Ein Besuch in der Via Tasso

29. Oktober 2013 | von

Vor 70 Jahren, von September 1943 bis Juni 1944, war die Ewige Stadt von deutschen Truppen besetzt. In dieser Zeit übte die SS in Rom eine Schreckensherrschaft aus. Doch gab es in jenen dunklen Tagen auch das helle Licht der Menschlichkeit und des Glaubens.



Die Via Tasso in Rom, nur wenige Schritte von der berühmten Lateranbasilika gelegen, ist eine unauffällige kleine Straße mit schmucklosen und schlichten Gebäuden. Auch das Haus Nr. 145/155 verrät nichts von dem Schrecken und der Angst, die noch heute mit ihm in Verbindung gebracht werden. Hier waren Gegner des Faschismus und des Nationalsozialismus, Widerstandskämpfer, bekennende Christen und jüdische Mitbürger eingekerkert.



OBERSTURMBANNFÜHRER KAPPLER

Das Gebäude, fünf Stockwerke hoch, war Ende der Dreißiger Jahre von einem römischen Aristokraten erbaut und an die deutsche Botschaft vermietet worden. In ihm war das Kulturinstitut des Deutschen Reiches untergebracht. Darüber hinaus befanden sich dort auch die Büros für den Militär- und Polizeiattaché der Botschaft. Zum damaligen Zeitpunkt erfüllte diese Aufgabe ein SS-Offizier und Funktionär der Sicherheitspolizei (SIPO): Obersturmbannführer Herbert Kappler. Während der neun Monate der deutschen Besatzung wurde dann das gesamte Gebäude dem Kommando der Sicherheitspolizei unterstellt und in ein Gefängnis, eine gefürchtete Folterzentrale der Nazis, umgewandelt. Alle Fenster des Gebäudes, auch die der Büros, Küchen und Bäder, waren von innen vermauert. Über den Zellentüren hatte man eine winzige Öffnung geschaffen, um ein klein wenig Licht und Luft hereinzulassen. Als Schlafgelegenheit befanden sich in den Gefängnisräumen – mit Ausnahme der Isolationszellen – primitive Holzpritschen. Die Pritschen reichten jedoch für die große Zahl der Gefangenen nicht aus; viele Häftlinge mussten auf der Erde schlafen.



NÄCHTLICHE VERHÖRE

An den Zellenwänden sind noch heute erschütternde Zeugnisse zu entdecken. Botschaften, die von den Häftlingen auf den Verputz geschrieben oder hineingeritzt wurden. Aber kaum Zeichen des Hasses, es sind überwiegend Bekundungen des Glaubens und menschlicher Ideale, Mitteilungen an die Eltern, an den Ehemann oder die Ehefrau, an die Kinder, an Freunde. Immer wieder tauchen religiöse Symbole auf, aus dem jüdischen Glauben oder auch das Kreuzzeichen. An manchen Stellen in den Isolationszellen bemerkt der Besucher blasse Flecken – eingetrocknetes Blut. Jeden Morgen um 7.00 Uhr wurden die Häftlinge geweckt. Zwei Minuten gestand man ihnen zu, um sich zu waschen, in Gruppen und völlig unbekleidet.

In den Bädern waren die Türen entfernt worden, um die Gefangenen besser zu kontrollieren – und zu erniedrigen. Dann wurde die einzige Mahlzeit des Tages ausgeteilt: eine dünne, ungesalzene Brühe mit Kartoffel- und Gemüsestücken und zwei kleine Brotlaibe, zusammen etwa zweihundert Gramm schwer. Um 20.00 Uhr wurde das Licht in den Zellen gelöscht und „Ruhe“ befohlen. Auf jedes Wort, das nun fiel, folgte eine Bestrafung. Während der Nacht wurden die Zellen nur geöffnet, um Inhaftierte zu vernehmen. Die oft stundenlangen Verhöre wurden von brutalen Misshandlungen begleitet. Die SS brachte die Gefolterten in die Zellen zurück, blutüberströmt, um die Mitgefangenen einzuschüchtern.



