Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin

26. März 2013 | von

Maria Regina Martyrum ist die „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945“. Am 5. Mai 1963 wurde die Kirche von Kardinal Julius Döpfner unweit der ehemaligen Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee konsekriert. Im Jahr 2013 begeht sie ihr 50-jähriges Jubiläum. Dieses Ereignis lässt uns heute fragen, welche Impulse von den Martyrern von Plötzensee für Gegenwart und Zukunft ausgehen und inwieweit ihr Zeugnis sensibel machen kann für ungerechte Strukturen in unseren Tagen.



Berlin-Plötzensee, einst berüchtigte Hinrichtungsstätte des nationalsozialistischen Unrechtssystems, ein Ort des Grauens. Er konfrontiert mit der Unmenschlichkeit eines totalitären Systems. 2.891 Todesurteile wurden im dortigen Hinrichtungsschuppen zwischen 1933 und 1945 vollstreckt. Frauen und Männer aus Deutschland und anderen Ländern Europas ließen an diesem Ort ihr Leben, weil sie sich dem NS-Regime widersetzt haben. Die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum ist eine Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus. Auf dem 75. Deutschen Katholikentag 1952 in Berlin wurde die Idee vom Bau einer Gedenkkirche erstmals durch Bischof Wilhelm Weskamm verkündet und nahm 1958 konkrete Gestalt an.



ANTWORT AUF VERBRECHEN

„Die Kirche in Deutschland ist nicht verloren, solange das Vermächtnis von Plötzensee in den Herzen brennt, dies zu zeigen, war Sinn des Katholikentages“, sagte der Präsident des 78. Deutschen Katholikentages 1958, Dr. Anton Roesen, vor etwa 130.000 Gläubigen auf der Abschlussveranstaltung im Berliner Olympiastadion. Wenige Tage zuvor gedachten etwa 30.000 Männer auf dem Gelände des ehemaligen Gefängnisses Plötzensee der Opfer der Hitlerdiktatur und legten das Gelöbnis ab, eine Gedenkkirche in der Nähe von Plötzensee zu erbauen.

Im Martyrologium heißt es: „Wir Katholiken Deutschlands gedenken in Dankbarkeit und Ehrfurcht aller Christen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 bis 1945 um der Glaubens- und Gewissensfreiheit willen ihr Leben als Opfer hingegeben haben. Zu der großen Schar der Blutzeugen zählen Christen aller Stände und Berufe aus Deutschland und aus anderen Ländern Europas. Zu ihnen gehören Ungezählte, die ihr Leben opferten an vielen Stätten innerhalb und außerhalb Deutschlands. Sie haben in der Dunkelheit, da Misstrauen, Hoffnungslosigkeit und Hass übermächtig waren, Vertrauen, Hoffnung und Liebe aus christlichem Geist durch ihr Opfer bezeugt. Wir bitten Christus, unseren Herrn, dass Er das Opfer Seiner Zeugen annehme als Sühne für die Sünden unseres Volkes, als Versöhnungsgabe für die Völker, auf dass das Reich Seines Friedens auf Erden errichtet werde.“



ZEUGNIS DER MARTYRER

In seiner Botschaft an die Teilnehmer des Katholikentages schreibt Papst Pius XII.: „An einer Stätte, wo in dunkler Zeit Todesurteile am laufenden Band vollstreckt wurden, plant ihr ein Heiligtum zu Ehren der ‚Regina Martyrum‘ und zum Gedächtnis jener aus euren Brüdern und Schwestern, Deutschen und Nicht-Deutschen, die damals ihr Einstehen für die Rechte Gottes und des guten Gewissens mit ihrem Blut besiegelt haben.“

Kardinal Julius Döpfner fragte in seiner Predigt anlässlich der Grundsteinlegung 1960: „Warum wird zum Gedächtnis an die Blutzeugen jener Jahre eine Kirche gebaut? Wir antworten: Weil wir mehr haben wollen als nur eine Gedächtnisstätte. In unserer Mitte soll die Quelle sprudeln, aus der unsere Brüder und Schwestern die Kraft zu ihrem Zeugnis schöpften. Der gekreuzigte Herr ist Ursprung und Kraftquell allen Martyriums und allen Bekenntnisses.“ Das Zeugnis der Martyrer, ihr Eintreten für Menschlichkeit und für die Wahrheit, kann ermutigen, auch heute gegen verschiedenste Formen von Unrecht aufzustehen.



