Grenzgänger mit Weitblick

24. Juli 2007 | von

„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind", heißt es in Alfred Delps Aufzeichnungen. Das intellektuelle Mitglied des Kreisauer Kreises opferte sein Leben für ein besseres Deutschland. In diesem Monat wäre der Jesuit, Philosoph und Märtyrer 100 Jahre alt geworden.


Was ist der Mensch? Unter diesem Titel erschien 1935 eine kleine Abhandlung Delps – gleichzeitig eine Art „Leitfrage" seiner gesamten Arbeit. Seine Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Existenzphilosophie ist Ausdruck seines Suchens nach dem Menschen und dem Menschenbild angesichts der modernen Verfasstheit des Lebens.

Glaubenshintergrund. Ein „theonomer Humanismus" war sein Ziel, ein Mensch, der sich den neuzeitlichen Existenzfragen nicht entzieht und sich gerade so in Gott „verankert". „Der gegenwärtige Mensch ist in eine Verfassung des Lebens geraten, in der er Gottes unfähig ist. Alle Bemühungen ... müssen dahin gehen, ihn wieder gottesfähig und somit religionsfähig zu machen." Wobei er unabdingbar eine neue Transzendenzoffenheit voraussetzt. Gefährlich erscheint ihm der satte und in sich verschlossene Mensch. Dabei ermöglicht die Freiheit das Leben: „Wer nicht in der Atmosphäre der Freiheit zuhause ist, ... der ist verloren." In der Begegnung mit Gott wird Freiheit geboren, Aufgabe ist es also, „Grenzgänger" zu werden: „Den Rebellen kann man noch zum Menschen machen, den Spießer und das Genießerchen nicht mehr." Auch für seine Kirche fand Alfred Delp deutliche Worte und er sah nur eine Zukunft, „wenn aus der Kirche wieder erfüllte Menschen kommen... die erfüllten Menschen, nicht die heilsängstlichen oder pfarrerhörigen erschreckten Karikaturen. Ob die Kirchen den ... von göttlichen Kräften erfüllten Menschen noch einmal aus sich entlassen, das ist ihr Schicksal." Die „Amtstuben" der Kirchen machte er für die Probleme genauso verantwortlich wie die allzu sicheren Gläubigen: „Sie glauben an alles, an jede Zeremonie und jeden Brauch, nur nicht an den lebendigen Gott... Im Namen Gottes? Nein, im Namen der Ruhe, ... des Bequemen, des Ungefährlichen."

Vordenker. 1907 wurde Alfred Delp in Mannheim als Kind gemischt-konfessioneller Eltern geboren. Seine soziale Herkunft war eher arm und bescheiden. Zunächst konfirmiert, entdeckte er seine Nähe zum katholischen Glauben und konvertierte. Erfahrungen mit dem Jugendbund „Neudeutschland" und die Ablegung des Abiturs 1926 bestimmten diese Jahre. Nach und nach verbesserte Delp damit auch seinen sozialen Status, jedoch sollten ihn soziale Fragen, die Armut mit ihren Bedingungen und Folgen, auch in seinem späteren Leben nicht verlassen. Nach dem Abitur trat er direkt der Gesellschaft Jesu bei und absolvierte anschließend den gängigen Ausbildungsweg der Jesuiten: das Studium der Philosophie und Soziologie, dann auch der Theo-logie endete mit der Priesterweihe 1937, sowie der Promotion in Philosophie 1939. Im gleichen Jahr begann seine journalistische Tätigkeit als Schriftleiter der Zeitschrift „Stimmen der Zeit". Kritisch setzte er sich mit soziologischen und historischen Themen auseinander, bis 1941 das Verlagshaus von den Nazis beschlagnahmt wurde.

Sein Lebenslauf führte ihn nun als Pfarrseelsorger nach München-Bogenhausen und in die Katholische Männerarbeit Deutschlands, eine Tätigkeit, die ihn für die Gestapo weiterhin „verdächtig" machte. Ins Jahr 1942 datiert dann der Beginn seiner Mitarbeit im sogenannten Kreisauer Kreis, um die ihn sein Provinzial gebeten hatte. Delps intellektuelle Fähigkeit, seine zukunftsgewandte Art, sein Wissen um soziale Fragen prädestinierten ihn, sich in diesem Kreis der Frage nach der Gestaltung eines zukünftigen Deutschlands anzunehmen. Ein Vordenker war Delp allemal. Die Enzyklika „Quadragesimo anno" war dabei Grundlage seiner Vorstellungen. „Ich kann predigen soviel ich will... solange der Mensch menschenunwürdig und unmenschlich leben muss, solange wird der Durchschnitt den Verhältnissen erliegen und weder beten noch denken. Es braucht die gründliche Änderung der Zustände des Lebens." In seiner Verteidigung vor Freisler wird Delp nach Zeugenaussagen später ähnliche Worte finden als Rechtfertigung für seine Teilnahme an Gesprächen, die sich um die Zukunft Deutschlands drehten.

Spirituelle Größe. Der falsche Verhaftungsgrund, das Attentat vom 20. Juli, war beim Prozess kein echtes Thema mehr, aber in den Schauprozessen ging es nie um Wahrheitsfindung. Auch an Beweggründen war Roland Freisler nicht interessiert. Er benutzte die Gefangenen eher als „Stichwortgeber", die es ihm ermöglichten, seine cholerische und zynische Art auszuleben. Im Falle Delp reichte ihm die Tatsache, dass er ein ihm verhasster Jesuit war und offensichtlich an eine Zukunft nach dem Nationalsozialismus glaubte. Das allein schon war Hochverrat, so dass die Todesstrafe schon vor Prozessbeginn feststand. Delp selbst hatte sich intensiv um seine Verteidigung bemüht, ein Gnadengesuch geschrieben und sich die Hoffnung lange Zeit noch bewahrt: „der Weltgeschichte Beine machen", so wünschte er es bis zuletzt, wissend, dass er kurz vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches sein Leben opferte.

Allen Depressionen, die auch ihn nicht verschonten, allen Folterungen und Misshandlungen zum Trotze (er sei, so schrieb er einmal, manchmal „nur mehr ein blutendes Wimmern") hat er seine Menschenwürde nie verloren, ja mehr noch: In dieser dunklen Zeit wuchs er zu seiner spirituellen Größe. „Und wenn ... alle Brücken hinter uns verbrannt sind, dann haben wir vielleicht eine Ahnung von der Weite, der man verschworen sein muss, wenn man den Namen Gottes in den Mund nehmen will."

Seine letzten hinausgeschmuggelten Worte sind von bestechender Klarheit: „Beten und glauben. Danke. Dp." Am 2. Februar 1945 wurde er in Berlin Plötzensee erhängt.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016