Erste Frau mit Stimmrecht

08. November 2021 | von

Der Direktor der englischsprachigen Ausgabe des Sendboten hat ein exklusives Interview mit Sr. NathalieBecquart geführt. Sie ist erste Frau überhaupt, die stimmberechtigt an der Bischofssynode teilnimmt. Seit Februar 2021 wirkt sie dort als Untersekretärin.

Schwester Nathalie, können Sie uns etwas über Ihre Kindheit und die Entwicklung Ihrer religiösen Berufung erzählen?

Ich bin in Frankreich aufgewachsen und bin das älteste Kind einer Familie mit fünf Kindern. Meine Eltern sind gläubige Katholiken, also wuchs ich in einem katholischen Umfeld auf und besuchte katholische Schulen. Als Teenager ging ich zu den katholischen Pfadfindern, schloss mich einer eucharistischen Jugendbewegung an und begann, während der Messe Flöte zu spielen. Als ich meine Ausbildung an der höheren Handelsschule in Paris abgeschlossen hatte, spürte ich zum ersten Mal meine Berufung zu einem geistlichen Leben.

Wer war die wichtigste Person in Ihrer religiösen Erziehung?

Meine Großmutter mütterlicherseits. Sie wurde in jungen Jahren Witwe, als sie ihr viertes Kind erwartete. Sie war eine tiefgläubige Person, die in ihrer Gemeinde sehr aktiv war; sie besuchte Menschen im Gefängnis und nahm Flüchtlinge in ihrem Haus auf. Sie war auch eine gute Oma für uns, wir konnten ihr Engagement für Christus und die Kirche wirklich sehen.

Was hat Sie dazu bewogen, in das 1921 gegründete Institut La Xavière einzutreten, das der ignatianischen Spiritualität verpflichtet ist?

Am Ende meines Studiums im Jahr 1992 habe ich ein Jahr lang als Freiwillige in Beirut, Libanon, gearbeitet. Dort lernte ich viele junge Ordensleute kennen, die auch nach all den schwierigen Jahren des Bürgerkriegs fröhlich waren und ihren Glauben mit Begeisterung bezeugten. Dort, weit weg von meiner Heimat und meinem kulturellen Hintergrund, machte ich eine starke spirituelle Erfahrung. Ich spürte den Ruf zum Ordensleben, insbesondere durch den Einfluss der ignatianischen Spiritualität. Zu dieser Zeit lernte ich eine Schwester kennen, die dem Institut La Xavière, missionnaire du Christ Jésus angehörte. Als ich nach Frankreich zurückkehrte, arbeitete ich als Beraterin im Bereich Marketing und Kommunikation und hatte Gelegenheit, weitere Xavière-Schwestern kennenzulernen. Ich spürte, dass es sich um Frauen handelte, die stark in Christus verwurzelt, aber auch sehr in der Welt engagiert waren. Ihr Motto: Leidenschaftlich für Christus – leidenschaftlich für die Welt, hat mich sehr angesprochen. Ich spürte, dass La Xavière der Ort sein könnte, an dem ich Christus im Ordensleben folgen könnte. Die Xavière-Schwestern arbeiten in vielen verschiedenen Bereichen. Sie pflegen ein missionarisches Charisma, das auf Versöhnung und Einheit abzielt, und versuchen, Verbindungen zu denen herzustellen, die außerhalb der Kirche stehen.

Hatten Sie während Ihrer Ordensausbildung und in den ersten Jahren Ihres Ordenslebens jemals Zweifel? Oder dachten Sie, dass Sie vielleicht den falschen Lebensweg gewählt hatten?

Ich hatte viele Zweifel. Am Anfang hatte ich ein sehr unruhiges Leben. Wie viele junge Menschen war ich mir nie sicher, ob ich den richtigen Weg gewählt hatte, und so erlebte ich bis zu meinen endgültigen Gelübden viele Krisen und Zweifel. In der Zeit des Prüfens und Entscheidens habe ich immer wieder erlebt, wie der böse Geist versuchte, mich von der Berufung zur Nachfolge Christi im Orden abzubringen. Nach meinen endgültigen Gelübden aber fühlte ich mich in dieser Entscheidung verwurzelt.