RÄUME DES GEDENKENS

Kunst und Architektur der Gedenkkirche sind hingeordnet auf die Dramaturgie von Tod und Leben. Die nach Osten ausgerichtete Kirche weist zugleich in Richtung des Hinrichtungsschuppens in Plötzensee. Über den von dunklen Basaltkieselwänden umgebenen Feierhof, durch den der Besucher tritt, senkt sich gleichsam aus einer anderen, himmlischen Welt der Kubus des mit Marmorkieselplatten versetzten Kirchbaus. Die Dynamik setzt sich fort, wenn nach einem Aufstieg über eine durchgehende Treppe von mehr als 30 Stufen der Ankommende gleichsam einen dunklen, fensterlosen, von Betonwänden umgebenen Raum, vergleichbar einer Gefängniszelle, betritt, der nur durch verdeckte Lichtbänder indirekt Tageslicht erhält. Zugleich weitet sich der Raum durch das Altargemälde von Georg Meistermann, dessen Komposition aus Farben und Formen die Dynamik einer auseinanderfallenden Welt des Todes abbildet, aus der in der Bildmitte eine Verheißung hervorbricht, die spiralförmig alle Bereiche des Gemäldes erfasst. Jüdische Frauen haben dieses Bild einmal als ein „Hoffnungsbild“ bezeichnet.



ZUSAMMEN IN PLÖTZENSEE

Herzstück der Kirche ist die Krypta mit der von Fritz Koenig geschaffenen Pietà, vor der in einer Inschrift zu lesen ist: „Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde. Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind.“ Daneben befindet sich das Urnengrab Dr. Erich Klauseners, des Vorsitzenden der Katholischen Aktion, der bereits im Juni 1934 von der SS ermordet wurde.

Auf der anderen Seite stehen stellvertretend für die Vielen drei Namen: Dompropst Bernhard Lichtenberg, der nach den Novemberpogromen 1938 in jedem Abendgebet für die jüdischen Mitbürger betete und deshalb denunziert und verhaftet wurde und auf dem Weg ins Konzentrationslagers Dachau am 5. November 1943 den Tod fand. Darüber befinden sich die Namen des Protestanten Helmuth James von Moltke, der am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde, und des Jesuitenpaters Alfred Delp, der wenige Tage später, am 2. Februar 1945, dort gehängt wurde. Beide haben aus ihrer christlichen Überzeugung heraus in der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises zusammengearbeitet, um ein Modell für eine neue Gesellschaftsordnung nach dem Ende der Zeit des Nationalsozialismus zu entwickeln. Helmuth James von Moltke schreibt während seiner Gefängniszeit an seine Frau Freya: „Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben“, und weiter: „Womit kann im Chaos das Christentum ein Anker sein?“



ÖKUMENE DER MARTYRER

Im Gefängnis Tegel wurden Moltke und Delp im September 1944 Zellennachbarn und verstanden sich als eine „betende Una Sancta in vinculis“ (Alfred Delp), als eine „ökumenische Gemeinschaft in Fesseln“. In einem Kassiber an Eugen Gerstenmaier schreibt Alfred Delp: „Die geschichtliche Last der getrennten Kirchen werden wir als Last und Erbe weiter tragen müssen. Aber es soll daraus niemals wieder eine Schande Christi werden. An die Eintopfutopien glaube ich so wenig wie Du, aber der eine Christus ist doch ungeteilt, und wo die ungeteilte Liebe zu ihm führt, da wird uns vieles besser gelingen als es unseren streitenden Vorfahren und Zeitgenossen gelang.“ Und in seinen Reflexionen über das „Schicksal der Kirchen“ lesen wir: „Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben.“

Im Widerstand gegen Hitler verloren konfessionelle Grenzen ihre Bedeutung. Was die Martyrer von Plötzensee im Leben und Sterben an gelebter Ökumene bezeugten, kann für die Kirche unserer Tage sinnstiftend sein. Die „Ökumene der Martyrer“, die Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“ beschreibt, hat hier begonnen: die Gefangenen haben miteinander gebetet und die Bibel gelesen. Sogar das Abendmahl / die geweihte Hostie wurde in die einzelnen Zellen gereicht. Dies bezeugt der evangelische Theologe Eberhard Bethge. 



DIE SPRACHE DES KARMEL

Plötzensee ist ein Ort, der herausfordert, die Visionen der Menschen im Widerstand wachzuhalten, sensibel zu werden für heutige Erscheinungsformen von Diskriminierung und Intoleranz.

