Ein gutes Gewissen im Einkaufskorb

07. Juni 2007 | von

Klimawandel und Fleischskandale, Bio-Boom und Geiz-ist-geil-Mentalität prägen zunehmend das Einkaufsverhalten. Die Medien nehmen sich immer stärker des Themas Ernährung unter den Aspekten Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft an. Doch je intensiver man in das Thema einsteigt, desto komplexer erscheinen die Probleme. 

Nicht erst seit dem Gammelfleischskandal ist klar, dass zum kleinen Preis nicht immer hohe Qualität geliefert wird. In Deutschland, wo die Lebensmittelskandale kein Ende nehmen, liegen die Lebensmittelpreise unter denen vergleichbarer EU-Länder. Da ist zu vermuten, dass das Angebot womöglich zu billig ist, um Qualität bieten zu können. So soll die amtliche Lebensmittelüberwachung der Bundesländer jährlich etwa jede siebte von mehr als 400.000 Proben beanstanden. Wer sich beim Einkaufen von der Geiz-ist-geil-Mentalität leiten lässt, tut seiner Gesundheit meist nichts Gutes. Schnäppchenangebote entpuppen sich bei näherer Betrachtung oft als chemisch belastet oder dem Verfall nahe – als Lebensmittel im tieferen Sinn des Wortes kaum zu gebrauchen. Und wo die Produkte in Ordnung sind und dennoch wenig Geld kosten, kann es vorkommen, dass sie aus Massentierhaltung stammen und oft lange Wege hinter sich haben. Wer mit gutem Gewissen einkaufen will, erschließt sich andere Quellen.

Vorzüge des Verzichts. Falls er es sich leisten kann. Ein arbeitsloser Familienvater, der mit voll gepacktem Einkaufswagen den Discounter verlässt, wird von einem Kamerateam befragt, warum er hier einkauft. Er antwortet: „Wer kein Geld hat, denkt nicht darüber nach, wo die Sachen herkommen.“ Verdrängt werden Gedanken darüber, ob Tiere artgerecht gehalten wurden, ob Tierkörpermehl oder Antibiotika ins Futter kamen…

Gut hat es, wer einen Bauernhof auf dem Lande sein eigen nennt. Doch auch wer das Obst von eigenen Bäumen pflückt, Kartoffeln anbaut, Kräuter zieht und sein Gemüse chemiefrei im Garten kultiviert, wird sich mancher Gewissensfrage stellen müssen. Gibt es doch Lebensmittel, die nicht hinter der Küchentür wachsen und aus unserem Leben kaum wegzudenken sind. Fisch beispielsweise, der so wertvoll für die Gesundheit ist und für den weltweit die Meere ausgebeutet werden. Wer ihn noch mit gutem Gewissen essen will, sollte auf das MSC-Siegel vom „Marine Stewartship Council“ achten, das nur an Produkte aus bestandserhaltendem Fischfang vergeben wird.  

Natürlich könnte man auf manches verzichten. Hat der heilige Benedikt von Nursia, Begründer des christlichen Mönchtums im Westen, nicht den Fleischgenuss nur den Kranken und Schwachen als Stärkung zugedacht? Und sagte nicht Hippokrates, der Urvater der wissenschaftlichen Medizin, schon in der Antike seinen Schülern: „Heile die kleinen Wehwehchen eher durch Fasten als durch Arznei!“ 

