Eine Heilige zwischen Brokat und Lumpen

26. Februar 2007

Brot allein stillt das Leid der Armen nicht, das wusste schon die heilige Elisabeth. Großherzig, aber kontrolliert verteilte sie ihre Gaben. Mit konsequenter Lebenshaltung übte die thüringische Landgräfin Sozialkritik und wird Vorbild in tätiger Nächstenliebe.


In Marburg an der Lahn spielt sich 1229 eine Szene ab, die beispielhaft die christliche und franziskanische Haltung der heiligen Elisabeth erschließt. An einem einzigen Tag verteilt die ehemalige Landgräfin 500 Mark, ein Viertel ihres Witwengutes. Alle Bettler aus einem Umkreis von etwa 90 Kilometern, die sich im Hof des Hospitals versammelt haben, erhalten sechs Kölner Pfennige. Das ist soviel wert wie sechs Hühner, 72 Heringe oder ein kleines Schwein.

Kontrollierte Spende. Schon als Fünfjährige soll die ungarische Königstochter aus religiösen Motiven den zehnten Teil ihrer Spielgewinne und andere Geschenke armen Mädchen abgegeben haben. Als Gegenleistung verlangt sie von ihren Spielkameradinnen, dass sie einige Vaterunser und Ave Maria beten. So belässt sie ihnen ihre Würde. Auch als Erwachsene kennzeichnen Weitsicht, Einfühlungsvermögen, Liebe zu Gott und den Menschen sowie Organisationstalent das Verhalten der Landgräfin. Während der großen Hungersnot von 1224 bis 1226 lässt sie in Abwesenheit ihres Mannes alle Kornkammern der vier Fürstentümer Thüringen, Sachsen, Meißen und Schmalkalden öffnen. Dem Weiterverkauf zu Wucherpreisen beugt sie vor, indem sie nur Tagesrationen verteilt und die Brotausgabe selbst kontrolliert. Um sie nicht dauerhaft zu Almosenempfängern zu machen, gibt Elisabeth nach Aussage ihrer Dienerin Isentrud „allen, die arbeiten konnten, Hemden und Schuhe, damit sie ihre Füße an den Stoppeln nicht verletzten, und Sicheln, damit sie mähen und sich von ihrer eigenen Arbeit ernähren könnten". Den Arbeitsunfähigen lässt sie Kleider kaufen oder verschenkt eigene seidene Gewänder und Schmuck.

Der Mensch als Maßstab. Hatte sie bereits 1223 mit ihrem Mann in Gotha ein Hospital gebaut, lässt sie nun ein weiteres Haus mit 28 Betten unterhalb der Wartburg herrichten. Mehrmals am Tag wagt sie den beschwerlichen Ab- und Aufstieg, um Kranke zu speisen und aufzurichten. Trotz der verdorbenen Luft im Hospital habe Elisabeth „die Kranken fröhlich mit den Händen" berührt und „mit ihrem Kopftuch den Speichel, den Schleim und den Schmutz der Ohren und Nasen aus den Gesichtern" gewischt.

Auf der Wartburg spinnt Elisabeth mit ihren Dienerinnen Wolle für die Kleidung der Minderbrüder und der Armen. Niemals zuvor – so die Zeitzeugen – sei eine Königstochter beim Wolle-Spinnen gesehen worden. Eigenhändig näht die Adelige Taufkleider und Totenhemden. Bei armen Kindern wird sie Taufpatin; mittellose Verstorbene wäscht und bekleidet sie selbst und nimmt an der Beerdigung teil. Kein Weg ist ihr zu weit, keine Wohnung zu schmutzig, um etwa Wöchnerinnen zu besuchen. Sorgsam teilt sie allen zu, was ihrer Notlage am besten abhelfen kann.

Vorbildfunktion. Neben den leiblichen und geistlichen Werken der Barmherzigkeit vollbringt Elisabeth auch Werke der Gerechtigkeit. Das zeigt sich vor allem an der Konsequenz, mit welcher die Fürstin das von ihrem Beichtvater Konrad von Marburg auferlegte Speisengebot umsetzt.

Caesarius von Heisterbach berichtet: „Nie berührte sie etwas, was vielleicht von unrechten Steuern und Fronabgaben herrühren konnte." Dann gab sie nur vor zu essen und zog es vor, hungrig vom Tisch aufzustehen. Mit dieser Art Sozialkritik provoziert sie Vorwürfe und sorgt reichlich für Ärger. Als Ludwig auf dem Weg ins Heilige Land viel zu jung stirbt, wird die Witwe samt ihren Kindern vom Hof vertrieben. Um ihren Kindern die Zukunft nicht zu verbauen, entscheidet sich Elisabeth, sie bei Verwandten, beziehungsweise die jüngste Tochter Gertrud nach ihrer Entwöhnung im Kloster der Prämonstratenserinnen in Altenberg unterzubringen. Sie selbst lebt fortan – von einem mystischen Erlebnis bestärkt – ganz in
der Nachfolge des armen Christus.

Schon bevor Ludwig zum Kreuzzug aufbrach, hatte sich Elisabeth entschieden, nach seinem etwaigen Tod nicht mehr zu heiraten. Am Karfreitag 1228 erneuert sie in der Franziskanerkirche ihr Gelübde. Konrad von Marburg hindert sie daran, ganz ihrem Besitz zu entsagen, damit sie weiterhin für die Armen sorgen könne. Wie ihre Schwiegermutter Sophie oder später ihre Tochter Gertrud hätte die junge Witwe in ein Kloster eintreten und in Klausur als Adelige unter ihresgleichen leben können. Stattdessen entscheidet sie sich für ein Leben mitten unter den Armen.

Karriere nach unten. Begeistert vom Armutsideal des Franziskus baut sie mit einem Teil ihres Witwengutes ein Krankenhaus in Marburg und bildet eine Hospitalgemeinschaft. Die Laienschwestern duzen sich und tragen, wie viele Mitglieder der damaligen Laienbewegungen, des franziskanischen Dritten Ordens oder die Beginen einen Habit aus ungefärbter Wolle. Ihre konsequente „Karriere nach unten" fasziniert noch heute. Die „Mutter der Armen" ist Inbild christlicher Nächstenliebe. Als Krankenpflegerin, Seelsorgerin und Laienschwester praktizierte Elisabeth Grundhaltungen, die nach wie vor Caritas und Diakonie bestimmen. Sie prüfte den Einzelfall, achtete auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, schöpfte Ermessensspielräume zu Gunsten der Notleidenden aus, leistete Hilfe zur Selbsthilfe und prangerte ungerechte Strukturen an. Gleichzeitig verband sie soziales Management mit Gemeinwesenarbeit und vollem Einsatz an der „Basis". Jede soziale Einrichtung, die nach ihrem Namen benannt ist, tut gut daran, ihr Leitbild an der Lebensleistung dieser großartigen Frau zu messen!


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016