Die Gendarmen des Papstes

24. Februar 2012 | von

Sie bewachen den Sohn eines Gendarmen. Freundlich, aber bestimmt treten sie dabei auf. Als begehrte Objekte für Touristenfotos stehen sie ein wenig im Schatten der Schweizer Gardisten, waren aber bereits ein halbes Jahrhundert vor ihnen aufgestellt, als schlagkräftige Polizeitruppe. Der Autor, ein ausgewiesener Kenner der vatikanisch-römischen Welt, präsentiert hier das Gendarmeriekorps der Vatikanstadt und beruhigt hinsichtlich der Sicherheit des Heiligen Vaters.



Millionen von Menschen zieht es Jahr für Jahr in die Ewige Stadt. Wenn sich Touristen und Pilger auf den Petersplatz begeben und damit den Vatikan betreten, wissen viele nicht, dass sie italienisches Hoheitsgebiet verlassen haben und sich nun in einem eigenständigen Land, dem souveränen „Staat der Vatikanstadt“, befinden. Ebenso sind sie zumeist nicht darüber informiert, dass der kleinste Staat der Erde neben der weltberühmten Päpstlichen Schweizergarde auch über eine eigene Polizei verfügt, über das „Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano“ (Gen­darmeriekorps des Staates der Vatikan­stadt).

Was ihren geschichtlichen Hintergrund betrifft, braucht sich die Gendarmerie vor der Päpstlichen Schweizergarde nicht zu verstecken. Schließlich liegen die Ursprünge des Korps sogar mehr als ein halbes Jahr­hundert vor dem Grün­dungs­jahr der helvetischen Leibwache. Denn schon im Mittelalter gab es in Rom eine eigene schlagkräftige Po­lizeitruppe. Unter Papst Eugen IV. (1431-1447) sorgte ein „Soldanus“ (das lateinische Wort für Sultan) mit einer unbekannten Zahl bewaffneter Männer für Gesetz und Recht in Rom. Diese frühen Polizisten wurden von der Bevölkerung als „sbirri“ tituliert – Wörterbücher geben als Übersetzung die Bezeichnung „Häscher“ an. In der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in der Ewigen Stadt zeitweise an die zweihundert Sbirren, die unter dem Kommando eines Hauptmanns, des „Barigèllo“ (Hauptmann), standen.





KAMPF GEGEN BANDITEN

Reichten unter dem gestrengen Sixtus V. (1585-1590), einem Papst aus dem Minoritenorden, der mit eiserner Hand dem Banditentum in seinem Herrschaftsgebiet den Garaus gemachte hatte, sechzig Sbirren zum Schutze Roms und weniger als hundert für den Kirchenstaat, so musste schon sein Nachfolger Gregor XIV. (1590-1591) die Zahl der Sbirren wieder beträchtlich erhöhen. Die Sbirren standen für hohe Effizienz. Ihr Vorgehen zeichnete sich durch Härte und Entschiedenheit aus. Aufgrund eines aus­geklügelten Informationswesens verstan­den sie es, viele verbrecherische Vorhaben im Keim zu ersticken. Nach der Französi­schen Revolution wurden sie verstärkt zur Bekämpfung revolutionärer und anarchi­scher Bewegungen im päpstlichen Herr­schaftsgebiet eingesetzt. Giacomo Puccini (1858-1924) setzte den Sbirren in seiner Oper „Tosca“ ein Denk­mal – ein jedoch wenig schmeichelhaftes. Baron Scarpia und seine Mannen werden dem Publikum als gewissenlose Büttel einer absoluten Monarchie präsentiert. Puccinis negative Darstellung der päpstlichen Poli­zei erklärt sich aus der Bewunderung des Komponisten für das Risorgimento, die italienische Einheitsbewegung, die 1870 mit dem Ende des alten Kirchenstaates zu ihrem Ziel kam.



CARABINIERI PONTIFICI

Als eigentliches Gründungsdatum der Päpstlichen Gendarmerie gilt der 14. Juli 1816. Damals wurde sie unter dem Namen „Carabinieri Pontifici“ aus der Taufe ge­hoben. Fußabteilungen und Reiterschwadronen taten Dienst in Rom und allen Provinzen des Kirchen­staates. Die Polizisten des Papstes hatten den Auftrag, die Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung in allen Provinzen des Kirchenstaates zu gewährleisten und die Grenzen des päpstlichen Territoriums zu schützen. Hohen ausländischen Würdenträgern und Staatsgästen wurde bei der Durchreise des Kirchenstaates eine Ehren- und Sicherheitseskorte der Gendarmerie gestellt. Eine der wichtigsten Verpflichtungen der Gen­darmerie blieb der Kampf gegen das „Bri­gantaggio“ (Räuberunwesen), in dem sie sich bravourös und unter großen Op­fern bewährte. Als Erfolg konnte sie unter anderem die Ergreifung des legendären Bri­ganten Antonio Gasparone verbu­chen.



