Franziskaner unter Muslimen

16. September 2019 | von

Unser Autor ist seit September 2017 Mitglied der Generalleitung der Franziskaner (OFM). Der Generaldefinitor blickt auf eine lange eigene Geschichte im Dialog mit Muslimen zurück, unter anderem von seiner Zeit in Istanbul und Projekten in Köln sowie seinem Studium der Islamwissenschaft. 

Franziskus hatte schon zwei Mal versucht, zu den Muslimen zu gelangen, um ihnen friedlich das Evangelium zu predigen. Er hatte genug Erfahrungen mit Krieg in seiner Jugend gemacht, sodass er jedes gewalttätige Vorgehen zutiefst ablehnte und allen Menschen Frieden und Versöhnung bringen wollte, so auch den Muslimen. Zuerst wollte er mit Gefährten in die Levante, doch das ungünstige Wetter auf See hinderte ihn daran. Später zog er gen Marokko. Nun war es Krankheit, die ihn daran hinderte, den Muslimen zu begegnen. Doch war es ihm ein wichtiges Anliegen. So zog Franziskus erneut nach dem Pfingstkapitel 1219 und während des fünften Kreuzzuges ins Nildelta bei Damiette in Ägypten. Er kritisierte die Kreuzfahrer und verhieß deren Niederlage, und im August oder September 1219 zog er mit einem Gefährten ins muslimische Lager und begegnete dem Sultan von Ägypten, al-Malik al-Kamil auf friedliche Weise. Impulse dieser Begegnung mit dem frommen Muslim und der muslimischen Umgebung trug er zurück nach Assisi. So schrieb er das Gebet des Lobpreises des Allerhöchsten, das an die 99 Namen Gottes der Muslime erinnert. Er forderte, vielleicht inspiriert vom Gebetsruf der Muezzine, die Kustoden und die Lenker der Völker auf, die Gläubigen mehrmals täglich oder abends zu einem Gebet aufzurufen, ein Vorläufer des Angelus-Gebetes, das in der ganzen katholischen Welt verbreitet ist.

Untertan und ohne Waffen
In der nicht bullierten Regel des Franziskus-Ordens beschrieb er im 16. Kapitel für das Leben unter den Muslimen zwei Weisen: zuerst, dass die Brüder das Zeugnis des Lebens ohne Argumente und Streit geben und jeder menschlichen Kreatur „subditus“, also untergeben und dienstbar sein sollen. Dann, aber nur wenn es Gott gefällt, dass sie das Evangelium verkünden sollten. Knappe Leitlinien, die eine Anpassung an die jeweilige Situation ermöglichten. Das dienstbare Zeugnis des Lebens unter Muslimen entspricht dem, was er den Brüdern für die Präsenz unter Christen auf den Weg gibt. „Subditus“, dienstbar, heißt, den unteren Rang einnehmen. Für eine Präsenz unter Muslimen war das revolutionär, weil Christen normalerweise nicht den Muslimen untergeben sein durften. Das und die Tatsache, dass die Brüder keine Waffen tragen durften, war die Grundlage einer jahrhundertelangen friedlichen Präsenz unter den Muslimen.

Lob und Anerkennung für die Minderbrüder
Diese franziskanische Präsenz unter Muslimen begann schon 1217 in Syrien und 1220 im Heiligen Land mit dem ersten Provinzialminister Br. Elias von Cortina, dem späteren Generalminister des Ordens. 1219 zogen die ersten Brüder nach Marokko und später auch nach Tunesien. Doch waren die Präsenzen dort erst schwach. 1226 wird der Franziskaner 
Agnellus zum Bischof von Fès ernannt, auch seine Nachfolger sind Franziskaner. Der marokkanische Kalif al-Murtada lobt 1250 in einem Brief an den Papst die Qualität des Franziskanerbischofs und die gemeinsame Zusammenarbeit. Sollten weitere Christen nach Marokko kommen, so sollten sie die gleiche geistige und moralische Qualität wie die Minderbrüder haben. Im 13. Jahrhundert gingen Franziskaner nach Ägypten und Libyen.