Zum ersten Mal überhaupt hat der Vatikan eine Frau in die Bischofssynode berufen. Sie sind nämlich eine der beiden Untersekretäre und die erste Frau mit Stimmrecht in der Synode. Waren Sie überrascht, als der Papst Ihnen dieses Amt anbot?

Ich war sogar sehr überrascht, denn ich hätte mir nie vorstellen können, dass Papst Franziskus mir dieses Amt anbieten würde. Aber ich habe es als einen Ruf des Papstes, der Kirche und Gottes aufgefasst, und so habe ich angenommen. Als der Papst mich anrief, hatte ich gerade eine Studie über die Synodalität abgeschlossen und die Erfahrung der Synode über die Jugend gemacht, so dass ich glaube, dass der Heilige Geist mich zu diesem Amt geführt hat, auch wenn es unerwartet war.

Können Sie den Sendboten-Leser/innen erklären, was Sie als Untersekretärin tun?

Die Bischofssynode hat ein „Ständiges Büro“, und als Untersekretärin arbeite ich in einem Team mit einem anderen Untersekretär und anderen Mitarbeitern an der Organisation der kommenden Synoden. Die Bischofssynode ist eine Institution, die als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils eingerichtet wurde. Unter der Leitung unseres Generalsekretärs, Kardinal Mario Grech, sind wir direkt Papst Franziskus unterstellt, der unserem Synodenrat vorsitzt. Wir bereiten die Vorbereitungsdokumente für die Synoden und den synodalen Prozess vor. Unsere Aufgabe ist es auch, die Synodalität zu fördern. Persönlich leite ich die Kommissionen für Spiritualität und Methodik, halte Vorträge, gebe Webinare und Kurse und schreibe Artikel.

Zu meiner Arbeit gehört auch der Kontakt zu einer großen Zahl von Menschen in den verschiedenen Diözesen, Bischofskonferenzen und kirchlichen Bewegungen auf der ganzen Welt sowie die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Dikasterien hier im Vatikan. Es ist eine sehr anspruchsvolle Arbeit, aber es macht mir Freude, der Kirche zu helfen, synodaler zu werden.

Was ist Ihre Meinung zu dem Bestreben, mehr und mehr Frauen in den Dienst des Vatikan zu nehmen – und die Gleichberechtigung der Frau auch auf der Ebene der Pfarreien und Diözesen voranzutreiben?

Während der letzten beiden Synoden, der Synode über die Jugend und der Synode über das Amazonasgebiet, wurde der Ruf nach einer stärkeren Beteiligung von Frauen an der Leitung der Kirche laut, und ich war beeindruckt von der Tatsache, dass ich nach meiner Ernennung viele Botschaften der Unterstützung erhielt, nicht nur von Frauen, sondern auch von Priestern, Ordensleuten, Bischöfen usw. In der Kirche herrscht das Gefühl, dass die Frauen eine größere Rolle spielen sollten. Diese Frage der Frauen ist ein Zeichen der Zeit. In Frankreich beruft die Kirche immer mehr Frauen in Führungspositionen, und ich bin eines dieser Ergebnisse. Leider gibt es immer noch einige Länder, in denen es für Frauen schwierig ist, eine mächtigere Stimme zu haben, aber Papst Franziskus unterstreicht immer wieder, dass er die Frauen innerhalb der Kirche stärken möchte.

Die Synode, die letzten Monat in Anwesenheit des Papstes begann, steht unter dem Thema: Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Mission. Könnten Sie bitte die Bedeutung dieses Themas für unsereLeser/innen erläutern?

Die Synode selbst zielt darauf ab, der Kirche zu helfen, synodaler zu werden. Synodal bedeutet, dass wir lernen müssen, gemeinsam als Volk Gottes zu leben. Wir müssen erkennen, dass die Kirche die Kirche aller Getauften ist; dass jeder getaufte Katholik eine Stimme in ihr hat; dass jeder Getaufte gehört werden muss; dass jeder Getaufte aufgerufen ist, sich zu beteiligen. Die Schlüsselwörter lauten daher: Gemeinschaft, Teilhabe und Mission. Dies ist der neue Stil, als Kirche zu leben, aber in Wirklichkeit ist es der Stil der Kirche seit ihren Anfängen, denn die Synodalität ist ein konstitutives Element der Kirche. Diese Synodalität wird es uns ermöglichen, besser auf den Heiligen Geist zu hören und uns von ihm leiten zu lassen, damit wir eine heiligere Kirche werden.

