Getanzter Lobpreis Gottes

27. September 2005

In biblischen Zeiten war der Tanz Dank für Gottes Gaben und seine Hinwendung zu den Menschen. Nach Jahrhunderten der Vergessenheit erlebt er seit einigen Jahren eine Art Renaissance und findet zunehmend im Gottesdienst Platz.
                                   

 „Lachen“, „spielen“, „fröhlich sein“ und „tanzen“ – im Hebräischen gibt es ein Wort, das all diese Bedeutungen zum Ausdruck bringt. Damit wird die enge Verbindung von Freude und Tanz ausgedrückt. Man kannte schon in biblischer Zeit beim Tanz das Drehen und Wenden, das Hüpfen und Springen, den Reigen. Man tanzte in den Weinbergen sogenannte Erntetänze.
Die Israeliten pflegten auch Siegestänze. Im Buch Exodus wird geschildert, wie Miriam mit anderen Frauen anlässlich des Durchzugs durch das Rote Meer und der Vernichtung der Ägypter singt und tanzt (Ex 15,20). Die Psalmen verweisen auf Tänze in Form von religiösen Prozessionen oder als Elemente des Gottesdienstes. „Israel soll sich über seinen Schöpfer freuen, die Kinder Zions über ihren König jauchzen. Seinen Namen sollen sie loben beim Reigentanz, ihm spielen auf Pauken und Harfen“ (Ps 149, 2-4). „Gott, sie sahen deinen Einzug, den Einzug meines Gottes und Königs ins Heiligtum: voraus die Sänger, die Saitenspieler danach, dazwischen Mädchen mit kleinen Pauken“ (Ps 68, 25-26) „Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel“ (Ps 150,4). Alle Instrumente, die in Israel verwendet wurde, hatten einen Bezug zum Tanz, das heißt sie waren dazu da, den Tanz zu begleiten.

Davids Tanz. Die wohl bekannteste Stelle über den Prozessionstanz ist der Tanz Davids vor der Bundeslade. Die Bundeslade wurde nach Jerusalem geführt. „David und das ganze Haus Israel tanzten und sangen vor dem Herrn mit ganzer Hingabe und spielten auf Zithern, Harfen und Pauken, mit Rasseln und Zimbeln“ (2Sam 6,5). „So brachten David und das ganze Haus Israel die Lade des Herrn unter Jubelschrei und unter dem Klagen des Widderhorns hinauf. Als die Lade des Herrn in die Davidstadt kam, schaute Michal, Sauls Tochter, aus dem Fenster, und als sie sah, wie der König David vor dem Herrn hüpfte und tanzte, verachtete sie ihn in ihrem Herzen...David erwiderte Michal: Vor dem Herrn ... habe ich getanzt; für ihn will ich mich gern noch geringer machen als diesmal und in meinen eigenen Augen niedrig erscheinen“ (2Sam 6,15-22).
Tanz ist also nicht nur Ausdruck der Freude, Ausgelassenheit und Festlichkeit, sondern auch Ausdruck von Ergriffenheit, Auslieferung und Hingabe an Gott, er ist ein „Aus-sich-herausgehen“ und „In-Anspruch-genommen-werden“. Er hat durchaus ein Stück ekstatischen Charakter, ist Lobpreis des ganzen Menschen.

Lobpreis mit dem Leib. Als Ausdrucksmittel ist zunächst an die Instrumente zu denken, mit denen das Lob Gottes begleitet oder vollzogen wird. Es sind Hörner, Harfen, Zithern, Pauken, Saitenspiel, Flöten, tief klingende Zimbeln und glockenhelle Zimbeln. Das Horn wurde gewöhnlich von den Priestern geblasen, während  Harfe und Zither Instrumente der Leviten waren. Das Volk benutzte bei seinen Prozessionen Pauken, Saitenspiel, Flöten und Zimbeln, kleine Metallscheiben, die ähnlich wie Kastagnetten zur Begleitung des Tanzes an die Finger gesteckt werden. Die „hellen Zimbeln“ oder „Jubelzimbeln“ sind Mittel, um den Enthusiasmus auf seinem Höhepunkt zum Ausdruck zu bringen.
Der Lobpreis, das wird auch an den Instrumenten deutlich, war Werk der ganzen Gemeinde. Jeder brachte sich dabei in seiner Art und mit seinen Möglichkeiten ein, dabei wurde der Leib, die Arme, der Mund, die Finger, kurz der ganze Mensch in das Lob des höchsten Gottes einbezogen.
Das in Bewegung geratene Herz drängt danach, sich zu äußern – in Gesten, Gebärden, im Singen und Tanzen. Wo es das nicht mehr gibt, dass sich das Herz in der Leibsprache äußern darf beziehungsweise kann, verkümmert der Mensch und macht auch seine Umgebung ärmer.
Es gibt viele Wege, sein Betroffensein auszudrücken. Wir sprechen von Freuden- und Glückstränen, vom Freudenschrei, von Freudengesängen und von Freudentänzen. Der Tanz ist etwas „Radikales“, was wörtlich übersetzt bedeutet: „etwas an die Wurzeln des Menschein Gehendes“. Im Tanz kommt der ganze Mensch in Bewegung. Im Tanz überlässt er sich einem „anderen“, drückt er sich aus. Im Tanz rühren wir Menschen an das „Göttliche“ oder „Dämonische“.