Seelsorge und Martyrium
Die Präsenz in muslimischen Ländern hatte keinen großen Erfolg, was die angestrebte Predigt unter Muslimen und Bekehrungen zum Christentum anging. So blieb einmal die Seelsorge an christlichen Minderheiten als Aufgabe, die durch die Jahrhunderte in islamischen Ländern gut wahrgenommen wurde. Auch waren die Franziskaner den muslimischen Nachbarn in vielerlei Hinsicht dienstbar, pflegten deren Kranke und teilten die Güter des Lebens mit ihnen. In manchen Ländern boten sie Schulunterricht für Christen und Muslime an. 
Andererseits gab es anfangs auch Minderbrüder, die glaubten, durch das Martyrium ihr Heil zu erlangen und insofern Unruhe bei den Muslimen zu stiften, die ihnen eher gut gewogen waren. Einige Beispiele: 1220 wollten die ersten Franziskaner in Marokko durch Predigten und Verunglimpfungen des Islam Märtyrer werden und haben das schließlich auch erreicht. Dasselbe führte den Bruder Paschalis de Victoria bei den Tartaren bei Almaligh im Jahr 1339 bis zum Martyrium, ebenso erlangte Bruder Livinus 1345 so in Kairo das Martyrium. 1391 hielten vier Minderbrüder eine Predigt mit Verunglimpfungen Mohammeds und des Islam vor dem Kadi von Jerusalem. Es gab andererseits aber auch häufiger Franziskaner, die in muslimischen Ländern ihr Leben für den Glauben lassen mussten, obwohl sie dort friedlich unter den Muslimen lebten.

Interreligiöse Begegnungen
Franziskaner waren päpstliche Boten bei den Mongolen, um diese zum Christentum und zur Unterstützung gegen die islamische Welt zu gewinnen. So war ab 1245 der vormalige Provinzial der deutschen 1228 gegründeten und der im Jahr 1232 daraus entstandenen sächsischen Franziskanerprovinz, Johannes von Plano Carpini, mit dem Auftrag des Papstes unterwegs, die Mongolen als Bündnispartner gegen die Muslime zu gewinnen, was jedoch nicht glückte. 1253 gelangte der flandrische Franziskaner Wilhelm von Rubruk in die mongolische Hauptstadt Karakorum, um ebenfalls den Grosskhan im Auftrag von Ludwig IX. von Frankreich zum Bündnispartner gegen die Muslime zu gewinnen. Ebenfalls erfolglos, da dieser sehr tolerant gegenüber allen Religionen war. Doch führte Wilhelm von Rubruk dort auch interreligiöse Gespräche und Diskussionen mit Buddhisten, Muslimen und nestorianischen Christen.

Widerstand gegen die Osmanen
Im damaligen Ungarn scheiterte die Eroberung Belgrads durch den osmanischen Sultan Fatih Mehmed und damit der Weitermarsch gegen Wien 1456 an der Verteidigung der Stadt durch den Franziskaner Johannes Kapistran mit vielen Freiwilligen, Studenten und religiösen Menschen, die durch Kapistrans Predigt aufgeschreckt waren. Dieser Widerstand führte dazu, dass der ungarische Feldherr Hunyadi, der den Kampf schon aufgegeben hatte, erneut gegen die Osmanen antrat. Der Kapuziner Marco d‘Aviano war Beichtvater und Freund des Kaisers Leopold I. und organisierte im Jahr 1683 erfolgreich den kampfentscheidenden Oberbefehl des polnischen Königs Jan Sobieskis mit dessen Entsatzheer zum erfolgreichen Widerstand gegen die osmanischen Truppen. Für den Oberbefehlshaber des osmanischen Sultans kämpfte aber ein entlaufener Kapuziner, Achmed Bey, als Ingenieur, nachdem er Jahre zuvor Wien ausgekundschaftet hatte.
Es gab selbst die Befürwortung von Gewalt seitens einiger Franziskaner als Kreuzzugsprediger: So hielten Franziskaner nach der Niederlage Ludwigs IX. im Jahr 1250 bei Mansura Kreuzzugspredigten in Europa. 

