ihnen ja die wahre Liebe; sie sind so finster, denn sie heißen dich die Augen schließen, damit du ja nicht vorwärtsschauest – bis hinter dein Grab!“ (in: „Maximilian Kolbe. Jedem ist der Weg gewiesen. Texte eines Märtyrers“, Seite 103) Auch Maximilian Kolbe kennt die „Nacht des Glaubens“, wie sie die heilige Theresia von Lisieux in ihrer Autobiographie beschreibt. Auch er hat die „Nacht der Seele“ durchlitten, wie sie Johannes vom Kreuz erfuhr und benannte.

Heiligkeit als Zielpunkt

Das Wissen, dass auch der heilige Maximilian Kolbe die Nacht des Glaubens und der Seele erlebt hat, kann uns ihm näherbringen und uns Mut machen, die Heiligkeit anzustreben, die jedem Christen angeboten und aufgetragen ist. So heißt es im ersten Petrusbrief: „Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch eure ganze Lebensführung heilig sein. Denn es steht geschrieben: Seid heilig, weil ich heilig bin!“ (1 Petr 1,15-16).

Die Heiligkeit ist immer das „Endprodukt des Lebens“ eines jeden Menschen; sie ist Gabe und Aufgabe; sie ist auch für jeden Menschen verschieden; sie besteht darin, mit meinen natürlichen Begabungen und meinen übernatürlichen Charismen Jesus Christus in meinem Leben und Wirken nachzufolgen und ihn nachzuahmen im Alltag, das ganze Leben lang. Heiligkeit ist jeder und jedem möglich; sie macht frei und glücklich. Sie ist Weg und Ziel, sie ist Berufung und Antwort, Überzeugung und Praxis. Dabei erlebt jede und jeder auch Höhen und Tiefen, Tag und Nacht, Hochzeiten und Tiefpunkte, Sicherheit und Zweifel. Das ist auch bei Maximilian Kolbe festzustellen und für seine Verehrung wichtig; so kann er besser Vorbild und Patron für uns auf dem Weg der Heiligkeit sein.

Göttliche Pädagogik

„Die dunkle Nacht des Glaubens oder der Seele“ will uns – wie ihm und allen Heiligen – helfen, in der Liebe zu Gott und zum Nächsten zu reifen. Sie kann die Wurzeln unseres Glaubens und christlichen Lebens, auch unseres christlichen Engagements und unserer Nächstenliebe vertiefen, damit wir in den Stürmen des Lebens Bestand haben und nicht entwurzelt werden. Die dunkle Nacht des Glaubens oder der Seele gehören zur Pädagogik Gottes mit uns Menschen dazu. Das war auch bei Maximilian Kolbe so!

Der Weg der Heiligkeit will uns vor allem von der Enge des Herzens und von dem kalten Herz, von dem Maximilian Kolbe spricht, befreien.

Hin zur Herzensweite

Aus der Biographie Maximilian Kolbes wissen wir, dass er als junger Franziskaner-Minorit und auch am Anfang seines Priestertums eng war. So lehnte er – auch schroff – alle ab, die ungläubig waren, besonders die, die dem Freimaurertum angehörten, das zu seiner Zeit weit verbreitet war. Er war auch antijüdisch (nicht antisemitisch) eingestellt, weil er die Juden als Kontrahenten der Christen sah und als Christusmörder betrachtete; mit ihnen wollte er nichts zu tun haben. Das war eine verkehrte/engherzige Einstellung und entspricht nicht der Weisung Jesu: „Liebe deinen (jeden) Nächsten wie dich selbst“ (Lk 10,27). Im Laufe seines Lebens, durch Studium und viele persönliche Erfahrungen in Rom und in Polen, dann in Japan und auf vielen Reisen wurde sein Herz immer weiter und warm für alle Menschen. Immer mehr betrachtete er alle Menschen als geliebte Kinder Gottes und Schwestern und Brüder Jesu Christi. So konnte er 1940/41 in Niepokalanów auch Juden vor den Nazis verstecken. In dieser Weite des Herzens gab er 1941 im Hungerbunker von Auschwitz freiwillig sein Leben hin für einen fremden Mitgefangenen.

Inspiration für unseren Weg

Maximilian Kolbe kann uns Folgendes lehren:

Christsein, christliche Vollkommenheit und Heiligkeit bestehen in einem weiten und warmen Herzen für alle Menschen nah und fern.

Wenn das Herz weit wird für die Mitmenschen und alle ihre Situationen und sich erwärmen kann, besonders für die Leidenden und Bedürftigen, Ausgegrenzten und Armen, dann sind wir auf dem Weg der Heiligkeit. Der „barmherzige Samariter“ (Lk 10,25-37) und Matthäus 25 sind die entscheidenden Regeln für die Heiligkeit.

Das Rezept, auf dem Weg der „keuschen Heiligkeit und des Martyriums“ für das Evangelium Jesu Christi der Gottes- und Nächstenliebe zu bleiben und nicht zu resignieren, ist für Maximilian Kolbe Gebet und Arbeit, geistliche Lesung und Gespräche, Buße und Abtötung.

Alle unsere Bemühungen im Gebet, im Gottesdienst, im Verzicht, auch in Buße und Abtötung müssen der Weite des Herzens und der Wärme des Herzens dienen, die die Beweise der Heiligkeit sind.

Wenn wir den heiligen Maximilian Kolbe so sehen, kann er uns inspirieren für unseren Weg der Heiligkeit. Er ist nicht von Glaubenszweifeln und Resignation, von den Versuchungen des Aufgebens und des Aufhörens verschont geblieben. Auch er hat die Nacht des Glaubens oder der Seele gespürt und erlitten. Er ist dadurch gewachsen und reifer im Glauben und christlichen Leben geworden.

Maria als Weggefährtin

Auf dem Weg der Heiligkeit ist Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, treue Weggefährtin. Im Blick auf die Gottesmutter ist Maximilian Kolbe auf dem Weg der Heiligkeit geblieben, auf dem sein Herz weit und warm wurde. Der Märtyrer der Nächstenliebe will auch uns inspirieren, mit Maria zu Jesus Christus zu gelangen, ihm nachzufolgen und ihn nachzuahmen in der Liebe zu Gott und im Dienst an den Mitmenschen sowie der ganzen Schöpfung.

Zuletzt aktualisiert: 14. August 2023
Kommentar