Die Theologin Teresa Berger geht in ihrem Buch „Liturgie und Tanz“ der Frage nach, woher das neue Interesse am Tanz im Gottesdienst in Mitteleuropa kommt. Als denkbar nennt sie folgende Gründe: Die allgemeine Suche nach neuen Möglichkeiten des gottesdienstlichen Lebens und Handelns schließe die Wiederentdeckung der Bewegungsdimension ein. Die Tendenz, sich verstärkt von den üblichen Zwängen und Einengungen zu lösen, habe die Ablehnung der zwanghaften Bewegungsarmut mit sich gebracht.
Die neue Bewertung der Körperlichkeit des Menschen ermögliche es, auch im Gottesdienst den Körper positiv einzusetzen. Nicht zuletzt sei auch die charismatische Erneuerung ein Faktor, der wieder Spontaneität, Enthusiasmus und Bewegung in die Gottesdienste bringe. Gerade in Ländern und Gemeinden, in denen die charismatische Erneuerung Fuß gefasst habe, begegne man allgemeiner Offenheit für Experimente mit Tanz (zit. nach: Teresa Berger, Liturgie und Tanz, St. Ottilien, 1985, S. 40).

Bereichernde Dimension. Heute macht sich bei vielen eine neue Beziehung zum Kosmos bemerkbar. Der Tanz kann zu einem Nachvollzug oder zu einer Anteilnahme an der rhythmischen Bewegung des Kosmos werden. Die Hingabe der eigenen Person an Gott und das Einfließen der eigenen Bewegung in die Bewegung des Ganzen lässt den Tanz zu einem Gottesdienst, zu einem Lobpreis Gottes werden. Der Tanz kann auch angesichts der Vorherrschaft des Wortes im Gottesdienst eine Erweiterung und Bereicherung in Richtung Bewegung und Bewegungssymbolik werden.
Es wird immer wieder geklagt, dass dem heutigen Gottesdienst das Mysterium, die mystische Versenkung und die Ekstase fehlen. Gerade diese Elemente sind im Tanz beheimatet oder können sich dort entwickeln. Diese verlorene Dimension könnte durch den Tanz integriert werden.
Wo Tanz ist, da wird gefeiert. Wo Gott gefeiert wird, da macht es Sinn zu tanzen. Der Tanz kann wesentlich dazu beitragen, die Idee der Festlichkeit im Gottesdienst wieder lebendige Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Lied der Jesusbruderschaft drückt das aus: „Singt und tanzt und jubelt laut vor Freuden! Gott, der Herr, lässt uns ein Fest bereiten“.

Hinterfragt. Es gibt natürlich auch Fragen: Gibt es den spezifisch christlichen Tanz überhaupt. Gabriele Koch schreibt in ihrer Doktorarbeit: „Spiritualität in Bewegung. Tanz als Gestalt religiösen Lebens“: „Definitionen von Begriffen wie ‚christlich’ erweisen sich überwiegend als Machtanspruch und verengen die Perspektive auf Inhalte und Sachen. Musik, Tanz oder anderes von Menschen Geschaffene gewinnt ‚christliche Qualität’ in erster Linie durch gelebte Praxis und bleibt von der Beziehungsaufnahme und -fähigkeit abhängig.“
Auch wurde die Frage gestellt: Ist es sinnvoll, im Gottesdienst einen Tanzchor vergleichbar einem Kirchenchor einzusetzen? Hier besteht die Gefahr, dass der verkündigende und stellvertretende Tanz einiger weniger die Konsumhaltung der Gottesdienstteilnehmer und deren Passivität fördert, anstatt eine möglichst gemeinschaftliche Gestaltung des Gottesdienstes zu unterstreichen. Ein „Beobachten“ und „Aufführen“ darf es beim Tanz im Gottesdienst nicht geben.
Ein dritter kritischer Punkt ist die Frage der Kompetenz oder sogar der Professionalität. A. Ronald Sequeira sieht die Gefahr, dass „eine echte Chance zur Erneuerung und Wiederbelebung des religiösen Ausdrucks für Gottesdienst und Religionsunterricht durch übereifrige und zum Teil unqualifizierte Mitchristen verspielt wird“. Gabriele Koch lehnt eine Professionalisierung ab. Nach ihr „kann es doch diesem Bemühen letztlich nur darum gehen, dass die ganze Gemeinde Anteil bekommen kann am gottesdienstlichen Erlebnis einer getanzten Verkörperung des christlichen Glaubens und Lebens“.

Jeder kann’s. Alle Christen können sich durch die Bereitschaft zum handwerklichen Lernen und zur Arbeit an der eigenen Person qualifizieren. In unseren Kursen im Kloster Schwarzenberg erleben wir immer wieder, wie kompetente Lehrer ihre Ausführungen mit Ermunterungen zu Versuchen und auch zu Fehltritten begleiten. Sie sagen, so wie jeder singen und sprechen kann, könne auch jeder tanzen. „Der Mut, zu beginnen, ist wichtiger, als es die Fertigkeit und die Perfektion der Ausführung sind“ (Sudbrack).

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016