Heilsgeschichte in Glas

15. Dezember 2003 | von

“Es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt, um die Taufe zu empfangen“, da ist sich Pfarrer Albin Lieblein ganz sicher. Sagt’s, strahlt den Besucher der  Leutershäuser Kuratiekirche an und sorgt mit seiner hinreißenden Führung dafür, dass auch dieser sich keinen besseren Ort für den Beginn eines christlichen Lebens vorstellen kann.

Schönheit und Symbolik. Geborgen fühlt man sich, wenn man den kleinen Taufraum im Osten der modernen Dorfkirche St. Bartholomäus betritt. Niedrig und dunkel – das ist der erste Eindruck, dann fängt ein lichtheller Farbwirbel den Blick ein  – die zwei rechtwinklig aneinander gefügte Glasfenster von Sieger Köder. Wie kam der Maler und Pfarrer – einer der berühmtesten religiösen Künstler unserer Tage – dazu, für die Kirche eines kleinen unterfränkischen Dorfes am Rande der Rhön zu arbeiten? Oder besser gefragt: Wie bekam ein Rhöner Pfarrer den “Schwäbischen Chagall“ dazu, seinen einfachen Kirchenbau in ein Kleinod zu verwandeln?
Eine staunenswerte Geschichte – und Glasbilder, die Staunen machen.
Für Pfarrer Lieblein scheint es die selbstverständlichste Sache der Welt zu sein. 1992 wurde das moderne Gotteshaus vollendet – beinahe zumindest. Pfarrer Lieblein fehlten noch wenige, funkelnde Mosaiksteine, durch die das Gesamtwerk erst gänzlich seine Schönheit  und Symbolik entfalten würde: Fenster von der Hand Sieger Köders.

Symbolischer Lebensweg. Seit 25 Jahren ist Albin Lieblein, Pfarrer in Bad Neustadt an der Saale und in Leutershausen, von der Kunst des im Schwäbischen lebenden Künstlers begeistert. So reifte in ihm der Plan und die Überzeugung: “Wir müssen ihn einfach gewinnen, er wird sicher etwas Passendes zu unserem Lebensweg machen.“ Der Lebensweg eines Christen – die Architektur soll ihn erfahrbar machen. Der Ausgangspunkt ist die Taufkapelle im Osten. Von hier aus entfaltet sich der Weg über die Diagonale des quadratischen Grundrisses auf einem steinernen Pfad im Mittelgang. Sein Ziel: Ambo und Altar. Wer ihnen entgegengeht, verlässt die niedrige und im Zwielicht liegende Taufkapelle, tritt in den sich kontinuierlich nach oben ausweitenden und heller werdenden Kirchenraum, der schließlich in der Lichtkuppel über dem Altar gipfelt. “Heimat der Seelen“, nennt Pfarrer Lieblein diesen Kulminationspunkt.
 
Bocksbeutel und Rhöner Wurst. Das Konzept konnte auch den Maler überzeugen. Doch erst einmal musste dieser so weit gebracht werden, sich überzeugen zu lassen.
Pfarrer Lieblein versuchte mehrmals vergeblich, den viel Beschäftigten telefonisch zu erreichen. Dann wählte der gewitzte Geistliche eine andere Methode: Präsenz und Präsente. “Ich bin auf gut Glück runter gefahren mit ein paar Dosen Hausmacherwurst und einigen Bocksbeuteln.“
Die hat er im schwäbischen Ellwangen dem Maler auf den Tisch gestellt. An den folgenden lakonischen Dialog erinnert er sich noch ganz genau. Sieger Köder: “Was willste denn?“ – “Wir bräuchten was von dir!“ Der Rhöner Pfarrer schob Dosenwurst und Bocksbeutel auf Seite und breitete die Pläne auf dem Tisch aus. Der Künstler überflog die Papiere und antwortete: “Da habt ihr euch ja was dabei gedacht.“ Damit war der Kontrakt auch schon besiegelt.

