Ein Abenteuer auf dem Weg zum Licht

28. August 2006 | von

Im Juni wurde zum fünften Mal der Internationale Antoniuspreis verliehen. Vor der eindrucksvollen Kulisse der Antonius-Basilika in Padua versammelten sich Preisträger, Prominenz und Publikum unter freiem Himmel. Erstmalig wurde auch ein Beitrag aus Deutschland ausgezeichnet, ‚Sophie Scholl – Die letzten Tage’.

Den Antoniuspreis gründeten 1998 die Patres der Basilica del Santo in Padua anlässlich des 100jährigen Jubiläums des ‚Messagero di Sant’Antonio’. Seither werden im Zwei-Jahres-Rhythmus herausragende Leistungen in vier Bereichen prämiiert: Lebenszeugnis, Solidarität, Kino und Fernsehen.
Unter dem Stern des ‚Heiligen der Menschenrechte’ wurden in diesem Jahr auch zwei Deutsche geehrt. Die Auszeichnungen in der Kategorie Kino gingen an den Regisseur Marc Rothemund und die Schauspielerin Julia Jentsch für den Film ‚Sophie Scholl – Die letzten Tage’. Im Interview bringen die beiden Preisträger ihr persönliches Engagement und Anliegen eindrucksvoll zum Ausdruck.


Marc Rothemund

Wie würden Sie „Ihre“ Sophie Scholl umschreiben?

In erster Linie ist für mich Sophie Scholl Lebensfreude, Mitgefühl, Nächstenliebe und Neugier. Die Vernehmungsprotokolle zeigen eine sehr gut erzogene, mitfühlende junge Frau, die gegen Unrecht aufsteht. Und ich glaube, nur jemand, der das Leben so liebt wie sie, kann es geben für ein besseres Leben.


Der Film handelt von einer historischen Begebenheit. Ist es ein politischer oder ein emotionaler Film?

Für mich waren es keine politischen Widerstandskämpfer. Denn wenn es politisch gewesen wäre, müsste man Hitler und den Faschismus als Politik bezeichnen. Das waren Verbrecher. Nein, sie haben für Menschenrechte gekämpft. Wer die Flugblätter liest: Die Menschenwürde ist unantastbar! Freiheit der Rede! Freiheit der Religion! Die meisten Punkte findet man im heutigen deutschen Grundgesetz.
Ich glaube, die Enkelgeneration der Kriegsgeneration erreicht man besser, wenn man sie emotional berührt, wenn man die Geschichte emotional aufbereitet. Dann werden die Zuschauer über die Emotionen zum Nachdenken angeregt. Sie müssen sich jetzt nicht unbedingt mit Sophie Scholl vergleichen. Das war eine besondere Zeit unter besonderen Umständen. Zivilcourage wie damals bei Sophie Scholl hat heutzutage nicht unbedingt immer was mit Leben und Tod zu tun. Auch heute kann ich Menschen helfen. Im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz. Ich kann mein Wort erheben, ich kann rufen: Helft ihm! Lasst ihn in Ruhe!


Was hat Sie daran gereizt, ausschließlich die letzten Tage der Sophie Scholl darzustellen?

Mich hat beeindruckt, wie diese Menschen reagiert haben, nachdem sie festgenommen wurden und einem System der Willkür ausgesetzt waren. Das war meine Neugier. In der Biographie ihres Henkers Reichert steht, dass er niemals solch aufrechte, unbeugsame Menschen auf sich und die Guillotine hat zukommen sehen, wie die Mitglieder der Weißen Rose.

Mich hat interessiert, wo diese aufrechte Haltung herkommt, wenn man in den Tod geht. Und wenn Sophie Scholl betet: „Ich kann nicht anders als stammeln zu dir. Ich hoffe, du hörst mich.“ Das sind Originalzitate von ihr aus ihren Tagebüchern und Briefen. Die Schwester von Sophie Scholl, die ja noch lebt, hat uns gesagt: Es war keine frömmelnde Familie, aber eine fromme Familie.

Für mich persönlich war es eine Wahnsinns-Recherche, sich mit dem Glauben auseinander zu setzen. Und dass der Glauben an Gott, an das Gute, an ein besseres Leben, diesen jungen Menschen so eine Kraft gegeben hat, dass sie sogar noch die Mutter tröstet beim Abschied. Und davon überzeugt ist, die Sonne scheint noch, sie wird auch nach der Hinrichtung scheinen, und wir sehen uns wieder. Da ich jetzt nicht sehr religiös erzogen wurde, hat mich persönlich diese Auseinandersetzung sehr fasziniert. Für mich ist es eine emotionale Reise einer unglaublich starken Figur, die aber erst in diesen letzten Tagen wirklich zu einer Heldin heranwächst.

Wir Christen entdecken in Ihrem Film religiöse Symbole: das Kreuz in der Gefängniszelle, Segensgesten, Gebete. Mohr, der sich nach dem Verhör wie Pilatus die Hände wäscht. Der einsame Schrei der Sophie Scholl in der Zelle, wie Jesu Schrei am Kreuz.

Ich war selber überrascht, dass in der Todeszelle das Kreuz hängt. Die Gebete sind original. Dass sie den Segen Gottes haben wollte, ist überliefert. Der Bruder hat den 90. Psalm hören wollen. Der Schrei ist nicht überliefert.

Es gibt zwei Momente, wo keine Zeitzeugen dabei waren. Nach dem Geständnis, wenn sie alleine auf der Toilette ist, und eigentlich in Tränen ausbrechen will. Sie reißt sich aber zusammen. Sie weiß, sie muss jetzt noch um das Leben der Freunde kämpfen.

