Erstes deutsches Retortenbaby - Embryos aus dem Glas

19. März 2007 | von

Vor 25 Jahren wurde das erste deutsche Retortenbaby geboren. Heute zählt die einstige Sensation schon zu den Routineverfahren. Aber machen uns strahlende Eheleute im lang ersehnten Elternglück die Schattenseiten einer Forschung mit dem Leben vergessen?

 

Als im Juli 1978 in England Louise Brown, das erste im Reagenzglas („in vitro“) gezeugte Kind, zur Welt kam, war dies eine Sensation und der Anfang einer zügigen Entwicklung:

Am 16. April 1982 wurde in Erlangen das erste deutsche Retortenbaby geboren: Oliver W. Drei Jahre später dokumentierte man den ersten Fall von Leihmutterschaft, bei dem eine fremde Frau das zuvor künstlich gezeugte Kind eines Paares austrug. Es folgten das erste Kind, das aus einer eingefrorenen Eizelle entstand, und das erste, das als Embryo, bald nach der Vereinigung von Samen- und Eizelle, außerhalb des Mutterschoßes zunächst eingefroren wurde. 1998 wurde erstmals ein erwachsen gewordenes Retortenbaby selbst Mutter, übrigens die jüngere Schwester von Louise Brown, des ersten in vitro gezeugten und geborenen Menschen. Im vergangenen Winter war Louise Brown noch einmal in den Schlagzeilen, als sie Mutter eines (natürlich gezeugten) Sohnes wurde.

Diverse Verfahren. Hatten die ersten Retortenbabys noch Schlagzeilen und Diskussionen provoziert, so ist diese Art der künstlichen Befruchtung, die so genannte In-vitro-Fertilisation (IVF), heutzutage medizinischer Alltag. Jährlich werden weltweit bis zu 200.000 Retortenkinder geboren, es gibt wohl bereits drei Millionen von ihnen. Die IVF ist eine Hoffnung für die etwa zwei Millionen Paare (10 bis 15 Prozent), die in Deutschland ungewollt (wegen verengter Eileiter, zu geringer Spermienanzahl oder ähnlichem) kinderlos sind.

Bei der Frau werden dazu durch Hormongabe besonders viele Eizellen produziert, die dann vom Arzt entnommen und mit dem aufbereiteten Sperma des Mannes zusammengebracht werden. Manchmal entstehen dadurch auch mehrere Embryonen. Sie werden der Mutter dann in die Gebärmutter eingeführt. Es beginnt das bange Warten, ob sich wohl einer oder gar alle einnisten. Die „Erfolgsquote“ liegt bei etwa 20 Prozent.

Ist die Spermienqualität des Mannes so schlecht, dass eine spontane Befruchtung im Reagenzglas oder der Petrischale unmöglich ist, kann man noch einen Schritt weitergehen und ICSI anwenden, die „intracytoplasmatische Spermien-Injektion“. Hierbei wird ein Spermium direkt in eine Eizelle injiziert. Seit 1994 wird in dieses Verfahren auch in Deutschland angeboten.

So weit die zwei wichtigsten Verfahren. Doch wie so oft in der Wissenschaft, stellt sich hierbei heute wie vor 25 Jahren die Frage: Ist alles erlaubt, was machbar ist?  

Babywahl. Die Kirche bezieht klar Stellung: Da die Zeugung im Reagenzglas die Einheit von ehelichem Akt und Zeugungsakt sprengt, gilt sie als „moralisch unannehmbar“ (Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 2377), umso mehr, wenn Ei und Samen nicht vom Ehepaar selber, sondern von einem Spender stammen. Was hierzulande noch verboten ist, wird in anderen Ländern bereits praktiziert. Dort kann ein Kind theoretisch bis zu drei Mütter haben: eine genetische, die Eizellenspenderin, eine „biologische“ Leihmutter, in deren Gebärmutter es aufwächst, und eine „soziale“, bei der es leben wird und die es „in Auftrag gegeben hat“.

Und dieses In-Auftrag-Geben birgt weitere Anfragen. Wie weit ist noch der Weg hin zu „Designerbabys“, deren genetische Ausstattung von den Eltern „bestellt“ wird? Die Embryonen im Reagenzglas können auf alles Mögliche genetisch getestet werden, vom Geschlecht bis hin zu Erbkrankheiten. Da in der Regel mehrere Embryonen entstehen, kann man gezielt auswählen, welcher eingesetzt werden soll. Dieses Verfahren nennt sich „Präimplantationsdiagnostik“, kurz PID. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz eine solche Auswahl, ähnliches gilt für die Schweiz und Österreich. Erlaubt ist eine Polkörperdiagnose vor der vollständigen Vereinigung von Ei- und Samenzelle. Bei dieser können aber nur Erbkrankheiten der Mutter gefunden werden. Viele fordern daher die Freigabe der PID, zumindest für Eltern, bei denen eine erbliche Belastung bekannt ist.

Verbrauchende Forschung. Ebenso wird vielerorts gewünscht, dass Embryonen tiefgefroren werden dürfen (Kryokonservierung). In Deutschland dürfen nämlich bei einer IVF nur bis zu drei Eizellen befruchtet werden. Denn weder darf es überzählige Embryonen geben noch soll es zu selektiven Abtreibungen kommen, wenn sich so viele Embryonen in der Gebärmutter einnisten, dass eine gesunde Schwangerschaft unmöglich wird. Da jedoch die Prozedur für die Frau belastend ist, gibt es den Wunsch, dieses Gesetz zu ändern, um bei einem Durchgang mehr Embryonen „herstellen“ und dann einfrieren zu können.

Doch was geschieht mit den „aussortierten“ Embryonen? Einfrieren für weitere Versuche? Und wenn die Eltern später keine weiteren Kinder wollen? Und was ist mit Embryonen, die man für „lebensunwert“ erklärt hat? Längst werden Stimmen laut, solche überschüssigen Embryonen für die Forschung zu verwenden.

Es stehen also viele Fragen im Raum, wenn sich der Mensch zum Schöpfer macht. Eine strenge Rechtsprechung in unseren Ländern ist in diesen globalen Zeiten nur bedingt wirkungsvoll. Längst entwickelt sich ein „Tourismus“ in Länder, die bestimmte Verfahren gestatten, und wo deutsche Paare auf Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches hoffen. Auch die „verbrauchende Forschung“ an Embryonen steht andernorts nicht still. Deren Ergebnisse werden dann auch in Deutschland genutzt, wo diese Forschung selber aber verboten ist. Ist dies nicht eine Doppelmoral?

Viele Fragen, auf die es je nach Gesprächspartner sehr unterschiedliche Antworten gibt. Die Kirche ist in den Jahren nicht müde geworden, die Würde jedes Menschen vom Moment der Zeugung an zu betonen und seinen Schutz zu fordern.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016