Dialog als Hauptaufgabe
Es gibt viele Beispiele für guten Einsatz der Franziskaner für die Verständigung mit Muslimen. In Marokko ist die Präsenz der Franziskaner fast durchgehend bis heute im Dienst auch an den muslimischen Nachbarn. In Palästina und Israel, Syrien, Jordanien, Zypern und Ägypten sind die Franziskaner in der Kustodie vom Heiligen Land seit dem 14. Jahrhundert als Vertreter der katholischen Kirche präsent. Sie organisieren mehr als zehn höhere Schulen und viele soziale Projekte für Muslime und Christen. Die Präsenz in der heutigen Türkei begann um 1217. Als Istanbul 1453 von Fatih Mehmet erobert wurde, verbrachte er die erste Nacht im Franziskanerkloster und gewährte den Christen Schutz und das Recht auf freie Glaubensausübung. In der Türkei gibt es bis zum heutigen Tag eine Präsenz der drei franziskanischen Zweige der Konventualen, Observanten und Kapuziner in Istanbul, Izmir, Antakya und anderen Orten der Türkei. Der Dialog mit dem Islam und den Ostkirchen ist Hauptaufgabe der heutigen Franziskaner in Istanbul und Izmir. In Bosnien erklärte unser bosnischer Mitbruder Anđeo Zvizdović im Namen der Franziskaner 1463 Unterwerfung unter den muslimischen Eroberer Sultan Fatih Mehmet im Austausch gegen ein Dekret der freien Religionsausübung für die Katholiken, „Ahd-name“ genannt. So hielten die Franziskaner als einzige Seelsorger die katholische Präsenz in Bosnien über die Jahrhunderte hinweg unter osmanischer Herrschaft aufrecht, friedlich unter Muslimen lebend.

Bewahrtes Erbe
Im 19. und 20. Jahrhundert gab es eine Ausweitung der Franziskanermissionen in muslimisch dominierten Ländern oder Ländern mit muslimischen Minderheiten in Asien und Afrika. Dort sind heute lebendige Provinzen entstanden, die seit Jahrzehnten den Dialog mit Muslimen pflegen. Die niederländischen Franziskaner gründeten Präsenzen in Indien und Pakistan, Indonesien mit Westpapua und Osttimor. Dialog und Verständigung werden dort täglich gelebt. Die Mitbrüder, die seit 1578 auf den Philippinen leben, gingen 1980 mit den Klarissen unter die Muslime in Mindanao, um in konfliktreichem Gebiet ein Zeugnis des Zusammenlebens zu geben.
In Afrika sind in der gleichen Zeit Präsenzen von Franziskanern in Staaten entstanden, die teils eine große Minderheit muslimischer Bevölkerung haben, so in der Elfenbeinküste, Togo und Guinea-Bissau, und in den letzten Jahrzehnten in Kenia, Uganda, Tansania, der Zentralafrikanischen Republik und Südsudan. Auch in Ländern mit muslimischer Mehrheit wie Burkina Faso und Nordsudan sind wir Franziskaner neuerdings präsent und betreiben Seelsorge für die christliche Minderheit. Seit Jahrzehnten bis heute sind Franziskaner die Bischöfe von Libyen, Dschibuti und Somalia. 
In all diesen Ländern ist Leben mit Muslimen und Dialog tägliche und lebenswichtige Aufgabe, die wir Franziskaner gerne wahrnehmen. So versuchen wir, das Erbe des Franziskus weiterzuleben, der uns aufforderte, den Muslimen und anderen Menschen dienstbar und untertan zu sein.
 

Zuletzt aktualisiert: 16. September 2019
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