Erneuerung im Schweigen

12. April 2007

Als die Verehrung der Bewohner von Cortona für Franziskus täglich größer wurde, erfüllte er ihren Wunsch und beschloss, außerhalb der Stadt eine Niederlassung zu errichten, um dort die neuen Brüder zu unterrichten." So schildert P. Ph. Bernardi, der Generalminister der Kapuziner, 1691 in seinen Reiseberichten den Ursprung der franziskanischen Niederlassung von Le Celle, in einer Waldschlucht hinter der Stadt Cortona. Wer durch den Wald wandert und in Le Celle ankommt, die Brücke des Großherzogs aus dem Jahr 1728 überschreitet und auf dem Plätzchen vor der Kirche steht, dem öffnet sich ein überraschendes Bild, das Geist und Gemüt unmittelbar anspricht.

Zu Füßen des Berges Sant’Egidio, unmittelbar über dem linken Ufer eines Sturzbaches, liegt der Konvent aus mehreren Gruppen kleiner Häuschen, eines über dem anderen. Trotz der Vielfalt eine wunderbare Harmonie! Ihnen gegenüber kleine Gärtchen, liebevoll gepflegt. Überall Stufen, Terrassen, Blumen, Stützmauern, Pfeiler, Bäume. Auf der Höhe ein Wald von Eichen und Zypressen.

Dieses Bild spricht vom Ideal der Armut, der Einfachheit, des Schweigens. Die neue Stadt der Liebe und des Friedens scheint hier schon verwirklicht.

Vier Besuche. Nachweislich war Franziskus viermal in diesem Heiligtum. Zu Beginn des Jahres 1211 kam er von Perugia nach Cortona. Als Ernte seines Apostolats in Wort und Beispiel durfte er zwei große Gestalten Cortonas in seine Gemeinschaft aufnehmen: Bruder Elias und Guido Vagnotelli. In Le Celle errichtete er die ersten Zellen für Brüder. Die Fastenzeit dieses Jahres verbrachte er auf der Isola Maggiore des Trasimener Sees, doch am Mittwoch der Karwoche kehrte er nach Le Celle zurück und feierte die drei heiligen Tage und das Osterfest mit den Brüdern dort.

Aus Spanien zurückkommend, machte Franziskus 1214 erneut Halt in Le Celle. Er sorgte dafür, dass der selige Guido von Cortona zum Priester geweiht wurde, und bestimmte den Bruder Vitus dei Viti, einen Adeligen aus Cortona, für die Mission im Heiligen Land. Sein vierter Besuch war im Jahr 1226. Franziskus hielt sich in Siena auf, um sein Augenleiden behandeln zu lassen. Er wurde schwerkrank, so dass er dem Tode nahe schien
(1 Celano 105).

Erweiterungen. Der selige Guido wollte, wie Lucas Wadding berichtet, in noch größerer Einsamkeit leben und noch freier die Betrachtung pflegen. So erbat er sich von Franziskus die Erlaubnis, in einer Bergwölbung rechts des Sturzbaches eine Zelle bauen zu dürfen. Diese Erlaubnis erhielt er unter der Bedingung, dass er zum Stundengebet mit den übrigen Brüdern zusammenkäme. 1232 errichtete Bruder Elias das zweite Stockwerk des Konventes, gewissermaßen auch als Sicherung für die Zelle des Franziskus. Diese blieb das geistige Zentrum für die wachsende Brüderzahl.

1250 erbaute Bruder Elias mit vielen seiner Brüder den Konvent in der Stadt Cortona; ein Teil der Brüder, das waren die besonders eifrigen, blieben in Le Celle, darunter der selige Guido. Sie wollten das Andenken an Franziskus erhalten, während sich die Brüder in der Stadt umso intensiver dem Apostolat widmeten. Hier wird wieder die große Bandbreite franziskanischen Lebens sichtbar: Kontemplation und Aktion. Wo diese beiden Elemente nicht zusammen hochgehalten wurden, kam es zu Spannung und Spaltung. In der Franziskuskirche der Stadt ist auch heute noch das Grab des großen Bruders Elias von Cortona.

Ab 1304 lebten in Le Celle die Fraticelli. Das waren Gefolgsleute des Franziskus, die um die strengste Form der Armut rangen. Ihr Aufenthalt dauert nicht lange. 200 Jahre blieb die Einsiedelei verlassen.

