Eine Zeit der Reinigung

24. Februar 2012

Vierzigster Tag vor Ostern, einfach Quadragesima, lautet die lateinische Bezeichnung für die österliche Bußzeit. Sie beginnt am Aschermittwoch, läuft auf Ostern zu und wird deshalb von Ostern her gezählt. Nach der Feier von Tod und Auferstehung Jesu – dem Herzstück unseres Glaubens – herrscht sieben Wochen lang Jubel. Auch der Name Pfingsten ist nur eine Zahl, das griechische

pentekostä hämera, der fünfzigste Tag. Einen guten Start in diese liturgisch wichtige Zeit von neunzig Tagen!



Zweimal im Jahr ist landläufig ein „Ritual der Vorsatz-Bildung“ angesagt. Ab und an werde auch ich persönlich danach gefragt: „ ….und was nehmen Sie sich vor?“ So zu hören beim Jahreswechsel am Silvesterabend und zum Abschluss der fünften Jahreszeit in der Nacht vom Faschingsdienstag auf den Aschermittwoch. Für unsere Glaubensgeschichte hat der zweite Termin eine wesentlichere Bedeutung, weil es um das Ganze geht: um das Geheimnis von Tod und Auferstehung. Gefragt sind für das ab dem 11. Oktober 2012 ausgerufene Jahr des Glaubens gerade „glaubwürdige und frohe Zeugen des auferstandenen Herrn“, so Papst Benedikt.



FASTENVORSÄTZE

Wir bereiten uns in diesen 40 Tagen auf das Fest dessen vor, der uns durch die Dunkelheiten von Leid und Tod ins überhelle Licht von Ostern mitnehmen will. Die Bandbreite der Fastenvorsätze ist sehr groß. Es wäre spannend, eine Blitzumfrage in der eigenen Umgebung abzuhalten: Schluss mit dem Feierabendbier, Apfel statt Schokolade, gute Nachrichten statt nur Krisenberichte, mehr Zeit füreinander statt Alleine-Surfen, tägliche Lektüre des Fastenkalenders, z.B. von Misereor oder von der Hamburger Redaktion „Andere Zeiten“... Stellen wir diese menschlichen Bemühungen um Veränderung von äußeren Lebensgewohnheiten und inneren Einstellungen in einen weiten Zusammenhang! Hängen wir sie an den Nagel Liturgie des Aschermittwochs, denn da gibt es wegweisende Worte und ein markantes Zeichen – auch für Künstler und Künstlerinnen!

Worte weisen Wege vom Menschen zu Gott – und umgekehrt! Die Weltkirche eröffnet die Messfeier des ersten Tages der österlichen Bußzeit mit dem Eingangsvers: „Du erbarmst dich aller. Du hast Nachsicht mit den Sünden der Menschen, damit sie sich bekehren. Du bist der Herr, unser Gott.“ Die Perspektive setzt also nicht beim Menschen an und irgendwelchen Verzichten, sondern führt in den Herz-Raum göttlichen Erbarmens.



SICH FINDEN LASSEN VON GOTT

Unsere Suchbewegungen nach Maß und Mitte haben ein Voraus: Gottes eigenen Vorsatz, sein Suchen nach dem Menschen in dessen Verkümmerungen und Verlorenheiten. Als Mensch darf ich mich finden lassen. Im Evangelium des Aschermittwochs werden wir Jahr um Jahr mit dem gleichen Kernstück der Bergpredigt konfrontiert, dass alles Mühen um Almosengeben, Beten und Fasten (beachte das Beten in der Mitte der Vollzüge!) vor dem Angesicht dessen geschieht, der das Verborgene sieht und dem alles Unwahrhaftige zuwiderläuft. Wieder geht also der Blick weg vom Menschen hin zum Geheimnis Gottes, das uns Jesus als Vaterunser erschlossen hat.



ASCHE REINIGT

Das schlichte Zeichen: Berührung mit Asche ist still und doch äußerst beredt. Es zeugt von einer tiefen Verbindung mit der christlichen Geschichte und mit der weltweiten Glaubensgemeinschaft, ja sogar mit der Menschheit. Asche ist nicht nur Überrest nach Verbrennungen von Dingen, Tieren oder Menschen; sie wird religiös je nach Kulturkreis sehr verschieden gedeutet. Nach Evangelium und Auslegung im Gottesdienst am Aschermittwoch folgt das Auflegen der Asche im Zeichen des Kreuzes.