UNTER GELBWEISSER FLAGGE

Aufgrund ihres halbmilitärischen Charak­ters war die Gendarmerie auch in die Ver­teidigung des Kir­chen­staates eingebunden. Als der Papst im September 1870 Rom und den Kirchenstaat an das König­reich Italien abtreten musste, behielt er weniger als hundert Gendarmen in seinem Dienst – nunmehr nur zu seinem Schutz und dem des Vati­kans. Als sich der Heilige Stuhl 1929 mit Italien versöhnte und der souveräne Vatikan­staat entstand, wurde auch der Sollbestand der Gendarmerie wieder erhöht; gut hundertfünfzig Gendarmen sorgten unter der gelbweißen Flagge des Papstes für Sicherheit und Ordnung. Am 14. September 1970 „rüstete“ Paul VI. in seinem weltlichen Herrschaftsgebiet ab.



NOBELGARDE UND BÜRGERMILIZ

Bis da­hin stellte die Gendar­me­rie gemeinsam mit der siebzigköpfigen, aus Aristokraten be­stehenden Nobelgarde, der Palatingarde, einer 500 Mann starken Bürgermiliz, und der altehrwürdigen Schweizergarde die „Armee“ des Vatikan­staates. Bei zahlrei­chen Feierlichkeiten sorgte ein Großauf­gebot des päpstlichen Militärs für ein far­benprächtiges Schau­spiel. Kaum ein Auf­tritt des Papstes ge­schah ohne seine Sol­daten. Paul VI. entschied sich – nicht zuletzt unter dem Eindruck des II. Vatikanischen Kon­zils – zu einer einschneidenden Reform. Das Korps der Schweizer behielt er bei, Nobel­garde und Palatingarde wurden auf­gelöst und die Um­wandlung der Gen­dar­merie in eine zivile Polizeieinheit an­ge­ordnet.



STAATS-, JUSTIZ- UND VERKEHRSPOLIZEI

Es entstand das „Ufficio Centrale di Vigi­lanza“ als Polizeibehörde der Regierung des Staates der Vatikan­stadt. Das neue Wachkorps er­hielt für das Territorium der Vati­kan­stadt und die exterritorialen Besit­zun­gen des Heili­gen Stuhles die Funktionen ei­ner Staats-, Justiz- und Verkehrspolizei. Ferner hatten Angehörige des Korps den Papst auf seinen Auslandsreisen und bei den Pastoralbesuchen in der Ewigen Stadt zu begleiten. Die 130 „Vi­gili“ (Wachmänner) wurden ei­nem Generalinspektor unterstellt. Am 1. Februar 2002 benannte man die „Vigilanza“ in „Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano“ (Gen­darmeriekorps des Staates der Vatikan­stadt) um. Als Begründung hieß es, dass in der Benennung des Korps des­sen „Natur und hoheitliche Aufgaben“ deutlich zum Ausdruck kommen müssen.



FREUNDLICH MIT DURCHSETZUNGSKRAFT

Ihren Ruf, „unerbittliche“ Ordnungshüter zu sein, haben die Gendarmen aus den vergangenen Jahrhunderten in die heutige Zeit hinübergerettet. „Wir stehen nicht so sehr im Fokus der Fernsehkameras und der Gläubigen wie die Päpstliche Schwei­zer­garde. Die Garde hat, so wollen es auch die zu­ständigen Autoritäten, ein Sympa­thie­träger des Vatikans zu sein. Freund­lichkeit ist auch für uns Verpflichtung und Tu­gend, aber an erster Stelle steht die Er­fül­lung unserer Aufgaben, die nicht immer sehr populär sind, aber getan wer­den müssen“, heißt es bei der Gendarme­rie. Vor allem beim Schutz des Heiligen Vaters verweigert man sich nicht der notwendigen Durchsetzungskraft. „Wir haben Verständnis für den Enthusiasmus der Gläubigen“, heißt es aus den Kreisen der Gendarmerie, „aber wir müssen Grenzen setzen, wenn es um die Sicherheit des Heiligen Vaters geht.“ So fand sich vor einigen Jahren ein Prälat, der den Ärmel des Papstes nicht loslassen wollte, unversehens auf dem Boden wie­der!



PRÄLATEN UND TEMPOLIMIT

Bei der Verkehrsüberwachung im Vatikan erweisen sich die Gendarmen als unbestechlich. Violett gesäumte Soutanen und Ordensgewänder beeindrucken bei Verstößen nicht im Geringsten. „Rang oder Stand sind kein Freibrief“, kommen­tiert ein Gendarm. Die vatikanischen Ord­nungshüter sorgen dafür, dass auch Präla­ten und ehrwürdige Schwestern das im Kirchenstaat seit dem 1. September 1970 geltende Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde beach­ten und kein Bischof mit einem leicht ramponierten Fiat den Zugang zum vati­kanischen Supermarkt ver­sperrt. 2002 wurde den Gendarmen des Papstes eine weitere, äußerst unpopuläre Aufgabe übertragen. An diesem Tag erließ die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt ein Gesetz, mit dem im Vatikan ein umfassendes Rauchverbot in Kraft trat. Die Gendarmerie wurde an­gewie­sen, die Einhaltung des Verbotes zu über­wachen. Die Übertretung des Gesetzes soll in der Regel mit 30 Euro geahndet werden. Die „multa“ (Geldstrafe) muss innerhalb von fünf Tagen in einem der Wachbüros der Gendarmerie beglichen werden. Säu­migen „Tätern“ und solchen, die sich wei­gern, die Geldstrafe zu ent­richten, droht die Vorladung vor das Gericht des Stadtstaates.



