Großmeister des Narrentums

01. Januar 1900 | von

Eine Figur - oder soll man besser sagen Kunstfigur - geistert seit nunmehr einen halben Jahrtausend durch unsere literarische Welt. Für die einen der Inbegriff des faulen wiewohl genialen Schalks - für die anderen in seiner asozialen bösartigen Haltung gar das Bild des Dämonischen schlechthin: Till Eulenspiegel, ob seiner Verbreitung wirklich jedem Schulkind bekannt.

Skurrile Neckereien. Noch gut erinnere ich mich einer real existierenden Person in meiner Kindheit. Ein älterer Mann aus einem Nachbarort, verschrien wegen seiner eigenbrötlerischen Lebensweise und seiner skurrilen Neckereien. Sein Name ist mir entfallen, aber ein Till Eulenspiegel war auch er. Mit großem Brimborium kündigte er eines Tages an, er werde nächsten Samstag eine ihm missliebige bestimmte Brücke sprengen. Unruhe befiel seine Umgebung, gar die Polizei rückte am Tag des prophezeiten Attentats an. Natürlich war auch der Terrorist zur Stelle, um besagte Brücke zu sprengen - allerdings mit Wasser und mittels einer kleinen Kindergießkanne!
Der wahre Till Eulenspiegel, so es ihn je gab, hätte an diesem Auftritt seine wahre Freude gehabt, war doch auch er jemand, der mit Sprache jongliert hat, mit Widersprüchen zwischen dem Sagen und dem Handeln die Erwartungshaltung seiner Umwelt regelrecht demontierte.

Der echte Schelm. Vieles spricht für die Echtheit der Person Till Eulenspiegels. Wahrscheinlich wurde er Anfang des 14. Jahrhunderts geboren und soll 1350 in Mölln an der Pest gestorben sein (1347 bis 1350 wütete die schreckliche Krankheit in Europa und dezimierte die Bevölkerung um ein Drittel!).
Die Interpretation seines Namens bereitet schon Schwierigkeiten. Dreimal wurde er angeblich getauft und auch sein Name hat eine dreifache Bedeutung: zum einen ist Eulenspiegel ein in Westfalen durchaus üblicher Familienname. Delikater wird es beim Spiegel, in der Jägersprache der Begriff für das Hinterteil eines Tieres. Und zum Dritten ist Eulenspiegel wohl auch als Synonym für den Narrenspiegel zu verstehen (das Bild der Eule, die den Spiegel trägt).

Geschmacklos und erheiternd. Die Missetaten des Eulenspiegel waren der mittelalterlichen Bevölkerung wohl bekannt und werden durch Erzähltradition an die nächste Generation weitergegeben. Zur ersten druckfähigen Sammlung seiner Schwänke kommt es um 1500. Ein Zollschreiber namens Hermann Bote fühlt sich aufgefordert, die Geschichten des durchtriebenen und listigen Bauernsohnes Till aufzuzeichnen. Das frühste, uns bekannte gedruckte Werk stammt aus den Jahren 1510/11.
Die Volksnähe des Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel in seinen fast 100 Historien mag die rasante Verbreitung des Werkes erklären. Der Unterhaltungswert dieses Prototypen eines boshaften Menschen ist nicht zuletzt wegen seines derben Humors auch bei schlichter gestrickten Gemütern ein großer. Geschmacklos, aber doch erheiternd (siehe unsere heutige Fernsehkultur!). Verbote wegen seiner Charakterverderbnis im 17. Jahrhundert fruchten wenig und steigern nur noch seine Beliebtheit im Form billiger Drucke.

Ordnung attackiert. Eulenspiegel ist ein wahres Chamäleon und kann durchaus als egozentrischste Selbstverwirklichung des Menschen gesehen werden. Er schlüpft in zahllose Rollen sprich eine Vielfalt von Berufen, tut eigentlich auch immer alles, was ihm geheißen wurde, interpretiert die Worte aber immer anders als sie im gewohnten Umfeld gebraucht werden und bringt damit immer Chaos in bestehende Ordnungen. Ein die Normen attackierender Außenseiter ist er, ein Unruhe verbreitender Geist, mit Heißhunger auf Schadenfreude, der ihn andauernd wie ein unbändiger Juckreiz befällt (Wolfdietrich Schnurre in einer wunderbaren Interpretation von 1971).
Ein jeder Spaß hat seine Grenzen, dieser Spruch gilt mit Sicherheit nicht für diesen Till Eulenspiegel. Seine derben Schwänke sind voller Gesellschaftskritik und konkretisieren volkstümliche Vorstellungen von menschlicher Natur. Sein Gütezeichen, die Eule mit dem Spiegel, hinterlässt er immer wie ein Fanal auf Hausmauern aufgemalt, wenn er sein Unwesen getrieben und sich wohlweislich aus dem Staub gemacht hat.

Fieser Seiltrick. Fersengeld geben war auch angeraten nach seinem (eher noch harmlosen) Streich mit dem Seil. Eulenspiegel kündigt an, er werde ein großartiges Seilkunststück vorführen. Die neugierigen Dorfbewohner strömen herbei und sollen jeweils ihren linken Schuh für die Darbietung abliefern. Gesagt und natürlich getan knüpft der Narr Eulenspiegel an die 200 Schuhe an eine lange Leine. Und mit der Aufforderung aufgepasst! zerschneidet er die Schnur und wirft alle Schuhe durcheinander unter die Menge. Der Tumult und des Einzelnen Schuh ist groß, sehr zur diabolischen Schadenfreude unseres Protagonisten, der natürlich schnellstens das Weite sucht.
Seine Taktik geht immer und überall auf, vor seinen Neckereien und Gaunereien ist niemand gefeit. Die Methoden, leichtgläubigen Mitmenschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, von Neppern, Schleppern, Bauernfängern angewandt, haben sich auch bis zum heutigen Tage nicht verändert.

Spaßvogel ohne Verfallsdatum. Viel Gepfeffertes kann man nur zwischen den Zeilen der Eulenspiegeleien lesen, zumal zu des Schalkes Schwänken niemals ein Kommentar abgegeben wird. Als reiner (harmloser) Spaßmacher ist er noch heute in Kinder- und Schulbüchern zu finden. Selbst in der zeitgenössischen Literatur taucht dieser Eulenspiegel immer wieder auf, ob als Figur bei Gerhard Hauptmann oder als Protagonist bei Bertold Brecht. Dass sich hinter dem Schalk vielleicht eine menschliche Tragödie versteckt (so mancher Clown ist im Inneren das Gegenteil seiner äußeren Erscheinung) tritt erst hier zutage. Die Bauernschlauheiten des Ulenspiegel, ein Kulturdokument von die Zeit überdauerndem Wert, dem schadenfreudigen Leser mittlerweile in 15 Sprachen zugängig.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016