Die Palmzweige des Papstes

24. März 2011 | von

Es war ein Papst aus dem Minoritenorden, Sixtus V., der den Obelisken aus dem ehemaligen Circus des Nero an seine heutige Stelle auf dem Petersplatz versetzen ließ. Damals im Jahr 1586 verhinderte ein beherzter Seemann aus Bordighera bei San Remo ein Unglück. Seine Familie, die Bresca, sind bis heute Päpstliche Hoflieferanten für die Palmzweige des Vatikans zu Beginn der Karwoche.



Im September des Jahres 1586 erlebten die Bewohner Roms ein Schauspiel von unglaublicher Dramatik: die Aufstellung eines Obelisken auf dem Petersplatz. Der fünfundzwanzig Meter hohe und fast vierhundert Tonnen schwere Steinkoloss war auf Anweisung Papst Sixtus’ V. von seiner ursprünglichen Stelle neben der Sakristei von St. Peter – dort, wo in der Antike der Circus des Nero lag – durch den Architekten Fontana auf den Petersplatz überführt worden. „Pyramis Beati Petri – Pyramide des seligen Petrus“ nannten die Römer das Monument, das Zeuge des Martyriums des ersten Bischofs der Ewigen Stadt geworden war. Neunhundert Mann, hundertfünfzig Pferde und an die fünfzig Winden wurden benötigt, um den aus dem ägyptischen Heliopolis stammenden Obelisken auf dem Platz vor dem vatikanischen Gotteshaus aufzurichten.

Über die Vorkehrungen zu dem schwierigen Unterfangen schrieb Domenico Fontana: „Da unendlich viel Volk zusammenlief, um ein so merkwürdiges Unternehmen anzusehen, wurden um Unordnung zu vermeiden, die Straßen abgesperrt, die über den Platz führten, und eine Bekanntmachung erlassen, dass an dem zur Hebung des Obelisken bestimmten Tage außer den Arbeitern niemand in die Schranken eintreten dürfe. Wer mit Gewalt eindränge, würde mit dem Tode bestraft. Ferner dürfe keiner die Arbeiter hindern, keiner dürfe sprechen, disputieren oder irgendeinen Lärm machen, bei schwerer Strafe, damit die prompte Ausführung der Befehle der Bediensteten nicht behindert werde. Zur sofortigen Vollstreckung dieser Verordnung wurde der Hauptmann der Sbirren mit seinem Korps innerhalb der Umschließung aufgestellt, so dass, teils wegen der Neuheit der Arbeit, teils wegen der angedrohten Strafen, in der Volksmenge, welche zusammenlief, die größte Stille herrschte.“



WASSER AUF DIE SEILE!

Für die Dauer der Arbeiten zur Aufrichtung des Obelisken sollte nichts anderes zu hören sein als der Trompetenstoß, der den Arbeitern an den Winden jedes Mal das Zeichen zum Beginn einer neuen Runde gab. Doch plötzlich unterbrach ein lauter Schrei im Dialekt Liguriens die Stille: „Aigua ae corde – Wasser auf die Seile!“ Es war der Warnruf eines Seemanns aus Bordighera (San Remo), der in der Zuschauermenge stand. Er hatte befürchtet, der schon nahezu aufgerichtete Obelisk könnte umstürzen; ihm war es vorgekommen, als drohten einige der Seile zu reißen, da sie durch Reibung stark erhitzt waren. In seiner Angst hatte er den Schrei nicht zurückhalten können.

Die Warnung wurde als richtig erkannt, so dass der Papst dem Rufer die angedrohte Strafe erließ und ihm sogar den Ehrentitel eines Kapitäns verlieh und das Recht zugestand, auf seinem Schiff die päpstliche Flagge zu führen; zudem gewährte er ihm und seinen Angehörigen – der Familie Bresca – das Privileg, von nun an die Palmzweige für die päpstlichen Paläste zu liefern. Sogar der Transport der Palmen nach Rom wurde zu etwas Besonderem. Erreichte das Schiff mit seiner Fracht die Mündung des Tibers, wurde ein „parmurelo“, ein großer, kunstvoll geflochtener Palmzweig, an der Spitze des Hauptmastes, für jederman weithin sichtbar, angebracht. Er signalisierte allen Bootsführern, dass dem Schiff aus Bordighera absoluter Vorrang und ungehinderte Fahrt zu gewähren sei.



