Eine Epiphanie im Dresdner Zwinger

18. September 2012 | von

Mit der Sixtinischen Madonna hat Raffael eine göttliche Erscheinung im Auftrag des Papstes auf die Leinwand gebracht. Spektakulär soll ihr Transport nach Dresden gewesen sein und legendär ihre Ankunft. Als Kultbild verehrt, lockt sie nicht nur zum 500-jährigen Jubiläum Tausende Besucher in den Zwinger nach Dresden.



„Sehet die Madonna mit einem Gesicht voll Unschuld und zugleich einer mehr als weiblichen Grösse, in einer seelig ruhigen Stellung, in derjenigen Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten herrschen liessen. Wie gross und edle ist ihr gantzer Contur!“ Dieses höchste Lob stammt aus Joachim Winckelmanns Feder und gilt der Sixtinischen Madonna von Raffael. Unmittelbar nach dem Ankauf durch August III. hatte der Urvater der deutschen Kunstgeschichte das Meisterwerk zu Gesicht bekommen und als solches erkannt. Edle Einfalt und stille Größe, gemessen an den Vorbildern der antiken Kunst – nicht allein den Ansprüchen des Klassizismus hält Raffaels Madonna stand, bis heute begeistert sie die Besucher der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau am Zwinger. Anlässlich ihres 500-jährigen Jubiläums würdigten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das Kultbild mit einer Sonderausstellung, die von Mai bis August dieses Jahres „sowohl den kunst- und kulturhistorischen Kontext als auch die Rezeptionsgeschichte“ beleuchtete.



MADONNA IN CONVERSAZIONE

Schwer hängt der grüne Vorhang von der Vorhangstange am oberen Bildrand. Er ist zu beiden Seiten gerafft, und der Maler enthüllt die geistige Welt für unser profanes Auge. Raffael präsentiert eine Epiphanie: Die irdische verwoben mit der himmlischen Sphäre. Auf Wolken schreitet Maria dem Betrachter entgegen, unter den Blicken Hunderter Engelsköpfe im Hintergrund, und bringt das Jesuskind. Ihr liebevoller Griff vermittelt innige Verbindung zwischen Mutter und Sohn. Zentral, in sich ruhend, vollkommen erhaben, präsentiert Raffael eine Madonna in Glorie, wobei er die übliche Symbolform der mandelförmigen Glorie in gelbes Licht abstrahiert, das vom Marienkörper auszustrahlen scheint, um sanft im Blau des Himmels zu verlaufen. Farben und Ebenen fließen zusammen und leiten den Blick des Betrachters, ohne Klarheit zu vermitteln. So changiert die Madonna zwischen Hintergrund und Vordergrund hin und her, bis sie bald im Bild zu schweben scheint. Ihre ernsten Augen blicken aus dem Bild hinaus, als erahne sie am Betrachter vorbei die kommende Passion des Sohnes. Rechts zu Mariens Füßen befindet sich die heilige Barbara von Nicomedia, deren Reliquien im Mittelalter in der Klosterkirche von Piacenza aufbewahrt wurden. Für den Hochaltar dieser  Kirche war das Gemälde bestimmt, das statt auf der traditionellen Holztafel auf Leinwand gemalt ist. Die Märtyrerin hat demutsvoll den Kopf zur Seite gewandt und ist Pendant zum heiligen Sixtus, dem Kirchenpatron. Dieser deutet mit seiner Hand auf die irdische Welt, während er den Kopf der Gottesmutter zuwendet. Der Bildtypus der Sacra conversazione (thronende Madonna, von Heiligen umgeben), die Raffael noch in der Madonna von Foligno in originärer Weise zeigt, erfährt hier eine Abwandlung: Die Madonna thront nicht, auch befindet sie sich nicht im direkten Gespräch mit dem Heiligen und Fürsprecher der Gläubigen.