Wie ist die Kirche unter Papst Franziskus synodaler geworden? Wie kann dieses neu entdeckte Bewusstsein der Kirche helfen, ihren Auftrag zu erfüllen?

Papst Franziskus hat seit seiner Wahl vier Synoden einberufen, zwei über die Familie, eine über die Jugend und eine über die Seelsorge im Amazonas-Gebiet. Papst Franziskus hat nachdrücklich betont, dass man auf das Volk Gottes hören muss. Er betont auch, dass die Kirche heute dazu berufen ist, eine missionarische Kirche zu sein, in genau dieser Zeit der Geschichte in dieser Welt zu sein und eine synodale Kirche zu sein. Die letzten beiden Synoden haben deutlich gemacht, dass die einzige Möglichkeit, den Glauben heute weiterzugeben, darin besteht, eine missionarische Kirche zu sein, und Synodalität ist immer „missionarische Synodalität“. Es geht nicht in erster Linie darum, die Kirche besser zu organisieren, sondern darum, in größerer Harmonie miteinander zu leben und zu arbeiten: Kardinäle, Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien.

Die Synode zur Synodalität wird an vielen Orten, auf verschiedenen Ebenen und zu verschiedenen Zeiten stattfinden. Wie können unsere Leser/innen an der Synode teilnehmen? Was können und sollten sie in den Prozess einbringen?

Zunächst möchte ich Ihre Leserinnen und Leser ermutigen, das Vorbereitungsdokument zu lesen, das einen guten Einblick in das Thema der Synode gibt und das auf unserer Website zu finden ist: https://www.synod.va. Nun hat die Synode verschiedene Phasen. Die erste Phase hat letzten Monat in allen Diözesen der Welt begonnen und wird bis April 2022 dauern. Ich möchte die Leser des Sendbote des hl. Antonius wirklich ermutigen, sich in ihren Diözesen, in ihren Pfarreien, in ihren Gemeinschaften und Bewegungen an diesem Prozess des Zuhörens und der Unterscheidung zu beteiligen. Diese erste Phase ruft zum Zuhören und zur Unterscheidung in den Ortskirchen auf.

Heutzutage besteht, zumindest in unserer westlichen Zivilisation, die allgemeine Tendenz, die Religion immer mehr in den privaten Bereich zu verlagern. Glauben Sie, dass es neben den spirituellen und moralischen Aspekten der Religion auch soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte gibt?

Wir können die spirituelle Dimension unseres Glaubens nicht von der sozialen Dimension trennen, denn unser Glaube ist ein inkarnierter Glaube. Gott zu lieben bedeutet, sich gegenseitig zu lieben. Die Evangelisierung ist daher mit der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen verknüpft. Aus diesem Grund helfen uns die Tradition und die Lehre der Kirche, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte unseres Glaubens zu berücksichtigen. Wir müssen in der Welt sein, um mit allen in Dialog zu treten und dazu beizutragen, eine bessere Welt für alle zu schaffen. Papst Franziskus hat dies in seinen Enzykliken Fratelli Tutti und Laudato Sì sehr stark betont, wo er versucht, eine ökologische Umkehr zu fördern, um Geschwisterlichkeit und Freundschaft aufzubauen.

Wie würden Sie Gott für einen Nicht-Gläubigen definieren?

In Dei Verbum, einem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, werden wir ermutigt, uns Gott als Freund vorzustellen, und genau das tut auch Papst Franziskus in seiner apostolischen Exhortation Christus Vivit, in der er schreibt, dass wir den Menschen helfen müssen, Gott nicht als jemanden zu betrachten, der weit weg und transzendent ist, sondern als jemanden, der uns sehr nahe ist, als einen Freund. Natürlich ist Gott ein Geheimnis, aber Christus ist gekommen, um für uns zu sterben, um unser freundschaftlicher Begleiter zu werden. Dies ist der beste Weg, um Nichtgläubigen zu helfen, Gott zu entdecken, denn wir alle haben eine Erfahrung von Freundschaft.

In welchen Momenten Ihres Lebens fühlen Sie sich Gott am nächsten?