BORDIGHERA UND SAN REMO

Die Bresca gehörten seit dem berühmten Vorfall auf dem Petersplatz zu dem erlesenen Kreis der Hoflieferanten des Papstes. Diese Auszeichnung gab es seit dem 14. Jahrhundert. In der Regel wurde sie auf weniger spektakuläre Weise erworben. Es waren verdienstvolle und verdiensteifrige Zulieferer des Päpstlichen Hofs, die in diesen Genuss kamen. Das Privileg, sich „Päpstlicher Hoflieferant“ nennen zu dürfen, wurde nur für die Regierungszeit des Papstes, der die Verleihung ausgesprochen hatte, gewährt. Nach dessen Tod konnte jedoch an den neuen Pontifex ein Ansuchen um die Verlängerung des Privilegs gerichtet werden. Die Familie Bresca war von dieser Regelung ausgenommen. Sie behielt ihr 1586 erworbenes Vorrecht über viele Jahrhunderte. Die höfischen Bräuche gerieten im Vatikan erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Diskussion. Unter dem Eindruck der Reformwünsche, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) geäußert worden waren, benannte Paul VI. den Päpstlichen Hof in „Päpstliches Haus“ um. Viele prestigeträchtige Titel wurden abgeschafft, so auch der eines „Päpstlichen Hoflieferanten“.

Bordighera und San Remo gelten noch heute als Palmenstädte. Sowohl was deren landschaftliches Erscheinungsbild betrifft, als auch mit Blick auf den weltweiten Vertrieb der mit viel Liebe und Geschick gefertigten „parmureli“. Die Herstellung der Parmureli – sie ist größtenteils einer von der Kirche gegründeten sozialen Kooperative anvertraut – stellt einen nicht unbedeutenden Wirtschaftszweig der beiden Orte dar. 1999 wurde in San Remo sogar ein wissenschaftliches Institut, das „Centro Studi e Ricerche per le Palme“, ins Leben gerufen.



PARMURELI IN ÜBERLÄNGE

2001 belebte man eine alte Tradition neu. Man begann wieder, den Vatikan und die Stadt Rom mit Palmen von der ligurischen Küste zu versorgen. Zum Kirchweihfest von Sankt Peter lieferte die Kooperative „Il Cammino“ (Der Weg) den Palmen- und Blumenschmuck. Zwei Jahre später verschönerten Palmen aus San Remo und Bordighera die römische Basilika S. Maria Maggiore; der Anlass war das silberne Bischofsjubiläum des damaligen Kardinalstaatssekretärs Angelo Sodano gewesen. Und wenig später kamen dann auch erstmals wieder Palmzweige aus der Heimat der Familie Bresca im Vatikan zum Einsatz. Seit 2004 schickt die Kooperative alljährlich kunstvoll geflochtene Parmureli für die Prozession des Palmsonntags in den Vatikan – einen drei Meter großen für den Heiligen Vater, dreihundert 1,50 Meter lange für die Kardinäle, Bischöfe und Kleriker sowie mehrere tausend kleinere für die Gläubigen.

Jahr für Jahr nimmt die Prozession ihren Beginn vom Petersplatz aus, von dem Obelisken, der unter so dramatischen Umständen aufgestellt wurde. Der berühmt gewordene Zwischenfall des Jahres 1586 hat auf sonderliche Weise zusammengebracht, was zusammengehört: Das Martyrium des ersten Papstes, das stumme und doch eindringliche Zeugnis des Obelisken, das Bekenntnis heutiger Christen zu ihrem Gott – und die Parmureli aus Bordighera und San Remo. 2006 stand erstmals Benedikt XVI. der Feier des Palmsonntags als Bischof von Rom und Oberster Hirte der Kirche vor. Zu Beginn der Prozession rief der Papst in Erinnerung: „Die Palmzweige sind Zeichen des Martyriums, der Hingabe an Gott und die Menschen. Mit ihnen jubeln wir jetzt Jesus, dem Messias, zu und bezeugen unsere Teilhabe am österlichen Geheimnis, das wir feiern.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016