MALERISCHER MALERFÜRST

Dennoch besteht eine große Präsenz, was die Forschung prägnant so umschreibt: „Das ältere Bild [die Madonna von Foligno] enthält eine himmlische Erscheinung, die Sixtinische Madonna ist eine solche.“ Raffael ist bekannt für seine Madonnendarstellungen, aber auch seine Malweise und Tätigkeit am Bau des Petersdoms demonstrieren sein umfangreiches Können. Besonderen Wert legt er auf sinnliche Nachvollziehbarkeit. Seine Figuren wirken beseelt, individuell und überzeugen durch ihre Plastizität und Lebendigkeit. In Rom, wo er im Alter von nur 37 Jahren stirbt, entwickelt der Künstler eine „malerische Malerei“, die durch weiche Farbverläufe besticht. Räumlichkeit kreiert er durch die Figuren selbst, so kann er sich vom streng mathematischen System perspektivischer Darstellungen lösen. Die Sixtinische Madonna gilt als Meisterwerk der Hochrenaissance. Dass es sich bei Raffael um einen wahren Meister handelt, verrät schon das Privileg, nur unter seinem Vornamen bekannt zu sein. Auch heute ist sein voller Name Raffael da Urbino, der auf seinen Geburtsort zurückgeht, meist nur Fachleuten geläufig. Das genaue Geburtsdatum ist unbekannt und wird etwa auf das Frühjahr 1483 datiert. Seine Mutter Magia Ciarla stirbt bereits 1491 und bald darauf 1494 auch der Vater, der Goldschmied und Maler Giovanni Santi. Raffael geht nach Perugia, wo er in der Werkstatt von Pietro Vanucci, auch Perugino genannt, Anstellung findet. Unter den Fittichen des Lehrers reift das Talent des jungen Malerlehrlings zu früher Größe. So macht er sich 1504 auf nach Florenz, wo er seine Vorbilder wie Michelangelo, Leonardo da Vince oder Masaccio studiert. Malerisch wie auch kompositorisch lässt er sich gerne inspirieren und sucht ständig seinen Stil zu vervollkommnen.



MÄZENATEN UND MACHTPOLITIK

Bald dringt sein Ruf von Florenz an den päpstlichen Hof in Rom. Papst Julius II. beauftragt ihn zunächst mit der Ausmalung der päpstlichen Privatgemächer, der Stanzen. Neben Raffael arbeiten daran schon fieberhaft sein ehemaliger Lehrer Perugino, sowie Signorelli und Bramantino. Doch die hohe Qualität soll den Papst so überzeugt haben, dass er den gesamten Auftrag an den 25-Jährigen übergab und die bereits gearbeiteten Fresken zur Schmach der anderen Künstler wieder abschlagen ließ. Papst Julius II. ist nicht nur machtpolitisch, sondern auch als Kunstmäzen legendär. Die Grundsteinlegung für den Neubau von Sankt Peter, ebenso wie die Ausgestaltung der Sixtinischen Kapelle durch Michelangelo, fallen in seine Amtszeit. Der Auftrag zur Sixtinischen Madonna ist nicht überliefert, doch deutet einiges auf ihn als Stifter hin. Obgleich sich hinter den Gesichtszügen des heiligen Sixtus nicht das übliche Stifterporträt des Papstes verbirgt, weist eine goldene Eichel auf der Spitze der Tiara, mit der die linke Bildraumecke abschließt, ebenso wie in den Papstmantel eingewobenes Eichenlaub auf den edlen Spender hin. Der Eichenbaum gehört zum Familienwappen von Julius II., der mit bürgerlichem Namen Giuliano della Rovere hieß, was übersetzt Eiche bedeutet.

Außerdem forderten kirchenpolitische Gründe ein besonderes Geschenk für das Städtchen Piacenza, das gerade dem Kirchenstaat beigetreten war und so den Triumph des Papstes über die französischen Besetzer besiegelte.



SEHNSÜCHTIG ERWARTET

Doch wie kommt das kostbare Gemälde von Italien nach Dresden? Wieder war ein Herrscher und leidenschaftlicher Kunstsammler ausschlaggebend. August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, suchte händeringend nach einem Raffael, um seine Sammlung hochgradiger Alter Meister zu komplettieren. Ganze zwei Jahre dauerten die zähen Verhandlungen mit dem Abt des Klosters in Piacenza, Benedetto Vittorio Caracciolo, von 1752 bis 1754, und beinahe wäre die Ausfuhr zuletzt an Zollbestimmungen gescheitert. Für einen unvorstellbar hohen Preis und mitten im Winter schließlich konnte es bei widrigsten Wetterverhältnissen und über „Strecken des Teufels“, wie Reisebegleiter dokumentierten, endlich nach Dresden geliefert werden. Die Legende besagt, August III. habe bei Ankunft eigens den Thronsessel zur Seite gerückt und ausgerufen: „Platz für den großen Raffael!“ Damit beginnt auch die Erfolgsgeschichte: Aus dem Schatten der Klosterkirche, wo es 240 Jahre von der Welt übersehen worden war, rückt die Madonna Sistina ins Licht einer stetig wachsenden Öffentlichkeit.

Als Exponat eines der ersten Museen Deutschlands steigerte sich die Bedeutung des Bildes schon allein durch die nicht minder berühmte Nachbarschaft. Richtige Kultbeförderer waren sicherlich die Engelchen am unteren Bildrand. Lieblich, kitschig, himmlisch süß, zählen sie längst zu bekannten Werbeträgern, und manch einer mag bisweilen vergessen, welcher Szenerie sie seit 500 Jahren versonnen beiwohnen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016