Fleischlose Kost. Also Vegetarier werden? Rund sechs Millionen Deutsche haben Fleisch aus ihrer Ernährung verbannt. Aus Empathie für ihre Mitgeschöpfe: Tiere sollen nicht für sie ihr Leben lassen. Andere wollen kostbare pflanzliche Lebensmittel nicht als Tierfutter verschwendet sehen - für ein Kilo Tiereiweiß werden rund sechs Kilo pflanzliches Eiweiß verfüttert -, während Menschen anderswo hungern. Und nicht zuletzt ist der Schutz der Natur ein Anlass für den Fleischverzicht: Soll man zusehen, wie in Dritte-Welt-Ländern die letzten Wälder gerodet werden, um noch mehr Mais oder Soja anzupflanzen? Und wohin mit den Mengen von Kohlendioxyd und Methan, die bei der Haltung großer Mengen von Nutztieren wie Rinder oder Schweine entstehen und die Umwelt belasten? Experten der Welternährungsorganisation FAO haben errechnet, dass der globale Viehbestand etwa ein Fünftel der von Menschen erzeugten Treibhausgase ausmacht. Nachbar Hans hält das nicht mehr für unwahrscheinlich, seit er bei einer Autoreise durch Texas stundenlang durch eine Landschaft voller Rinderherden fuhr, über der ein schier unerträglicher Gestank lag.

Doch auch die Ökobilanz von Vegetariern ist nicht generell positiv. Viele Anhänger lactovegetabiler Ernährung, die Produkte von lebenden Tieren verzehren, werden es nicht einmal wissen: Die Herstellung von Milch verbraucht ähnlich viel Energie wie die Erzeugung von Schweinefleisch. Käse kommt noch schlechter weg: Für ein Kilogramm werden im Durchschnitt acht Liter Milch benötigt. Dabei werden mehr als acht Kilo Kohlendioxyd ausgestoßen, drei Kilo mehr als bei Frischfleisch. 

Natürlicher Kreislauf. Aber auch wenn jedermann Fleisch und Wurst, Milch und Käse aus dem Kühlschrank verbannte, wäre das für die Natur kein Segen. Ein Experiment des BUND in Bayern, wo man in einem verlassenen Tal Galloway-Rinder frei herumziehen ließ, brachte die Erkenntnis, dass nach und nach eine größere Artenvielfalt entstand. Es nutzt der Natur offensichtlich, Landschaftspflege mit Rindern zu betreiben. Ohne Tiere können die Nährstoffkreisläufe in der Natur nicht geschlossen werden. Tiere fressen Pflanzen, düngen mit ihrem Mist aber auch Flächen, auf denen neue Pflanzen wachsen. Verzichtet man auf Tiere, müssten Pflanzen mit Kunstdünger produziert werden – und dies mit hohem Energieaufwand. Der Verzicht auf Weidewirtschaft hätte aber noch eine Konsequenz: Unsere Kulturlandschaften, die vielfach die Basis für Naherholung und Urlaub bilden, würden sich drastisch verändern. Ohne Heidschnucken gäbe es die Lüneburger Heide nicht mehr. Ohne die Almen, auf denen Kühe und Kälber grasen, sähe das Allgäu anders aus. Beliebte Ferienlandschaften würden ihren Charakter verlieren und den Einheimischen, die vom Tourismus leben, die wirtschaftliche Grundlage entziehen.

Aus der Region. Also kann die Devise nur sein, ökologische Landwirtschaft zu unterstützen, die Tiere artgerecht hält und tierische Produkte umweltbewusst erzeugt. Einer wachsenden Zahl von Bundesbürgern scheinen Bioprodukte daher die bessere Wahl. Doch in Zeiten des Klimawandels heißt es neuerdings: Bio ja, aber bitte nur aus der Nachbarschaft! Alles, was per Flugzeug einschwebt, wie etwa Kiwis, Ananas oder Mangos, sei von Übel, erklären die Umweltschützer. Mögen die Früchte auch noch so wohlschmeckend und vitaminreich sein - die Energiebilanz sei zu bedenken, die Umweltbelastung! Von „Brigitte“ über „Stern“ und „Focus“ bis zum „Spiegel“ sind die Magazine voll mit Studien zum Klimawandel, Statistiken über Umweltbelastung und Lebenshilfe für gesunde Ernährung. Organisationen wie „Food Watch“ oder das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz informieren die Öffentlichkeit.

Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung bei mehr als 2.000 Verbrauchern zeigte sich die Mehrheit der Deutschen bereit, mit ihrem Konsumverhalten etwas gegen den Klimawandel zu tun. Sie kündigten an, in umweltfreundliche Klimatechnik für das eigene Heim zu investieren und ihr Einkaufsverhalten zu ändern. 57 Prozent der Befragten wollen künftig mehr regionale Produkte kaufen und 22 Prozent weniger Fleisch essen als bisher, um den Methanausstoß zu senken. Ein erfreulicher Trend. Allerdings: Der guten Absicht muss die Tat nicht notwendig folgen. Gegenüber Meinungsforschern bevorzugen die meisten Deutschen Freilandeier, im Supermarkt greifen sie meist dann doch zur billigeren Käfig-Variante.

Finanzielle Frage. Obwohl das Bio-Segment wächst, soll in Deutschland der Anteil der verkauften Lebensmittel, die nach ökologischen Prinzipien erzeugt wurden, nur drei Prozent betragen. Im Durchschnitt zahlen Biokäufer 17 Prozent mehr für ihre Lebensmittel als für konventionelle Produkte. Vielleicht wandern deshalb mittlerweile rund 40 Prozent der Bio-Lebensmittel in Supermärkten und bei Discountern in den Einkaufswagen. Wie sollten Menschen mit niedrigeren Einkommen das sonst finanzieren? Während man in Bioläden eher Ware von Anbauverbänden wie Demeter oder Bioland findet, die etwas strengere Kriterien anlegen als die EG-Öko-Verordnung, werden die Biolebensmittel für Handelsketten oft nach EG-Öko-Richtlinien angebaut. 

Globaler Biosektor. Ein weiteres Problem tut sich auf: Die Deutschen wollen mehr Bio-Produkte konsumieren, im Anbau sind aber andere Staaten führend. Denn bei allen Vorteilen, die ökologische Landwirtschaft besitzt, liefert die naturschonende Methode deutlich weniger Ertrag pro Fläche. Mehr Akzeptanz bedeutet folglich mehr Flächenverbrauch. Da die Menschen in den führenden Industrienationen 80 Prozent der weltweit erzeugten Bionahrung kaufen, aber nur zwölf Prozent der weltweit biologisch angebauten Acker- und Weideflächen besitzen, ist die Globalisierung des Biosektors unausweichlich. Längst produzieren Australien, Neuseeland, Argentinien und Südafrika Nahrung für amerikanische und europäische Bio-Freunde. Während in großen Bioläden oft solche Waren angeboten werden, die eine lange Reise hinter sich haben, sind auf Wochenmärkten überwiegend Produzenten aus der Umgebung vertreten.  

Direkt vom Bauern gekaufte, reif geerntete Saisonware ist an Frische nicht zu überbieten. Ihr gesundheitlicher Effekt ist hoch, gleich ob Öko oder nicht. Geschmacklich kann es allerdings doch von Vorteil sein, Bioware zu kaufen: Da sie weniger Wasser enthält und langsamer wächst, kann sie mehr Aromastoffe entwickeln. Also lokal produzierte Waren der Saison kaufen, je nach Gusto und Geldbeutel mit oder ohne Öko-Siegel? Umweltschützer heben warnend den Finger, wenn es um den Direkteinkauf beim Bauern geht. Der Ökovorteil wäre dahin, wenn Städter in Scharen mit dem Auto zum Einkauf aufs Land fahren würden. Generell solle man seine Einkäufe besser mit dem Fahrrad tätigen…

