09. Mai 2007

Erlebnis Neue Welt

lughäfen habe ich schon immer geliebt, fast so sehr wie das Fliegen selbst: Diese Atmosphäre von Kommen und Gehen, Abschied nehmen und sich begrüßen, Menschen voller Hoffnung und Ängstlichkeit, freudiger Erwartung und schüchterner Zurückhaltung. Eine Mixtur dieser Gefühle machte sich auch bei mir breit, als ich am 22. Februar von Frankfurt aus mit einer Maschine der Lufthansa gen Washington startete. Der Flug verlief ruhig, und die Sicht auf die Welt von oben war herrlich und klar: Mit einer Geschwindigkeit von ca. 950 Stundenkilometern näherte sich das Flugzeug in etwa 10.000 Metern Flughöhe über die Niederlande, Schottland, den Atlantik und Kanada den USA.

Grenzkontrollen. Nach gut acht Stunden Flug kam ich in der amerikanischen Hauptstadt an, angesichts der zu überwindenden Hürden namens „Einwanderungsbehörde" und „Zoll" mit ziemlichem Herzklopfen. Noch im Flugzeug hatte ich zwei Formulare ausfüllen müssen – was ich nach zwei Anläufen endlich auch korrekt zustande brachte. Auf amerikanischem Boden hieß es dann, sich einzureihen in lange Schlangen, Fingerabdrücke abzugeben, sich fotografieren zu lassen und möglichst unaufgeregt zu wirken, denn die ganze Atmosphäre ist durchaus etwas angespannt und man weiß nicht so recht, was einem noch alles bevorsteht... Aber nachdem ich dann etliche Male erklärt hatte, wer ich bin und was ich hier will, durfte ich passieren – hinein in das Land mit den (angeblich) unbegrenzten Möglichkeiten.

Schon von weitem sah ich das Schild „Br. Andreas Murk", gehalten vom Ausbildungsleiter Bruder Martin Day, der versprochen hatte, mich am Flughafen abzuholen, mit einem fröhlichen „Welcome to the United States!" Nach knapp einer Stunde Fahrt, mitten durch den Feierabendverkehr, kamen wir im Konvent der Franziskaner-Minoriten (Conventual Franciscan Friars) in Washington an, meinem Zuhause für das nächste halbe Jahr.

Neue Heimat. Der Konvent hier besteht aus drei einzelnen Häusern und beherbergt das Juniorat (zurzeit acht Brüder, die an der Universität studieren) und das Postulat von drei amerikanischen Provinzen (Immaculate Conception Province, Saint Anthony of Padua Province, Our Lady of Consolation Province). Meine Sehnsucht nach einem Bett, um die Zeitverschiebung von sechs Stunden ausgleichen zu können, wurde nicht erfüllt: Stattdessen wurde ich bei einem guten Abendessen offiziell in die Gemeinschaft aufgenommen. Und auch in den nächsten Tagen war für Ruhe und Erholung wenig Zeit: Die Brüder zeigten mir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Washingtons (allen voran Kapitol und Weißes Haus), und angesichts der mir vorgesetzten Mengen an Essen überlege ich mittlerweile ernsthaft, ob ich nicht beginnen sollte, Sport zu treiben…

Kaum ein paar Tage in Washington angekommen und eingelebt, wurde ich zu einem Ausflug nach New York eingeladen. Von den Einwohnern wird die Acht-Millionen-Metropole auch Big Apple (großer Apfel) genannt. Ich habe mich kundig gemacht und herausgefunden, dass dieser Spitzname auf die Stallburschen in New Orleans zurückgehen soll, die New Yorks Pferdeszene so bezeichneten. Denn statt der big money bekamen die Pferde der zwei großen Rennen stets einen Apfel zur Belohnung, einen big apple.Von Washington aus braucht man per Auto gut vier Stunden, um am Ziel New York anzukommen. Der Konvent, in dem ich und meine zwei Reiseführer, Bruder Matthew Foley und Bruder Nicholas Spano, für die drei Tage wohnen sollten, befindet sich im Stadtteil Brooklyn. Die drei dort stationierten Brüder kümmern sich um die Seelsorge an der übrigens von deutschen Einwanderern erbauten Kirche, die der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht ist. Ein großer Teil der Gemeindemitglieder spricht Spanisch, ein kleinerer Teil hat einen polnischen Hintergrund, so dass für Multikulturalität gesorgt ist. Immer mehr, so berichtet der Guardian, Pater Santo Cricchio, wird das Sozialzentrum beansprucht, das in den Räumen des Klosters untergebracht ist und von den Brüdern personell aufgefangen wird. Hier finden sozial Schwache Hilfe und Unterstützung.

Ground Zero. Die Lage des Klosters ist für die Erkundung der Stadt ideal: Die nächste U-Bahn-Station ist gerade einmal 200 Meter entfernt. Per U-Bahn erreicht man ziemlich schnell alle Punkte dieser riesigen Stadt; um das Liniensystem zu durchschauen, braucht man allerdings einige Zeit: Immerhin gibt es 26 Linien und 476 Haltestationen…

Der Weg führte uns auch zum Ground Zero, dem Platz, wo bis zum 11. September 2001 das World Trade Center stand. Bei den Terroranschlägen vor sechs Jahren kamen etwa 3.000 Menschen um ihr Leben, darunter ein Franziskaner, Pater Mychal Judge (OFM), der als Kaplan der Feuerwehrleute im Einsatz war. Nach umfangreichen Aufräumarbeiten und der Bestattung von gefundenen Leichenteilen wird nun wieder gebaut: Fünf Wolkenkratzer sollen entstehen, darunter der „Freedom-Tower", und dennoch soll Raum bleiben zu einem würdigen Gedächtnis an die Opfer. Bisher sind Blumen Zeugen für die Trauer der Hinterbliebenen, und ein kleines Museum dient als Gedächtnisstätte für die Opfer.

Nach drei Tagen – Freiheitsstatue, Rockefeller Center, UN-Hauptquartier… – ging es dann zurück nach Washington. Zusammenfassend ein erster Eindruck: Trotz anderer Kultur und einiger Sprachschwierigkeiten fühlte ich mich nach wenigen Tagen schon wie zu Hause – dank der Gastfreundlichkeit der amerikanischen Brüder und ihrer bewundernswerten Unkompliziertheit.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016