Evangelisierung, Mission und Weltkirche

15. Dezember 2011 | von

Als Vorsitzender der Kommission Weltkirche bei der Deutschen Bischofskonferenz kann unser Autor bei dieser Thematik sozusagen aus dem Vollen schöpfen. Unsere Leser profitieren davon, zumal er bei Antonius und Franziskus anknüpft. Es wird deutlich, dass Evangelisation, Mission und weltkirchliche Arbeit kein „Hobby“ Einzelner sein kann, sondern Auftrag und Chance der Gesamtkirche ist, der Bistümer und auch der Pfarrgemeinden.



Durch die Mission ist der heilige Antonius geworden, was er war und was er für uns heute bedeutet: Franziskaner, unablässiger Betrachter des Wortes Gottes, Prediger und Wundertäter! Aus gesundheitlichen Gründen konnte er nicht als Missionar in Afrika bleiben, so wurde er Missionar in Europa.



DER MISSIONAR ANTONIUS

Evangelisation und Mission gehören von Anfang an zum Franziskanertum. Die Regel des heiligen Franziskus spricht im 12. Kapitel von jenen Brüdern, „die auf göttliche Eingebung hin unter die Sarazenen oder andere Ungläubigen gehen wollen“, und dass sie sich dazu von ihren Provinzialministern die Erlaubnis erbitten sollen. Die nichtbullierte Regel beschreibt im 16. Kapitel die beiden „Missionsmethoden“, die der heilige Franziskus wünschte: „Die Brüder sollen bekennen, dass sie Christen sind.“ In einem zweiten Schritt, „wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefällt“, dürfen sie dann auch „das Wort Gottes verkünden“. Die Mission hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Orden sich festigte und mehrte, wie man an der Biographie des heiligen Antonius feststellen kann.

Franziskus war selber im Jahr 1219 zu den Sarazenen gegangen und hatte vor dem Sultan in Damiette das Evangelium verkündet. Bei ihm, beim heiligen Antonius und den ersten Franziskanern kann man auch den Unterschied und den Zusammenhang von Evangelisation und Mission wahrnehmen: Evangelisation ist der Inhalt, die Frohe Botschaft, die zu allen Menschen gelangen soll, Mission ist die Sendung, die von Jesus Christus ausgeht und durch die Kirche weitergeführt wird. Deshalb soll und darf kein Franziskaner ohne kirchliche Sendung, das heißt ohne „Missio“ durch den Papst und den Oberen, in die Mission zu den Ungläubigen gehen.



KEINE EINBAHNSTRASSE

Evangelisation und Mission müssen heute anders stattfinden als im 12./13. Jahrhundert. Damals gab es in vielen Teilen der Welt keine Christen und keine Kirche. Heute ist die Kirche überall weltweit präsent und die Kommunikationswege sind kurz. Es gibt im 21. Jahrhundert keinen Flecken auf der Landkarte, der nicht zu einer Ortskirche gehört. Evangelisation und Mission werden deshalb heute mit „weltkirchlicher Arbeit“ zusammengebracht. Missionsarbeit besteht seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil darin, die Ortskirchen zu stärken, damit diese ihre Aufgaben der Glaubensverkündigung, des Gottesdienstes und der Caritas in ihrer Umgebung und ihrem Land immer besser ausführen können. Sie ist Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei stellen die weltkirchlichen Partner fest, dass alle dabei gewinnen.



AUSTAUSCH DER GABEN

Weltkirchliche Arbeit ist keine Einbahnstraße, sondern „win-win-Situation“. Sie ist Auftrag und Chance für alle Partikularkirchen, durch Gebet mit- und füreinander, durch immer besseres einander Kennenlernen und durch konkrete Solidarität untereinander, immer mehr die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ zu werden. Weltkirchliche Arbeit bedeutet, den Austausch der Gaben unter den einzelnen Ortskirchen zu fördern, um die katholische Kirche zu bilden, die in und aus den Ortskirchen besteht. Pfarrgemeinden, Ordensgemeinschaften und kirchliche Vereine, die bewusst in weltkirchlicher Offenheit leben, sind lebendiger als die, die keine Beziehungen zu Kirchen in anderen Ländern und Kontinenten pflegen. Das erlebe ich bei meinen Besuchen im eigenen Bistum und als „Weltkirchenbischof“ in vielen Diözesen Deutschlands immer wieder. Weltkirchliche Zusammenarbeit gibt den Gemeinden und Gemeinschaften „frischen Wind“ für ihr Leben und Wirken vor Ort.

