Ein umstrittener Kreuzweg

13. April 2020 | von

Der Kreuzweg gehört zu den spezifischen liturgischen Formen der Fastenzeit. Dieser Beitrag blickt in die Niederlande, wo ein Kreuzweg für solche Kontroversen gesorgt hat, dass er sogar für einige Jahre aus der Kirche wieder verbannt wurde...

Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Am traditionellen Ausflugstag bei einem Ordenstreffen in den Niederlanden hatten die Gastgeber den Besuch eines „umstrittenen Kreuzwegs“ angekündigt. Wo wohl die meisten eher nach ein wenig Kontrastprogramm oder Ablenkung von den langen Sitzungen Verlangen gehabt hätten, nun also ziemlich schwere Kost – aber eine, die sich am Ende doch gelohnt hat und freilich in der guten Tradition stand, dass die Franziskaner schon seit vielen Jahrhunderten eine enge Verbindung zum Kreuzweg haben.

 

Künstler in Kriegszeiten

Zunächst war ich freilich irritiert, als ich die Kirche St. Kunibertus in Wahlwiller betrat. Sie war komplett bunt in eigenartigen Farben ausgemalt, und die dargestellten Figuren waren auf den ersten Eindruck einfach nur hässliche Fratzen. – Zum Glück gab uns ein freundlicher Niederländer eine kompetente Führung und brachte uns zunächst den Künstler der Kirche ein wenig näher.

Aad de Haas, eigentlich Adrianus Johannes, wird am 30.12.1920 in Rotterdam geboren. Er ist das älteste von fünf Geschwistern und soll nach der Schule gemäß dem Willen des Vaters einen „soliden Beruf“ ergreifen, obwohl sein Wunsch, sein künstlerisches Talent auszuleben, schon seit der Schulzeit besteht. Zunächst muss er nun aber eine Stelle bei der Stadtverwaltung antreten, die ihm jedoch nach bereits drei Wochen fristlos gekündigt wird. Die Eltern geben schließlich nach, und Aad kann sein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Rotterdam beginnen. Seine Werke, die in der Kriegszeit entstehen, haben alle einen Bezug zu den Schrecken des Krieges; so erinnert beispielsweise ein Gemälde an KZ-Gefangene. Als er seine Bilder 1943 in der Galerie Van Zanten ausstellt, gerät er in Konflikt mit den deutschen Besatzern: Weil er nämlich kein Mitglied der von den Nazis gegründeten „Kulturkammer“, einem Institut, dem alle Künstler, Journalisten, Schriftsteller und Musiker angehören müssen, um „auf Linie“ gebracht zu werden, ist, hat er keine Erlaubnis, seine Werke auszustellen. Sie werden beschlagnahmt, als „entartet“ klassifiziert, und Aad de Haas sitzt vom Oktober 1943 bis März 1944 im Gefängnis. Danach wird er zu einer Umschulung gezwungen und muss eine Flugzeugbauschule besuchen. 

 

Auftrag mit kontroversen Folgen

Den Auftrag, einen Kreuzweg zu gestalten, erhält er nach Kriegsende: Pastor Mullenders von Wahlwiller ist 1946 auf der Suche nach einem Künstler und wird in Aad de Haas fündig. Drei Jahre lang braucht dieser, um die Kirche auszumalen. So entsteht unter anderem der „umstrittene Kreuzweg“. 

Zunächst hält sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Als aber mehr und mehr Beschwerden beim Bischof eingehen, lässt dieser nach einer Untersuchung durch seine Baukommission mitteilen, dass der Kreuzweg „bis auf weiteres“ hängen dürfe – solange, bis ein neuer gemalt worden sei, ohne dass über ein konkretes Datum gesprochen worden wäre. Als 1949 aber ein Buch mit Fotos des Kreuzwegs veröffentlicht wird, schlagen die Wellen hoch. Schließlich schreitet der Vatikan ein und stellt fest: „Die Zeichnungen (...) sind wahrhaft monströse Larven, die jedoch in den Niederlanden Tendenzen ans Licht bringen, die die Würde religiöser Subjekte in Bezug auf die sakrale Kunst beleidigen.“ Der Kreuzweg muss entfernt werden, und Aad de Haas selbst trägt die Gemälde aus der Kirche heraus – eine Verletzung, von der er sich innerlich nie ganz erholen wird. Erst 1981, fast zehn Jahre nach seinem plötzlichen Tod am 21.03.1972, wird er vom Ortsbischof rehabilitiert. Schließlich darf der Kreuzweg in die Kirche zurück. 

 

Mein Platz in der Geschichte?

Irritieren wird er wohl bis heute – und für einen Kreuzweg ist das vielleicht sogar eine eigentlich ganz gute Eigenschaft. Als er 1950 mit dem Gerrit-van-der Veen-Preis ausgezeichnet wird, stellt die Jury fest: „Man kann in seinen Kirchenbildern die Intimität spüren, die sich auf die Sache selbst, auf die Hingabe konzentriert.“ Und es ist wohl tatsächlich sein großes Anliegen, dass der Betrachter mit dem Bild in ein Zwiegespräch kommt. Aad de Haas aktualisiert das Geschehen von damals und will zum Nachdenken anregen – ohne viele Worte, aber durch ausdrucksstarke Bilder. Als er einmal um eine Interpretation seiner Werke gebeten wird, antwortet er: „Wieso sollte ich noch einmal mit meinen Worten erklären, was ich im Bild schon ausgedrückt habe?“

Sein Kreuzweg in Wahlwiller umfasst 16 Stationen. Er war der festen Auffassung, dass zum Kreuzweg essentiell die Auferstehung hinzugehört. Die ansonsten eher dunkel gehaltenen Stationen werden da plötzlich gelblich, hellgrün – Licht, das vom auferstandenen Herrn ausstrahlt. Die Soldaten fallen in Ehrfurcht nieder. Aus dem Grab wächst Grün hervor und die Bäume, die bei fast allen Stationen eine Rolle spielen, stehen wieder mit aufrechter Krone, jubilierend, möchte man meinen, wo sie ansonsten fast durchgängig die Äste haben hängen lassen. – Das ist insbesondere bei der Kreuzigungsszene zu beobachten. Ein einziger Baum lässt seine Blätter fallen, und Jesus wendet sein Gesicht dem Betrachter zu. Es ist fast so, als würde er mich fragen: Und, wo stehst du in dieser Geschichte?

Selbst wenn ich nicht so ganz sicher bin, ob ich diesen Kreuzweg in unserer Klosterkapelle haben wollte: Ein Meditieren der Bilder kann auf jeden Fall fruchtbar sein. Fotos vom kompletten Kreuzweg sind im Internet zu finden unter www.kerk-wahlwiller.nl

Zuletzt aktualisiert: 13. April 2020
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