Seit 1984 gibt es direkt neben der Gedenkkirche das Karmelitinnenkloster Regina Martyrum. In das tägliche Beten in der Krypta der Gedenkkirche nehmen die Schwestern des Karmel in freien Fürbitten die vielen Anliegen und Nöte von Menschen und die großen weltpolitischen Themen mit hinein, bringen sie vor Gott zur Sprache und versuchen so, mit den Leidenden unserer Tage solidarisch zu sein. Dies geschieht in der Bereitschaft, sich der Erinnerung zu stellen und Leiden mitzutragen – in der Hoffnung, dass Gott Wunden in der Tiefe heilen und so Versöhnung stiften kann. Im täglichen Gebet um Frieden vor der Pietà wissen sie sich vereint mit allen Menschen, die auf vielfältige Weise Schritte des Friedens wagen.



HEILENDES ERINNERN

Seit seinem Bestehen pflegen die Schwestern des Karmel freundschaftliche Kontakte zu Familienangehörigen des Widerstands. Mit ihnen gemeinsam beten sie jährlich am Abend des 20. Juli eine ökumenische Vesper und laden anschließend zu einer Begegnung ins Gästehaus ein.

Freya von Moltke, die 2010 verstorbene Witwe von Helmuth James von Moltke, schreibt 2007 den Schwestern: „Zwar können die Schwestern nicht ungetan machen, was dort [in Plötzensee] geschehen ist, aber sie setzen dem früheren Unheil ihr Heil entgegen. Weil sie vermögen, neben dem Ort des Grauens ihr Heil zu leben, erschaffen sie ein währendes und gleichzeitig heilendes Erinnern. Erinnern scheint nur mit der Vergangenheit zu tun zu haben. Aber das stimmt nicht. Erinnertes bestimmt immer wieder auch die Zukunft. Was erinnert und wie erinnert wird, und dass erinnert wird, hat immer großen Einfluss auf die Zukunft.

So ist es nun einmal im menschlichen Leben. Für die Zukunft Deutschlands bleibt es von großer Bedeutung, wie die zwölf Jahre der Nazi-Diktatur erinnert werden, um ein gesundes Weiter-leben zu gewährleisten. In seiner Form des bleibenden Erinnerns leistet der Karmel einen wichtigen öffentlichen Dienst. Keineswegs liegt aber das Wirken des Karmels nur im Erinnern. Vielmehr leben seine Schwestern auch in vielerlei Form hilfreich in unserem Heute und Morgen. So kam es zum Beispiel, dass der Karmel auch ein Freund unseres neuen Kreisau / Krzyżowa in Polen wurde, das aufbauend auf der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis ein europäischer Ort der Begegnung und der Zusammenarbeit der Nationen ist.“



GEDENKKIRCHE WEITET DEN BLICK

P. Hans-Georg Lachmund SJ, Seelsorger an der Gedenkkirche von 1994 bis 2005, fasst zusammen, was das Vermächtnis von Plötzensee in unseren Tagen bedeuten kann: „Die Schwestern [des Karmel Regina Martyrum] legen Wert darauf, dass viele dazugehören; nicht nur die Geschwister aus der Ökumene, sondern auch die vielen Suchenden, die immer wieder an diesen Ort kommen. Gerade solche Offenheit füreinander ist das Vermächtnis, das uns die Martyrer der NS-Zeit als Auftrag hinterlassen haben.“ Plötzensee war und ist ein konfessionsverbindender Ort. Neben der katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum wurde 1970 das evangelische Gemeindezentrum Plötzensee / heute Gedenkkirche Plötzensee mit dem „Plötzenseer Totentanz“ von Alfred Hrdlicka gebaut.



KONFESSIONSVERBINDENDER ORT

Beide Gedenkkirchen verbindet der gemeinsame Glockenturm, dessen fünf Glocken jeweils für die entsprechenden Gottesdienste läuten.

Im Jahr 2009 wurde das „Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee – Christen und Widerstand“ gegründet, das in ökumenischer Gemeinschaft der Menschen des Widerstandes gegen die Nazi-Herrschaft gedenkt, für die Menschen, die heute unter Unrechtsregimen leben und deren Menschenrecht und Menschenwürde mit Füßen getreten wird, betet und handelt und zugleich ein Ort des Nachdenkens und Lernens sein will, welche Konsequenzen für Theologie, Frömmigkeit und konkretes Handeln sich für Christinnen und Christen aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit ergeben.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016