Aber auch im Ausland wird mir von afrikanischen, asiatischen, osteuropäischen und südamerikanischen Gemeinden oft freudig berichtet, mit wem sie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz Kontakt haben und was das für sie bedeutet. Weltkirchliche Arbeit umfasst den Austausch über den Glauben, das Glaubensleben und die Glaubensverkündigung, über die Feier der Gottesdienste und über die Caritas.

Welcher Austausch von Gaben ist heute nötig und förderlich für die Weltkirche und die Kirche in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Ich kann nur ein paar Beispiele nennen.



DIE BIBEL TEILEN

Mit „Die Bibel teilen“ meine ich nicht die Methode des „Bibelteilens“, wie sie in kirchlichen Gruppen und geistlichen Gemeinschaften gepflegt wird. In den Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas hungern viele Menschen nach dem Wort Gottes, sie hätten gern eine Bibel, aber sie können nicht einmal ein Neues Testament erwerben, weil das Geld fehlt. Wir können ihnen helfen, eine Bibel zu kaufen.

Christen oder am Christentum Interessierte in den Missions- und Entwicklungsländern möchten auch das Wort Gottes richtig verstehen. Dazu benötigen sie ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, Bibelschulen und Bibelkurse. Wir in Europa könnten ihnen das mit unseren finanziellen Mitteln ermöglichen. Das sind Formen, „die Bibel zu teilen“.

Im Gegenzug können wir von unseren Schwestern und Brüdern in den Missionsländern die hohe Wertschätzung der Heiligen Schrift wieder lernen. Bei uns besitzen viele eine Bibel und alle können sich eine zulegen. Aber oft fehlt das Interesse, sie zu lesen. Bei den „Kleinen christlichen Gemeinschaften“ in Korea und in Südafrika habe ich erlebt, wie aus dem Lesen und Betrachten aktive Christgläubige entstehen, die sich in ihrer Pfarrgemeinde einsetzen und die Gesellschaft christlich prägen.



NEUE SICHT DER KIRCHE

In der katholischen Kirche in Deutschland erleben wir derzeit einen tiefgreifenden Wandlungsprozess, den viele als Krise bezeichnen und als Abbruch erfahren. Die einen sprechen dabei von Glaubenskrise, die anderen von Kirchenkrise und spielen diese gegeneinander aus. Doch der christliche Glaube und die christliche Kirche sind nicht voneinander zu trennen. „Ein Christ ist kein Christ“ sagten schon die Kirchenväter. Christsein ist auf Gemeinschaft angelegt, das hat Jesus selbst so bestimmt. Der Glaube entfaltet sich in der Kirche und die Kirche lebt vom Glauben und den Charismen der Christen.

In den Kirchen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas kommt kein Katholik auf den Gedanken, Kirche und Christsein zu trennen. Die Christen in der Weltkirche bringen uns Katholiken in Deutschland und Europa vielmehr das Wort der Kirchenväter neu ins Bewusstsein: „Wer die Kirche nicht als Mutter hat, kann Gott nicht als Vater haben.“

Weltkirchliche Arbeit soll zum persönlichen Austausch über den Glauben und das Christsein mit den Schwestern und Brüdern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa führen. In der persönlichen Begegnung lernen wir voneinander. Wir Europäer der alten Kirche können bei den jungen Kirchen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens eine unverkrampfte und spontane Religiosität erleben. Sie sind nicht, wie wir oft, nur verschämt, sondern „unverschämt“ katholisch, auch im öffentlichen Leben.



GASTFREUNDSCHAFT UND LEBENSFREUDE

Die Christen dort haben auch einen „Herzenszugang“ zu Gott und Jesus Christus, zu Maria und den Heiligen. Sie können unserem oft „verkopften“ Glauben die Dimension „Herz und Gemüt“ schenken, was uns gut tut. Mit ihnen lernen wir die Volksfrömmigkeit, z. B. Wallfahrten und Prozessionen, das Familiengebet, die regelmäßige Beichte und Sonntagsmesse wieder mehr schätzen. Für die Katholiken dort ist eine Berufung zum Priestertum oder Ordensleben für die ganze Familie eine große Ehre. Für die Eucharistiefeier nehmen sie weite Wegstrecken auf sich und für ihr Glaubensleben auch Nachteile und Verfolgungen durch den Staat oder andere Religionsgemeinschaften.