Und dann, wenn sie erfährt, dass sie an dem gleichen Tag hingerichtet wird. Es waren nur vier Tage. Am vierten Tag war morgens die Verhandlung, von 10 bis 14 Uhr. Und dann war sie vor Gericht so couragiert. Sie wollten ja nicht den Richter überzeugen von einem Besseren, sondern sie wollten das Publikum in ihrem Rücken zum Nachdenken bringen.

Mir war es besonders wichtig, wenn man schon alles recherchieren kann, dass auch alles wahr ist. Der Bruder, Hans Scholl, hat immer gesagt „Das Leben ist ein Abenteuer auf dem Weg zum Licht.“ Das hat mich schon immer sehr beeindruckt.


Vor der Basilika hier in Padua erhalten Sie heute den internationalen Preis „Sankt Antonius“ in der Kategorie „Cinema“. Was bedeutet dieser Preis für Sie?

Ich stelle mich persönlich mal hinten an, denn ich habe die Geschichte nicht erfunden. Diesen Filmpreis nehme ich stellvertretend entgegen für die Mitglieder der Weißen Rose, dann für meine Schauspieler und das Team, die die Originalcharaktere zum Leben erweckt haben.
Und ich bin jetzt stolz drauf, dass ich auch ein Teil davon war, dass die Idee auch heute noch lebt, und heute noch drüber gesprochen wird, und nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien.

Wenn durch diesen Preis noch mehr Leute die Weiße Rose und Sophie Scholl wertschätzen, dann freut mich das sehr. Und es ist eine große Ehre.

 

Julia Jentsch


Was hat Sie an der Gestalt der Sophie Scholl fasziniert, als Schauspielerin und ganz persönlich?

Wie diese jungen Studenten ihr Leben gegeben haben für den Kampf um Freiheit und Frieden, das hat mich berührt und zugleich auch sehr traurig und sehr wütend gemacht. Es war wichtig, diesen Film zu machen. Solche Geschichten kann man gar nicht oft genug erzählen.
Als Schauspielerin hat mich interessiert, mich so einer Welt anzunähern, die nicht die eigene ist. Was wird es mit mir machen, und wie hat sie möglicherweise gedacht. Das war eine große Herausforderung, weil ich eine so große Rolle vorher noch nie gespielt habe.

Hervorragend haben Sie dargestellt, wie stark und zugleich zerbrechlich die junge Frau war zwischen Mut und Angst, zwischen Lebenswillen und Todesdrohung.

Das Zerbrechliche und zugleich diese große Kraft und dieser Wille, das ist es auch, was mich beeindruckt hat. Man kann sehen, wie wertvoll beide Seiten sind. Einmal dieses Zarte, Zerbrechliche, was sie hatte, und Liebende und Mitfühlende, und etwas sehr Kindliches und Unbeschwertes.
Andererseits aber ein Geist, der oft sehr kritisch, sehr nachdenklich und sehr entschlossen war. Und ich glaub, diese Mischung, in einer Person vereint, das hat mich fasziniert. Und dass beide Seiten in so gleicher Stärke ausgebildet sind, ist ja etwas sehr Besonderes.

Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach der Glaube bei Sophie Scholl gespielt?

Ich glaube, dass in den letzten Tagen, von denen der Film ja erzählt, ihr Glaube sehr wichtig war für sie. Letztendlich war sie ja allein, allein umgeben von Menschen, die nicht gedacht und gefühlt haben wie sie. Und diese Ansprache zu Gott war für sie eine Verbindung zu ihren Lieben, zu den Menschen, die draußen waren, außerhalb, eine starke Verbindung über Gott zu ihrer Mutter.
Vor dem Hintergrund des Krieges stellte sich die Frage nach Gott: Wo ist Gott, und welche Bedeutung hat er? Und diese jungen Menschen haben darüber diskutiert. Und dann haben sie angefangen die Bibel zu lesen. Und plötzlich haben sie ihre eigenen Werte oder Ideale in der Bibel wieder gefunden. Dadurch haben sie, glaube ich, festgestellt: ja das ist etwas, was für uns stimmt, und das gibt uns Kraft.


Haben Sie für sich persönlich etwas gelernt, sich angeeignet, als Haltung übernommen?

Es ist eine Rolle, die man spielt. Man möchte diese Vermischung meistens nicht. Man möchte eine Trennung zwischen der Rolle, dem Spiel und der Person, die man ist.
Natürlich verbringt man sehr viel Zeit, sehr viele Gedanken damit, und zwar intensiv. In so einem Fall möchte man auch etwas davon mitnehmen und eine Erfahrung, einen Gewinn für sich daraus ziehen.
Doch, bei dieser Geschichte, und bei diesem Menschen speziell, ist es so, dass es immer wieder Situationen gibt und Momente, in denen man immer wieder an eine Formulierung oder eine Kraft zur Überzeugung, die sie aufgebracht haben, denkt. Doch, es ist schon etwas Besonderes, das bleibt.
Ich kann nicht sagen, ich hab mich jetzt dadurch verändert. Aber etwas davon nimmt man mit.

[Regisseur Marc Rothemund fügt hinzu:]
Auch ich finde mich ab und zu in Situationen wieder, wo ich mir vorstelle: Wie hätte es denn die Weiße Rose, wie hätte es Sophie Scholl und Hans Scholl gemacht? Also es prägt einen schon, wenn man sich so lang mit so einem Charakter, so einer Geschichte, solchen Umständen, und den Entscheidungen, die sie getroffen haben, befasst, dass man sich ab und zu fragt, wie hätten sie denn das gemacht? Das begleitet einen.


 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016