Fair Trade. Gut, wer kann und mag, fährt mit dem Rad zum Bioladen und kauft Äpfel, Birnen, Erdbeeren ein. Soll man sich damit begnügen und auf Bananen, Ananas und Mango verzichten? Es wächst nun mal nicht alles hierzulande, was uns gut schmeckt. Überdies leben wir in einer globalen Wirtschaft - und die Menschen auf anderen Kontinenten leben davon, dass sie ihre Beeren und Früchte an uns verkaufen. Und wer möchte schon auf Kaffee und Schokolade verzichten? Wer will den Bauern in Lateinamerika, Afrika oder Asien die Lebensgrundlage entziehen? Auch da raten die Experten: Wenn exotische Genüsse locken, sollte man ebenfalls nach Möglichkeit Bioprodukte kaufen. Durch den weitgehenden Verzicht auf Düngemittel und Pestizide müssen weniger Maschinen eingesetzt werden, die Schadstoffe ausstoßen – ein Plus für die Umwelt. Ein weiteres Plus: Bei Bio-Produkten aus der Dritten Welt ist der faire Handel eine Selbstverständlichkeit.

Der faire Handel schwimmt auf der Bio-Welle: Immer mehr Menschen kaufen bewusst ein und entscheiden sich für Produkte mit dem „Fairtrade“-Siegel. Der Absatz stieg um 100 Prozent auf 18.000 Tonnen, der Umsatz wuchs um 50 Prozent auf 110 Millionen Euro. Beim fairen Handel können sich Öko-Bauern in Entwicklungsländern, die sich in Kooperativen zusammengeschlossen haben, zertifizieren lassen. Sind alle Bedingungen - etwa der Verzicht auf Kinderarbeit - erfüllt, erhalten sie, da der Zwischenhandel entfällt, einen Preis für ihre Produkte, der über den Weltmarktpreisen liegt, und bekommen langfristige Abnahmegarantien. Das nach Abzug der Produktions- und Lebenshaltungskosten verbleibende Geld wird etwa für den Bau von Schulen oder die medizinische Versorgung genutzt. Bei Fairtrade ist nicht nur die Qualität der Produkte wichtig, sondern auch die Lebensbedingungen der Produzenten.

Christ und Umwelt. Da Christen zum verantwortungsvollen Umgang mit der Natur aufgerufen sind, sollte das Gewissen beim Einkauf nicht ausgeschaltet werden. Ein franziskanisch gesinnter Mensch, der mit anderen Menschen und Mitgeschöpfen fühlt, der die Natur achtet, wird auch beim Einkauf achtsam sein – nach seinen Möglichkeiten. Er wird manches Mal auf Fleisch verzichten, regionale Bio- und fair gehandelte Produkte vorziehen. Er wird seine Mahlzeiten sorgsam und mit Respekt für die Tiere, die unser Überleben sichern, zubereiten. Er wird mit Liebe für Familie und Freunde kochen und das gemeinsame Mahl dankbar genießen.   

Klöster geben ein gutes Beispiel. So hat der als Öko-Bischof apostrophierte Oberhirte der Diözese Eichstätt, Gregor Maria Hanke, in seiner Zeit als Abt des Benediktinerklosters Plankstetten in der Oberpfalz alle Wirtschaftsbetriebe auf Biolandwirtschaft umgestellt. Er wurde dafür 2001 mit der bayrischen Umweltmedaille ausgezeichnet. Kurz vor seiner Ernennung zum Bischof wurde dem Kloster Plankstetten als erster kirchlicher Einrichtung zum Welttierschutztag und Gedenktag des heiligen Franz von Assisi für ihr Engagement um artgerechte Tierhaltung und die ausschließliche Verwendung von Fleisch aus artgerechter Haltung in der Klosterküche die „Tierschutz-Kochmütze“ der Tierschutzstiftung „Vier Pfoten“ und der Schweinsfurth-Stiftung verliehen. Der Abt erklärte die streng ökologische Ausrichtung als selbstverständliche Konsequenz gelebten katholischen Glaubens. In einem Interview zur Klimadebatte in der Zeitung „Die Welt“ (11. April 2007) sagte er: „Als Christ könnte man sich leicht tun, wenn man die Schöpfungsspiritualität in sein praktisches Leben integrierte und von einem dezidiert christlichen Lebensstil ausginge, der mit Bescheidenheit und Bewahrung der Natur zu tun hat.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016