Die Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner teilen spontaner, was sie haben, als wir. Die unkomplizierte christliche Gastfreundschaft ist eine wichtige christliche Tugend. Die Menschen in den Entwicklungsländern haben viel Geduld und halten auch in großen Leiden durch. Selbst Katastrophen, wie zum Beispiel das Erdbeben in Haiti, können sie im Glauben und in der christlichen Hoffnung ertragen, ohne zu verzweifeln. Sie sind trotz vieler Entbehrungen und Mängel lebensfroh, optimistisch und zukunftsorientiert. Wir können von ihnen Selbstlosigkeit und Zuversicht, Einsatz und Hingabe, Vertrauen und Hoffnung aus dem Glauben lernen.



UNSERE PROBLEME WERDEN KLEINER

Die jungen Kirchen und die Menschen im Süden haben ganz andere, viel existenziellere Sorgen als wir, zum Beispiel um das tägliche Brot, das mehr als eine Milliarde der Menschheit nicht hat. Arbeit zu finden ist in den Entwicklungsländern eine alltägliche Herausforderung; 80 Prozent sind in unserem Sinn in vielen Ländern des Südens arbeitslos. Die Menschen dort wissen auch, wie wichtig Bildung für ihre Kinder und deren Zukunft ist. Die Schule zu besuchen, dafür das nötige Geld, Schulkleidung, Bücher, Schreibmaterialien zu bekommen, ist eine existenzielle Herausforderung für 90 Prozent der Familien. Schule in Reichweite, Schulgeldfreiheit, ausgebildete Lehrer überall wie bei uns gibt es nicht.

Krankheiten sind viel bedrohlicher als hierzulande. Ärzte, Krankenhäuser, Medikamente sind für viele weit entfernt und finanziell unerschwinglich. Diese Erkenntnisse durch weltkirchliche Offenheit sollen unsere Solidarität anregen und können uns helfen, unsere Probleme realistischer zu sehen und sie gelassener anzugehen.



MISSIONARISCH KIRCHE SEIN

„Kirche ist missionarisch oder sie ist nicht Kirche“, so die Bischöfe aus Lateinamerika und der Karibik bei ihrer 5. Generalversammlung 2007 im brasilianischen Aparecida. Auch bei uns spüren wir die Notwendigkeit, bewusster zu evangelisieren und zu missionieren. Letztlich wird alles darauf ankommen, dass sich das missionarische Bewusstsein auch in den einzelnen Katholiken, Gemeinden und Gemeinschaften entfaltet.

Papst Benedikt XVI. hat eine Synode zur Evangelisierung ausgerufen. Dabei geht es vor allem um die Evangelisierung in Europa. Für diese Neuevangelisierung können wir viel lernen von der Evangelisierung in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Sehr wichtig für Mission und Evangelisation ist es, sich für die verfolgten und bedrängten Christen einzusetzen. Das Christentum ist die meistverfolgte Religion weltweit. Mit Zahlen muss man vorsichtig sein, aber nach Schätzungen der deutschen Bundesregierung werden derzeit hundert bis zweihundert Millionen Christen weltweit verfolgt oder benachteiligt.



BEDRÄNGTE UND VERFOLGTE CHRISTEN

In vielen Regionen der Welt bedeutet Christsein, um Leib und Leben bangen zu müssen. Die Möglichkeiten zur Evangelisation sind eingeschränkt oder verboten. Wir in Europa müssen den verfolgten Christen beistehen, indem wir für sie beten und Kontakt zu ihnen halten; das bestärkt und baut sie auf. Wir müssen zweitens – auch zusammen mit unseren Politikern und Regierungen – Verfolgungen von Christen in die Öffentlichkeit bringen und uns mit allen Möglichkeiten dafür einsetzen, dass sie aufhören; die Religionsfreiheit muss überall gewahrt werden. Drittens bedürfen die verfolgten Christen besonders der solidarischen Hilfe; bei Verfolgungen werden oft Gotteshäuser, Gemeindezentren, Schulen, selbst Krankenhäuser zerstört. Sie möglichst bald wieder aufzubauen, ist für die Evangelisation und Mission der Kirche vor Ort von größter Bedeutung.

Nicht selten geht die Bedrängnis und Verfolgung auch von den anderen Religionen aus. Der interreligiöse Dialog ist in der weltkirchlichen Arbeit unabdingbar.

Evangelisation – Mission – weltkirchliche Arbeit sind Auftrag und Chance, das Reich Gottes der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude allen Menschen zuteilwerden zu lassen. Darum ging es Jesus, darum muss es der Kirche gehen. Das Evangelium will allen Menschen „das Leben in Fülle“ (Joh 10,10) bringen.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016