HOCHMODERNE ÜBERWACHUNGSANLAGE

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben auch im Vatikan zu neuen Sicher­heitskonzepten geführt, so zu einer „Unità Antisabotaggio“ (Antiterroreinheit) und einem „Intervento Rapido“ (Schnelle Eingreiftruppe). Das Quartier der Vatikanpolizei beim Sankt-Anna-Tor birgt nun eine hochmoderne Überwachungszentrale. Auf über fünfzig Monitoren können die Be­amten fast jeden Winkel des Kirchen­staa­tes beobachten; Videokameras erfas­sen alle Personen, die den Vatikan­staat betre­ten oder verlassen. Die Anlage ist fä­hig, Verdächtige in Echtzeit zu scannen und von ihnen umgehend digitale Bilder anzufertigen. Die vatikani­schen Ord­nungshüter wurden zudem mit einem der modernsten tragbaren digitalen Kom­muni­kationssysteme ausgestattet. Um sich ge­gen den internationalen Terroris­mus zu schützen, gab der Vatikan bekannt, sich dem „Schengen-Abkommen“ an­zuschließen, das nicht nur die Grenzkontrollpraxis regelt, sondern auch einen in­tensiveren Informations- und Planungsaustausch über polizeiliche Erkenntnisse und Personenschutz behandelt. Dr. Domenico

Gianni, der Generalinspektor des Gendarmeriekorps, wurde mit dem neugeschaffenen Amt des Direktors für die Sicherheitsdienste und den Zivilschutz im Vatikan betraut.



MITGLIED VON INTERPOL

Die 77. Generalversammlung von Interpol, die vom 7. bis zum 10. Oktober 2008 in St. Petersburg (Russland) tagte, hatte mit einer kleinen Sensation begonnen. Dem Ansuchen des vatikanischen Gendarmeriekorps um Aufnahme in die weltweit agierende Polizeiorganisation war einstimmig entsprochen worden – ein bisher einmaliges Abstimmungsergebnis in der Geschichte der Organisation. Der Vatikan war damit der 187. Staat, der Interpol beitrat. Dass der 40 Hektar große Vatikanstaat mit seinem Gendarmeriekorps über eine professionelle, international geschätzte Polizei verfügt, hatte wenige Wochen zuvor Robert S. Mueller, der Direktor der US-amerikanischen Bundespolizei F.B.I., bei einem Besuch im Vatikan verlauten lassen. Dass man das Wohlwollen des Papstes be­sitzt, dessen ist man sich bei der vatikani­schen Gendarmerie sicher. Der Heilige Vater, selbst Sohn eines Gendarmen, hatte am Silvestertag 2005 das Korps in Au­dienz empfangen und den Ordnungshütern für das gedankt, „was ihr zusammen mit der Schweizergarde jeden Tag voll Hoch­herzigkeit und Treue tut, um dem Papst und seinen Mitarbeitern zu dienen, um Frieden und Ordnung in der Vatikanstadt zu gewährleisten und die Pilger zu emp­fangen, die die Gräber der Apostel besu­chen oder dem Nachfolger Petri begegnen wollen ... Ihr leistet eine schwierige und höchst notwendige Arbeit, die Hingabe, Umsicht und große Hilfsbereitschaft er­fordert“.



SCHWEIZERGARDE UND GENDARMERIE

Das notwendige Zusammenspiel von Schweizergarde und Gendarmerie ließ in der Vergangen­heit zu wünschen übrig. Das Verhältnis zueinander ist auch in un­seren Tagen nicht ganz ungetrübt. Gründe dafür sind in der Geschichte zu finden oder erklären sich durch Kompetenzstrei­tigkeiten. Nicht ver­gessen darf man, dass beide Korps ver­schiedene „Dienstherren“ haben: Die Päpstliche Schweizergarde ist eine Institu­tion des Heiligen Stuhles und vom Staatssekretariat abhängig, das Gen­darmerie­korps ist eine Einrichtung des Vatikanstaates und untersteht der Päpstli­chen Kommission für den Staat der Vati­kan­stadt. Im Wissen um die gemeinsame Verantwortung für den Schutz des Heiligen Vaters und des Vatikans bemühen sich heute Schweizergarde und Gendarmerie um eine konstruktive Zusammenarbeit. Auch im kleinen weltlichen Herrschaftsgebiet des Papstes weiß man, dass die Sicherheitslage in aller Welt immer unsicherer zu werden scheint, dass mit Attentaten und Terroranschlägen gerechnet werden muss. „Sicherheit kann man nur im Verbund, im Team generieren“, bekräftigt Oberst Daniel Rolf Anrig, der Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016