P. PANKRATIUS PFEIFFER

Die Geschichte des SS-Gefängnisses in der Via Tasso ist eng mit dem Einsatz eines Priesters, des Generaloberen des Salvatorianer-Ordens, P. Pankratius Pfeiffer (1872-1945), verbunden, der unermüdlich versuchte, den dort Inhaftierten beizustehen und, wenn nur irgendwie möglich, ihre Freilassung zu erwirken. Der Geistliche war ein geschätzter Vermittler zwischen Papst Pius XII. und den deutschen Besatzern; der Ordensmann wusste vor allem seine guten Kontakte zur Wehrmacht geschickt zu nutzen. Viele Gefangene in der Via Tasso konnten durch seine Bemühungen vor dem sicheren Tod gerettet werden. 



PAPST PIUS XII.

Das Museum erinnert auch an Monsignore Pietro Barbieri (1883 bis 1963), einen Prälaten der Römischen Kurie, der vielen Verfolgten zur Flucht in sichere Häuser des Vatikans und der Kirche verhalf, und an Monsignore Roberto Ronca (1901-1975), den Regens des römischen Priesterseminars, der nur wenige Schritte entfernt in der exterritorialen Zone des Laterans vielen hundert Menschen Unterschlupf gewährte.

Auch Don Pietro Palazzini, der Moraltheologe und spätere Kurienkardinal, der 1988 für seine Verdienste um die Rettung jüdischer Mitbürger von Israel als „Gerechter der Völker“ geehrt wurde, findet hier Erwähnung. Das Museum in der Via Tasso erinnert nicht zuletzt an den Mann, der den Großteil der Rettungsaktionen initiiert hatte: Papst Pius XII. Bilder und Dokumente weisen auf sein Wirken hin. Sie vermitteln das Andenken an einen Papst, der sich um seine Bischofsstadt in den schwierigsten Zeiten sorgte – der die für Rom nötigen Lebensmittel organisierte, der bei den zwei schwersten Bombenangriffen unverzüglich unter der Bevölkerung erschien, der Klöstern, kirchlichen Institutionen und Einrichtungen des Vatikans befahl, die von der SS und der faschistischen Miliz Verfolgten aufzunehmen (Juden, politisch Andersdenkende, Widerstandskämpfer und entflohene Kriegsgefangene).

Am 3. Juni 1944, als sich die alliierten Streitkräfte vor den Toren Roms befanden, verließen die Männer der SS fluchtartig die Via Tasso. Die Gefangenen wurden erst befreit, als die römische Bevölkerung das Gebäude am folgenden Tag erstürmte. 1950 ging das Haus in den Besitz des italienischen Staates über. Man richtete in dem Gebäude ein Archiv, eine Bibliothek und ein Museum ein. Den Widerstand in der Zeit der deutschen Besatzung wollte man für alle veranschaulichen und nachvollziehbar machen. Die Räumlichkeiten beherbergen seitdem eine ständige Ausstellung über die Ereignisse vor siebzig Jahren.



MUSEUM UND COMIC-HEFTE

In der Via Tasso erklärt man die Zeit der deutschen Besatzung auch an Hand von Comic-Heften. Comic-Hefte, die sich mit den Gräueln der Nazizeit befassen, kann man sich in Deutschland und Österreich nur schwer vorstellen. Folterszenen in Gestapokellern, Darstellungen von Erschießungen oder gar Bilder vom Abtransport in Konzentrationslager verwundern daher. In Italien ist dies anders. Den Heften, die dort „fumetti“ („Wortblasen“) genannt werden, haftet nicht automatisch das Attribut „komisch“ an. Sie haben oft einen historischen, kulturellen oder religiösen Inhalt. „In Italien werden ‚Fumetti’ von allen Alters- und Bildungsklassen gelesen; warum sollen wir diese Chance vertun“, argumentieren die Herausgeber des Comics. Das Heft beschönigt nichts. Die Zeichner haben die Vorfälle in der Folterzentrale der SS drastisch dargestellt. Das Geschehene dürfe nicht aus einer falsch verstandenen Pädagogik heraus verharmlost werden, heißt es zur Erklärung, man würde sonst die Gräuel relativieren, sie zu einer Fußnote in der Geschichte verkommen lassen.

Das „Historische Museum der Befreiung Roms“ (Via Tasso 145) ist von Dienstag bis Sonntag von 9.30-12.30 Uhr geöffnet, dienstags, donnerstags und freitags zudem von 15.30-19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei – dem Besucher der Ewigen Stadt, ob Pilger oder Tourist, sollte es einen Besuch wert sein.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016