Da gibt es viele Momente. Einer der wichtigsten ist, wenn ich die Schönheit der Schöpfung betrachte oder wenn ich auf dem Meer segle. In diesen Momenten fühle ich mich Gott sehr nahe, weil ich das Gefühl habe, dass die Schöpfung ein Geschenk Gottes, des Schöpfers, ist und dass Gott durch seine Schöpfung gegenwärtig ist. Ich fühlte mich Gott auch bei einigen kirchlichen Veranstaltungen wie der Synode über junge Menschen in Rom sehr nahe. In diesem Monat spürte ich stark die Gegenwart Jesu Christi unter uns, der mit uns ging, während wir einander zuhörten. Bei diesen Treffen bekommt man das Gefühl, dass die katholische Kirche wirklich universell ist, und es bringt mich immer wieder zum Staunen, wie wir trotz all der Unterschiede in Bezug auf Rasse, Sprache und kulturellem Hintergrund auf diese Weise vereint sein können.

Berufungen zum Ordensleben und zum Priestertum sind seit vielen Jahren rückläufig. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen für dieses Phänomen? Und was können wir tun, um Berufungen zu fördern?

Eine der Hauptursachen ist, dass wir keine christliche Gesellschaft mehr sind. In Frankreich zum Beispiel ist der Anteil der Priester und Ordensleute proportional im Verhältnis zur Zahl der Menschen, die regelmäßig in die Kirche gehen. Das heißt in der Konsequenz: Je weniger Familien ihren Glauben praktizieren, desto weniger Berufungen wird es geben. Wir wissen auch, dass Berufungen in der Regel aus großen Familien kommen, und je kleiner die Familien werden, desto weniger Berufungen gibt es.

Es kommt aber auch darauf an, wie man es betrachtet. Auch wenn wir weniger Priester und Ordensleute haben, gibt es mehr hoch engagierte Laien als früher. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil lag der Dienst der Kirche hauptsächlich in den Händen von Priestern und Ordensleuten, aber jetzt, nach dem Konzil, ist jeder berufen, ein missionarischer Jünger zu sein, und es gibt immer mehr kirchliche Laienmitarbeiter/innen.

Wir müssen alle Berufungen fördern, nicht nur die priesterlichen und die zum Ordensleben. Zum Beispiel ist die Ehe auch eine Berufung! Und wenn wir alle Berufungen fördern, werden wir damit auch Berufungen zum Priestertum und Ordensleben fördern, denn es ist bekannt, dass Priester und Ordensleute in der Regel aus frommen Familien stammen. Wir müssen daher eine Kultur der Berufung fördern und umsetzen und jedem getauften Katholiken helfen, seine Berufung zu erkennen, denn jede und jeder hat eine Berufung! Viele Menschen wissen das nicht, weil sie denken, dass Berufung nur etwas mit Priestern und Ordensleuten zu tun hat.

 

Nathalie Becquart wurde 1969 in Fontainebleau, Frankreich, geboren. Nach ihrem Studium trat sie 1995 dem Ordensinstitut der Xavière-Schwestern bei. Sie studierte Theologie und Philosophie am Centre Sèvres, der Pariser Jesuitenhochschule, sowie Soziologie. Anschließend absolvierte sie ein Theologiestudium an der Boston College School of Theology and Ministry und spezialisierte sich auf Ekklesiologie, indem sie Forschungen zur Synodalität durchführte. Auf Ebene der Französischen Bischofskonferenz war sie für die Studentenseelsorge in Frankreich mitverantwortlich und von 2012 bis 2018 war sie Direktorin der Ämter für die Jugendevangelisation und die Berufungspastoral der Französischen Bischofskonferenz.

Am 24. Mai 2019 wurde sie zusammen mit vier weiteren Frauen und einem Mann als Beraterin in das Generalsekretariat der Bischofssynode berufen. Sie gehörte zu den ersten Frauen, die in dieses Amt berufen wurden. Am 6. Februar 2021 ernannte Papst Franziskus sie zur Untersekretärin der Bischofssynode und machte sie damit zur ersten Frau, die an der Bischofssynode stimmberechtigt teilnimmt. Nathalie Becquart ist Autorin mehrerer Bücher.

Zuletzt aktualisiert: 08. November 2021
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