Die Osterkerze

16. März 2006 | von

Sie erleuchtet die Nacht aller Nächte. Ihr wird das jauchzende Exultet gesungen, in der herrlichsten Melodie, welche die lateinische Kirche überhaupt kennt. Fünfzig Tage lang, bis Pfingsten, steht sie geschmückt an einem hervorgehobenen Platz. Bei jeder Begräbnismesse unterstützt sie unseren Glauben an die Auferstehung.

Kerzen aus Wachs wurden bereits zu Zeiten Kaiser Konstantins (312-337) bei der Feier der Osternacht verwendet. Doch eine eigene Osterkerze, besonders groß und dick, ist erstmals für das Jahr 384 in der italienischen Stadt Piacenza bezeugt. Und wenig später hat jede Kathedrale ihren fest installierten Osterleuchter; die prächtigsten finden sich in Süditalien.

Karsamstag früh. Einige Leserinnen und Leser werden sich noch erinnern, dass bis zum Jahr 1951 die österliche Liturgie der Auferstehung  in lateinischer Sprache gefeiert wurde: die vielen langen Lesungen, das Entzünden des Osterfeuers, die Weihe der Osterkerze und des Taufwassers, die Erneuerung des Taufversprechens.
Mit der Restaurierung der Liturgie in den Jahren 1951-56 durch Papst Pius XII. wurde die Osternacht wieder zur Herzmitte des gesamten Kirchenjahres. Der Priester oder Diakon entzündete die Osterkerze jetzt am nächtlichen Osterfeuer vor der Kirche und trug sie mit dem dreimaligen Ruf Lumen Christi – Licht Christi in die Kirche. Pius XII. führte auch den altchristlichen Brauch aus Jerusalem wieder ein, dass die mitfeiernden Gläubigen ihre Kerzen am Licht der großen Osterkerze entzünden. Und bis zum Gloria der Messfeier wird die dunkle Kirche möglichst nur durch Kerzenlicht erleuchtet.
Sobald die Osterkerze auf dem festlich geschmückten Osterleuchter Platz gefunden hat, wird sie inzensiert, also durch Weihrauch geehrt. Der Diakon beginnt mit dem Exultet, dem Osterlob: „Frohlocket, ihr Chöre der Engel. Frohlocket, ihr himmlischen Scharen. Lasset die Posaune erschallen. Preiset den Sieger, den erhabenen König!“ Die Melodie des Exultet gilt als die herrlichste der lateinischen Kirche.
Drei Symbole trägt die kunstvoll gestaltete Osterkerze seit dem Mittelalter. Auf sie verweisen die deutenden Gebete, die am Osterfeuer vor dem Entzünden gesprochen werden.

Symbole. A und Ω, Alpha und Omega, der erste und der letze Buchstabe des griechischen Alphabets, sind in die Kerze eingeritzt oder als Verzierung aufgetragen. Aus zwei Liedern sind uns diese Buchstaben geläufig. Die siebte Strophe des Liedes „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (Gotteslob Nr. 554) beginnt mit: „Wie bin ich doch von Herzen froh, dass mein nun ist das A und O, der Anfang und das Ende.“ Und die erste Strophe des weihnachtlichen „In dulci jubilo“ (Gotteslob Nr. 142) endet mit den lateinischen Worten: „Alpha es et O“ [Du bist das Alpha und das Omega].
Die Symbole Alpha und Omega auf der Osterkerze beziehen sich auf Jesus Christus selber. Am deutlichsten wird dies in der Selbstaussage des erhöhten Herrn in der Offenbarung des Johannes 22,13: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (vgl. auch Offb 1,7.8; 21,6). Bereits im frühen Mittelalter gibt es den Brauch, auf die Osterkerze ein Kreuz einzuritzen samt den Buchstaben
A und Ω, erstmals im 7. Jahrhundert in Spanien. Das deutende Gebet heute: „Christus, gestern und heute, Anfang und Ende, Alpha und Omega.“
Dann wird die jeweilige Jahreszahl eingeritzt. Der Priester spricht dabei: „Sein ist die Zeit und die Ewigkeit. Sein ist die Macht und die Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.“
Jesu fünf Wunden werden symbolisiert durch die fünf großen Weihrauchkörner an der Osterkerze, meist in auffälligem Rot. So legt es das deutende Gebet nahe: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit, behüte uns und bewahre uns Christus, der Herr. Amen.“ Es ist sicher eine Ermunterung für unseren Osterglauben, durch diese fünf Weihrauchkörner an die verklärten Wunden Jesu erinnert zu werden: Durch ihn, den verwundeten Arzt, werden wir geheilt.
Doch historisch gesehen hat sich dieser schöne Brauch aus einem Missverständnis heraus entwickelt. Die nicht mehr ganz so jungen Leserinnen und Leser, die noch die Osterliturgie am Karsamstagmorgen vor dem Jahr 1951 miterlebt haben, erinnern sich: Der Priester oder Diakon unterbrach den Gesang des Exultet an einer bestimmten Stelle, um die fünf Weihrauchkörner in die Osterkerze einzufügen, und zwar bei folgendem Satz: „Suscipe, sancte Pater, incensi huius sacrificium vespertinum!“

Ein wenig Latein. Um diesen lateinischen Satz richtig zu verstehen, darf man nicht nur oberflächlich im Wörterbuch nachschlagen. Das Substantiv incensum bedeutet zwar Weihrauch (das Beweihräuchern nennen wir auch Inzensieren). Übersetzen könnte man also: Nimm an, heiliger Vater, das Abendopfer dieses Weihrauchs. Jedoch vom Verbum incendere [anzünden] lautet das Partizip incensus [angezündet]. Demnach ist unser Satz aus dem Exultet korrekt so zu übersetzen: Nimm an, heiliger Vater, das abendliche Opfer dieser entzündeten (Osterkerze).
Ostervigil und Schlaf passen nicht zusammen. Vigilare heißt wach bleiben. Die liturgische Anweisung sagt: Die Feier soll nicht vor Einbruch der Dunkelheit beginnen und nicht nach der Morgendämmerung des Ostersonntags enden. Einmal habe ich in Bonn erlebt, wie die Abendsonne auf das Osterfeuer schien. Meist wünschen die Gemeinden für die Feier der Osternacht einen bequemen Termin, der etwa einer Sonntagvor-abendmesse entspricht.

Wach bleiben! Bis ins späte Mittelalter hinein blieb jeder Christ die gesamte Osternacht hindurch hellwach: Er wollte bereit sein, dem Bräutigam Christus, wenn er kommt, mit brennenden Lichtern entgegenzugehen. Die alte Kirche glaubte daran, der Herr werde in einer Osternacht wiederkehren, das Weltende werde um Mitternacht eintreffen. Entsprechend intensiv verliefen die Vorbereitungen in der österlichen Bußzeit, entsprechend ernst genommen wurde der Empfang der Ostersakramente. Und in heiliger Freude und voller Jubel feierte die Christengemeinde dann nach Mitternacht die österliche Eucharistie. Das Fastenbrechen erfolgte im eucharistischen Mahl. Der Herr kam noch nicht in seiner Glorie, aber doch im Mysterium des Sakramentes, wahrhaft und wirklich. Halleluja!

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016