Neue Bewohner. Nach 1500 waren die Städte zu geschäftig, zu laut, um uneingeschränkt den Geist der Einsamkeit, des Gebetes und der Armut zu pflegen. Man wollte wieder zurück zum ursprünglichen franziskanischen Ideal. Die ersten Versuche begannen 1517. Den zweiten Anlauf machte Matthäus von Bascio aus dem Fürstentum Urbino. Er fand Gefolgsleute. Es entstand die Reformbewegung der Kapuziner. Papst Klemens VII. gab ihnen 1528 die endgültige Anerkennung. Sie hatten die Erlaubnis, in Einsiedeleien nach der Regel des Franziskus zu leben, einen Bart zu tragen, um Almosen zu betteln, Priester und Laien aufzunehmen. Ihr Name war abgeleitet von der speziellen Form ihrer Kapuze. 1529 kamen sie nach Le Celle. Sie vergrößerten das vorhandene Gebäude, indem sie zu den zehn Zellen des Franziskus und seiner Brüder andere hinzufügten, die das obere Dormitorium (Schlafraum) bilden. Sie bauten auch eine Krankenabteilung und die Kirche. Diese Erweiterung wurde mit viel Einfühlungsvermögen und Ehrfurcht vor dem Überkommenen ausgeführt.

Zwar gab es auch in Le Celle staatliche Unterdrückung beziehungsweise Aufhebung (1795 zwangsweise Schließung des Noviziats, 1807 Schließung des Konvents, 1810 Aufhebung des Konvents, 1814 Wiedereröffnung, 1866 erneute Vertreibung der Kapuziner), doch der Geist des heiligen Franziskus erwies sich immer wieder als stärker. Auch heute führen Kapuziner in Le Celle ein vorbildliches franziskanisches Leben.

Rundgang. Das Oratorium der Wundmale oder der Novizen ist im Wesentlichen das alte Dormitorium der Brüder des Franziskus: sieben Meter lang, drei Meter breit; ein unregelmäßiger, einfacher Steinbau. Die Mauern stützen sich auf den gewachsenen Felsen neben dem Sturzbach. Die heutige Form geht auf das Jahr 1634 zurück, als dieses Oratorium ein wenig verlängert wurde, um den Altar aufstellen zu können. Die zwei Fenster sind nicht verglast, sondern mit Tuch bespannt. So war es früher in allen franziskanischen Niederlassungen.

Über 400 Jahre lang versammelten sich hier die Novizen zum Gebet und wurden unterrichtet über die Suche nach Gott, das Schweigen, die Meditation, die Demut, die Armut, den Auszug aus den bürgerlichen Verhaltensweisen, die Opfergesinnung, die liebevolle Nachfolge des gekreuzigten Christus.

Durch eine enge, niedrige Tür, auf der die Worte stehen: „Zieh deine Schuhe aus, denn dieser Ort ist heilig", erreicht man von diesem Oratorium aus die Zelle des Franziskus. Sie ist nur
1,80 Meter breit, 2,50 Meter lang und 1,90 Meter hoch. Licht erhält sie über ein Fensterchen. Hier hatte Franziskus seinen Ruheplatz.

Der Gang der Novizen. Über dem zweiten Stockwerk des Bruder Elias errichteten die Kapuziner im 16. Jahrhundert ein drittes Geschoss, dessen Zellen alle das Maß zwei mal zwei Meter haben. Das Kirchlein geht vermutlich auf die Zeit der Fraticelli zurück; nach Änderungen durch die Kapuziner wurde es 1634 eingeweiht.

Le Celle ist wohl das erste franziskanische Noviziat. Lucas Wadding schreibt: In dieser bescheidenen Kapelle sammelte unser Vater Franziskus gerade am Anfang seines Ordens viele Gefolgsleute als Novizen; er selber sorgte für sie sowohl was ihre Frömmigkeit als auch was ihren Lebensunterhalt betraf. Häufig nahm er einen der Novizen mit sich, ging predigen und sammelte unter dem Volk Almosen. In Le Celle redet alles von der Erneuerung des franziskanischen Ideals. Große Gestalten wie Franziskus von Assisi, Antonius von Padua, Bonaventura von Bagnoreggio, Laurentius von Brindisi haben hier Gott im Schweigen, im Gebet und in der Einsamkeit gefunden.

Wer aus dem Lärm und der Hektik von Betriebsamkeit und beruflichem Stress in diese Einsiedelei kommt, spürt bald in sich eine wunderbare Veränderung. Über Schweigen und Gebet gelangt er zu Gott.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016