Gemeinde mit Tiefgang

18. November 2018 | von

Ausgehend von einer Erfahrung während einer Reise in Südamerika, erläutert unser Kirchenrechtler, wie aus einer gelungenen Taufvorbereitung ein echtes Gemeinschaftserlebnis werden kann.

Die Kirche aus der Taufe heben, das ist ein ganz wichtiges Anliegen neuerer Kirchenrechtswissenschaft. In Fortführung der vom Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossenen Dogmatischen Konstitution über die Kirche geht es darum zu zeigen, dass die Taufe das wesentliche kirchenbegründende Geschehen ist: Durch die Taufe wird ein Mensch unwiderruflich Glied der Kirche. Durch die Taufe erhält ein Gläubiger Anteil an den grundlegenden Rechten und Pflichten in der Kirche. Durch die Taufe wird jeder Gläubige dazu berechtigt und verpflichtet, die Sendung der Kirche in der Welt aktiv auszuüben. Durch die Taufe besitzen alle Gläubigen dieselbe Würde und eine wahre Gleichheit, die allen Differenzierungen gemäß der Aufgaben und der Stellung in der Kirche vorgeordnet ist.
Die Taufe ist also ein zutiefst kirchliches Geschehen. Sie ist jedes Mal neu kirchenbegründend in dem Sinn, dass mit jedem Getauften die Gemeinschaft der Kirche wächst und ein einmaliges neues, nicht austauschbares und unvertretbares Gesicht erhält. Die Taufe ist daher nicht einfach ein nettes Familienfest, sondern sie ist ein Geschehen, das immer die ganze Kirche und die jeweilige kirchliche Gemeinschaft betrifft. Wo Menschen getauft werden, da wächst die Kirche. Wo keine Taufen mehr stattfinden oder wo die Taufen nur noch im Privatbereich kleiner Familienzirkel gespendet werden, dort wird die Kirche zunehmend schwächer.

Lebendige Gemeinde
Der Ort Santa Maria de Catamarca im Nordwesten Argentiniens erscheint auf den ersten Blick wie viele andere Orte dieser Gegend: Ein rechteckiger Platz, ein paar im rechten Winkel angelegte Straßen, wenige Geschäfte, nicht besonders gepflegte, niedrige Häuser. Drumherum eher trockene Pampa als fruchtbares Land.
Am zentralen Platz von Santa Maria de Catamarca steht eine große, etwa 10 Jahre alte Kirche. „Viel zu groß für die paar Leute“ denkt man sofort, und man fragt sich, wer sich denn da ein Denkmal gesetzt haben mag. Und dann habe ich an einem Sonntag kurz nach Weihnachten, mitten im argentinischen Sommer, eine echte Überraschung erlebt: Die Kirche mit ihren etwa 500 Sitzplätzen ist zum Hauptgottesdienst gut gefüllt. Es sind viele junge Familien mit Kindern in unterschiedlichen Altersstufen da. Das ist eine – in jedem Sinne – lebendige und muntere Gemeinschaft. Alle singen die Lieder mit, die schon vor Beginn der Messe gesungen werden – offensichtlich kennen sie die auswendig, denn es gibt keine Gesangbücher – und die Kinder klatschen dazu oder zeigen in den Gängen ihre tänzerischen Talente im Rhythmus der Lieder.

Einladung und Ermutigung
Beim Einzug des zelebrierenden Priesters gehen neben den verschiedenen liturgischen Diensten etwa 25 Elternpaare mit ihren Kindern auf dem Arm mit. Sie haben in den ersten Bänken besondere Plätze. Offensichtlich kennt man sich gegenseitig, denn es wird fröhlich hin- und her gegrüßt. Man freut sich darüber, in der Messe Bekannte und Freunde zu sehen. Da ist viel Verbindung, Gemeinschaft – Gemeinde zu spüren. 
Da ist niemand alleine unterwegs. Und auch der zelebrierende Priester spricht die Eltern jeweils mit ihrem Namen an, wenn er sie an verschiedenen Stellen in das gottesdienstliche Geschehen einbezieht: Er kommentiert und erläutert, er stellt Fragen, er lässt sie erzählen. Das ist aber kein einseitiges „Vorführen“ von Eltern und Kindern, wie ich das manchmal so unangenehm bei uns in Gottesdiensten erlebt habe, sondern es kommen auch andere Gläubige zu Wort. Soweit ich das verstehen kann, geht es immer wieder um die Frage: „Wie kann man heute – an diesem Ort – als Christ glauben und leben?“ All das, was gesagt wird, ist Einladung und Ermutigung, selbst das Christsein zu versuchen und dafür einen eigenen Weg zu finden – auch als Eltern mit den Kindern.

