HASTA LA VICTORIA SIEMPRE!

01. Januar 1900

Es geht um Frau Sara de Pinto. Es ist 18.40 Uhr. 24. März 1980. Er steht am Altar, feiert die Messe zum Jahresgedächtnis, predigt. Wie so oft hängen sie an seinen Lippen, nehmen seine Worte mit billigen Kassettenrecordern auf – die Krebskranken, die Ordensschwestern, die anderen Gläubigen, hier in der Krankenhauskapelle der Schwester von der Göttlichen Erlösung, hier in seiner Stadt, hier in seinem Land. San Salvador. El Salvador.
Es geht um Frau Sara de Pinto – und um mehr in dieser Predigt: (...) Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern, dies alles mit Hoffnung, Hingabe und Aufopferung im Auge zu behalten und das zu tun, was noch möglich ist. Wir alle können etwas tun, und sei es nur, zur Verständigung beizutragen. Diese vorbildliche Frau, deren Jahresgedächtnis wir begehen, konnte vielleicht nicht direkt etwas tun, sie hat aber diejenigen ermutigt, die arbeiten und kämpfen konnten.
Ihr Gebet und Verlangen nach Gerechtigkeit und Frieden sind auch nach ihrem Tod eine Botschaft für uns.
Wir wissen, dass niemand für immer stirbt und dass diejenigen, die ihre Aufgabe mit tiefem Glauben, mit Hoffnung und Liebe erfüllt haben, die Krone erhalten werden. In diesem Sinne beten wir für Doña Sarita und für uns selbst ...

In diesem Augenblick fällt der Schuss. Getroffen, gefällt: Erzbischof Oscar Arnulfo Romero y Galdamez. Der Aufschrei, der durch die Kapelle geht – er ist zu hören. Bis heute. Oscar Romero, die Hoffnung so vieler Geschundener, Vergewaltigter, Getretener in seinem Land, ist tot. Symbol ist er geworden seither, weit über El Salvador hinaus, Symbol für eine Kirche, die den Kopf hinhält, die sich in der Spur des Erlösers – El Salvador! – solidarisch zeigt mit den Armen, mit ihnen und stirbt.

Zu viel Pathos? Mag sein, aber wenn man das Wort richtig liest und übersetzt, dann nicht: Leid. Und Leidenschaft. Und mehr als lockere Sympathie. Dabei ist es mehr als verwunderlich, dass es ausgerechnet Oscar A. Romero sein wird: Hoffnungsträger seines Volkes, Symbolfigur für seine Kirche. Immer wieder wird er beschrieben als zurückhaltend, eher grüblerisch, von einer stillen, tiefen Frömmigkeit, schlichter Ausstrahlung – alles andere als ein Kämpfer, alles andere als ein geborener Märtyrer, als die auffällige Zielscheibe für einen gedungenen Mörder, der den Auftrag einer korrupten, gnadenlosen Großgrundbesitzer- und Politikerkaste ausführt, die die Mehrheit des Volkes schamlos ausbeutet.

Leben in Kürze. Am 15. August 1917 wird Romero in Barrios an der Grenze zu Honduras, geboren. Sein Vater, Santos Romero, arbeitet im Telegrafenamt. Die Mutter, Guadalupe de Jesus, ein Ausbund von Güte. Früh erhält Romero Unterricht von Patres. Eintritt ins Priesterseminar und Studium in San Salvador, dann an der Gregoriana in Rom. 1942 Priesterweihe. Er findet keine Zeit mehr, seine Dissertation zu schreiben. Anschließend Dorfpfarrer in Anamoros, Sekretär von Bischof Machado, Rektor der Kathedrale, Direktor des Seminars Chaparrastique, Rektor des interdiözesanen Seminars in San Salvador. 1966 Generalsekretär der Bischofskonferenz. 1967 Exekutivsekretär des Rates der Bischöfe von Mittelamerika und Panama. 1974 Weihbischof von Bischof Luis Chavez in San Salvador. 15.10.1974 Bischof von Santiago de Maria. 3.2.1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt.
Viele Interpreten haben sich ein scharf vereinfachendes Deutemuster für dieses Märtyrerleben zurechtgelegt: der frühe Romero da: rechts, konservativ, bloß fromm,  die kirchliche Karriereleiter erklimmend, der späte  Romero dort: links, revolutionär, aktiv, und unten beim einfachen Volk. Solche Schablonen helfen wenig, verraten nur, dass man mit einem Lebensphänomen wie dem des Oscar Romero letztlich nicht zurechtkommt.

Ein Blick in Tagebücher (genauer: Diktate), die Romero in seinen letzten Lebensjahren geführt hat, und dann wird etwas deutlicher, dass die beiden genannten Einschätzung nicht völlig falsch sind, aber eben nicht nacheinander zu verbuchen sind, sondern sich in dieser Lebensgeschichte ständig verwoben und gegenseitig getragen haben. Der einfache, tiefgläubige Seelsorger bleibt durchgehend. Aber die veränderten Aufgaben, die ständig wachsende Verantwortung (und damit die wachsende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit), nicht zuletzt aber auch die immer bewusster werdende katastrophale Situation der Menschen in seinem Land, das Ausbleiben, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Reformen treiben den Seelsorger immer mehr an, Partei zu ergreifen. Er deutet schlicht die Zeichen seiner Zeit und Umgebung aus dem Licht des Glaubens und zieht Konsequenzen. Und die sieht Romero bald. Der Mordanschlag, dem er zum Opfer fällt, ist nicht das erste Attentat, das auf ihn geplant wird. Schon bald steht er auf den Todeslisten der Machthaber. Je mehr Romero erkennt und handelt, desto größer wird sein Risiko. Und vergessen darf man dabei auch nicht, dass es für ihn sowohl die geschundenen einfachen Menschen als auch die geschundenen Kirchen, die entweihten heiligen Orte sind, die ihn schon treffen, bevor ihn ein Geschoss trifft. Und es sind die Geschosse, die Freunde, Wegbegleiter, Ordensschwestern und priesterliche Mitbrüder in seiner Umgebung vor ihm getroffen haben.
Am Tage nach seinem Tode ruft das Volk in den Straßen: Compañero Oscar Romero!
Hasta la victoria siempre! Am Tage seiner Beerdigung aber fallen schon wieder Bomben in die Trauergemeinde. Wieder mitten in der Predigt. 39 Tote diesmal, 300 Verletzte. Romero also umsonst gestorben? Nein, aber es ist ein bitteres Nein.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016