Als Kind habe ich dieses Anfangsritual der österlichen Bußzeit mit einem gewissen Unbehagen empfangen. Zum einen wirkte die leise Formel des Priesters in Latein irgendwie bedrückend, die Erwachsenen um mich wirkten sehr ernst: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.“ Deshalb verwende ich seit meiner Priesterweihe vielleicht lieber die zweite, offiziell vorgesehene Formel: „Kehr um und glaub an das Evangelium!“ Zum anderen schämte ich mich, in der Klasse als katholischer Bub am Aschenkreuz ganz offensichtlich erkannt werden zu können und als „fromm“ aufzufallen. Später erfuhr ich den tieferen Sinn der Asche auf Haupt oder Stirn, was uns ja auch sehr mit dem Judentum verbindet (vgl. Jona und sein Umkehrappell in Ninive): Es ist ein Ja zur gedeihlichen Verwandlung und Lebensänderung, ein Zeichen der Trauer und der Reinigung. Mit Asche reinigt man Gefäße.



EMOTIONALE KLARHEIT

Religiöse Reinigung hat verschiedene Dimensionen und prägt seit vielen Jahren unsere Bildungsarbeit im Kloster Schwarzenberg in der gesamten Fastenzeit. Die leibliche Seite sehen wir stets im Zusammenhang mit der inneren Reinigung bei der Begleitung unserer vielfältigen Fastenkurse – je nach „Bekömmlichkeit“ nach Otto Buchinger oder Hildegard von Bingen, ob als Einführungskurs oder verbunden mit Tanzen, Wandern, Kreativität, Schweigen. Täglicher Gottesdienst, „fastentechnische Impulse“, Bewegung und vor allem die Gruppe werden als sehr hilfreich für den Reinigungsweg erlebt.

Reinigung meint aber auch einen Weg zu emotionaler Klarheit: nicht im Kleinmut zu versumpfen oder in der Überheblichkeit zu landen. Hier erinnere ich mich gerne an die besonderen Anbetungszeiten vor dem eucharistischen Herrn im Schweigen unmittelbar nach der Katastrophe von Fukushima in der Fastenzeit 2011. Die Flut der Chaosbilder und mehr noch die dramatischen Schicksale der betroffenen Menschen hatten dort ihr „heilsames Widerlager“, die Hostie als unzerstörbare Mitte des Lebens und Kraft zum menschlichen Beistand.



BEWEGLICHKEIT UND UMKEHR

Reinigung bezieht sich auch auf den Umgang mit der Sprache und der Gedankenwelt: auf vorschnelle Urteile gegenüber anderen zu verzichten – sich selbst nicht zu verurteilen, sondern das Urteil dem ANDEREN zu überlassen – mit dem Reden zu beginnen, wo kühles Schweigen ist.

Reinigung hat auch praktische Konsequenzen für mich: die sogenannte Klosterzelle auszuräumen und miteinander konkrete Zeichen der Solidarität mit den Armen zu setzen. Ordensintern gewinnt die österliche Bußzeit in diesem Jahr eine besondere Bedeutung. Es ist abzusehen, dass einige Mitbrüder im Zuge der Weichenstellungen des Provinzkapitels im März 2012 ihre Sieben Sachen (?) packen und umziehen werden. Auch für die Zurückbleibenden ist eine innere Bewegung der Annahme der „Neuen“ angesagt. Beweglichkeit ist ein wesentliches Element gelebter Umkehr und Reinigung im Frühjahr 2012 für uns Mitbrüder alle.



LIEBE OHNE ANGST

Zum Schluss noch ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus! Am Aschermittwoch begegnen sich in 100 Städten zwei „ungleiche Schwestern“: Kunst und Kirche. Der Aschermittwoch der Künstler hat oft einen Dreischritt: (ökumenischer) Gottesdienst mit Aschenkreuz – Vortrag mit Begegnung – Kollekte für notleidende KünstlerInnen. Angeregt durch die Initiative von Paul Claudel, dem katholischen Schriftsteller und Journalisten, hielt Josef Kardinal Frings in Köln im Jahr 1950 erstmals dieses Treffen ab.

Meine Aufmerksamkeit gilt am Aschermittwoch gerade auch diesen Begegnungen. In diesem Jahr denke ich besonders an den Karlsruher Grafiker und Bildhauer Emil Wachter, der am 12. Januar 2012 im 91. Lebensjahr heimgegangen ist. Seit meinem Besuch der Autobahnkirche St. Christophorus bei Baden-Baden mit einer studentischen Clique auf dem Weg zum Katholikentag in Freiburg 1978 gehen mir seine Darstellungen nicht mehr aus dem Sinn. Er gestaltete das Zelt Gottes innen mit Skulpturen und Bildern. Auf die Frage, wozu er auf der Welt sei, antwortete er einmal: „Um wieder dahin zu gehen, woher wir kommen. In die andere Welt, die sich in jeder Freude und in jedem Weh hier schon anmeldet… Liebe ohne Angst – das wäre es wohl.“ Einen gesegneten Weg nach Ostern!


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016