Lange Taufvorbereitung
In dieser Messe wird übrigens keine Taufe gespendet; eigentlich hätte ich das nach diesem Auftakt erwartet. Die Feier der Taufe wird, so erfahre ich später im Gespräch, erst an Ostern gespendet. Bis dahin bereiten sich die Eltern mit ihren Kindern und mit der ganzen Gemeinde vor. Diese Vorbereitung dauert mehrere Monate und bezieht neben den Eltern der zu taufenden Kinder auch die Großeltern und die Taufpaten mit ein. Und auch die ganze Gemeinde geht auf dem Weg der Taufkatechese mit: Was für die einen Einführung und Vorbereitung ist, ist für die anderen Wiederholung und Vertiefung. Und: Für alle ist es ein wirkungsvoller Beitrag dazu, die ganze Gemeinde lebendig zu halten.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, was das kirchliche Gesetzbuch zur Taufvorbereitung verlangt. Dort heißt es in c. 851: „Die Feier der Taufe muss in der gebotenen Weise vorbereitet werden; deshalb gilt: … 2° die Eltern eines Kindes, das getauft werden soll, und ebenso jene, die den Patendienst übernehmen wollen, sind über die Bedeutung dieses Sakraments und die mit ihm zusammenhängenden Verpflichtungen ordnungsgemäß zu belehren; der Pfarrer hat persönlich oder durch andere dafür zu sorgen, dass also die Eltern mit seelsorglichem Zuspruch und sogar mit gemeinsamem Gebet in der gebotenen Weise vorbereitet werden; er soll dazu mehrere Familien versammeln und sie nach Möglichkeit besuchen.“

Gemeinsamer Weg
Im Unterschied zu einer verbreiteten Praxis in vielen Pfarreien setzt der kirchliche Gesetzgeber also auf eine gemeinschaftliche Vorbereitung der Taufe. Das liegt nahe. Denn weil die Taufe das wesentliche kirchenbegründende Sakrament ist – weil die Kirche aus der Taufe gehoben wird – muss auch in der Vorbereitung der Taufe und bei der Feier dieses Sakraments die Kirche als lebendige Gemeinschaft erfahren werden können. In Santa Maria de Catamarca scheint man diesen Weg konsequent zu gehen. Kirche als lebendige Gemeinschaft zu erfahren, das heißt dort nicht nur, dass man sich im sonntäglichen Gottesdienst sieht und gegenseitig grüßt. Auch in vielen alltäglichen Aufgaben und Sorgen kennt man sich gegenseitig, nimmt einander wahr und hilft einander, so gut es geht. So findet eine Mutter auch mal unkompliziert einen Platz für ihr Kind, wenn sie zum Arzt muss oder zum Friseur gehen will. Auch die Suche nach einer Arbeit oder nach einer Wohnung fällt leichter, wenn man sich persönlich kennt und weiß, dass man durch denselben Glauben zusammengehört. Und auch ältere Menschen sind froh, wenn sie für ein paar Stunden eine Art Familienanschluss mit Kinderlachen erleben dürfen. Wo es nur wenige Strukturen professioneller Hilfeleistung und Unterstützung gibt, kann und muss sich kirchliche Gemeinschaft vor allem auch in den vielen kleinen Dingen des Alltags bewähren.

Kirche aus der Taufe heben
Diese Erfahrung einer langfristigen, im Alltag und im gottesdienstlichen Feiern gleichermaßen verankerten Taufvorbereitung hat mich nachdenklich gemacht. Wäre das nicht auch für uns ein guter Weg, um unsere größer gewordenen Gemeinden lebendiger zu machen und lebendig zu halten? Statt darüber zu jammern, dass es nicht mehr den Pfarrer am Ort gibt, der zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar ist, könnten doch auch Gläubige – ganz „normale“ Gläubige, die verstanden haben, was Taufe wirklich bedeutet – die Initiative ergreifen und gemeinsam mit anderen die Kirche an ihrem Ort aus der Taufe heben. Dazu braucht es weder Weihe noch Auftrag. Es braucht nur die Überzeugung: Ich bin getauft – und deshalb bin ich für die Kirche (mit) verantwortlich.
 

Zuletzt aktualisiert: 18. November 2018
Kommentar