Beharrlichkeit. Es gingen dann doch noch zwölf Jahr ins Land, bis die Glasbilder im Sommer 2003 fertig waren, denn der Maler ist sehr gefragt. Längst kann er die Flut der Bestellungen nicht mehr bewältigen – und manchmal wird ja auch ein bisschen mehr draus, als vom Auftraggeber angekündigt.
“Zuerst sprach Pfarrer Lieblein nur von der Taufkapelle, und als wir hinkamen, hat er noch zwei Fenster nachgeschoben“, erinnert sich der 79–jährige Künstler. Doch der Hauptgrund für die lange Entstehungszeit ist natürlich ein anderer: “Ich schaff’ ja auch noch für andere, und die Arbeit in Glas ist ein langsamer Prozess.“
Reine Resignation angesichts des beharrlichen Rhöner Pfarrers scheint dann aber doch nicht das ausschlaggebende Motiv gewesen zu sein. Lieblein erinnert sich an den Ausruf des Künstlers beim ersten Ortstermin: “Ich will erleb’, wie sich die Kirche mit meinen Bildern schließt!“ Die Fenster schließen sie perfekt und öffnen sie zugleich unfassbaren Dimensionen, Anfang und Ziel unserer Heilsgeschichte mit Gott.

Wunderbare Schöpfung. Am Ausgangspunkt des Lebensweges in der Taufkapelle steht die Schöpfung – eine Komposition aus fahl–gebrochenen und intensiv–leuchtenden Farben, die sich in einer nach oben strebenden Kreisbewegung entfalten. Das untere Bilddrittel ist in blau– und grüngrauen Tönen gehalten, kleine Glassegmente, die sich gleich Gesteinsschichten übereinander schieben, mit eingelagerten versteinerten Muscheln und Schnecken– dieser Abschnitt steht für die Jahrmillionen der Schöpfung vor der Erschaffung des Menschen. Darüber im Zentrum: das Meer in Türkis– und Kobaltblau, aus dem die leuchtend blaue Schöpferhand auftaucht. Im Handteller trägt sie Lichtpunkte in der Form des Atommodells – miteinander verbunden ergeben sie den griechischen Buchstaben Alpha. Die Finger der Hand weisen in die linke obere Ecke des Fensters, auf den Nachthimmel in den Farben des Meeres. An ihm prangt das Sternbild des Orion – Bild für die Unendlichkeit des Universums. Auch hier bilden die Lichtpunkte einen Buchstaben, den letzten des griechischen Alphabetes: das Omega. “Ich bin das Alpha und Omega, das Erste und das Letzte, der Anfang und das Ende“, so sagt Gott von sich in der Offenbarung des Johannes (22,13). Symbolisiert durch die Hand sendet er die Schöpfung aus, entlässt sie in die Freiheit, um sie am Ende in seinen bergenden Händen wieder aufzufangen. Diese bilden den Abschluss der irdischen Sphäre am oberen Ende des Mittelteils. Sie nehmen nicht nur schützend auf, sondern geben auch – dem ersten Menschenpaar wunderbare Geschenke: goldgelbe Getreideähren, blaue und gründe Weintrauben und ein Strauß glühend roter Rosen, der für die Liebe steht. Auf all dies und ihren Schöpfer blicken Adam und Eva – gerade erst zum Leben erwacht – voller Erstaunen. Ihre Gesichter schälen sich aus den rotbraunen und maisgelben Feldern der Erde.
Insgesamt schließen sich die vier Elemente kompositorisch zum Kreis der Erdkugel: Das Wasser unten, darüber die Erde, das Feuer symbolisiert durch den Rosenstrauß und im obersten Segment des Fensters die Luft – anschaulich gemacht durch den Tag– und Nachthimmel. In der Mitte all dessen der Mensch wie ein Hauch angesichts der unendlichen Dimensionen von Zeit und Raum und doch im Zentrum des Glasbildes – unendlich wichtig, denn jeder Einzelne ist von Gott beim Namen gerufen und geliebt. Faszinierend, wie Sieger Köder die Worte der Bibel und ihre ganze theologische Tragweite Bild werden lässt.

Anschaulich. Nicht minder beeindruckend gelingt ihm dies in der “Heilsgeschichte“ nebenan. Hier hat er meisterhaft mehrere Brennpunkte des Glaubens – die Heilsereignisse Advent, Weihnachten, Karfreitag und Ostern – miteinander vereint und in einfache, leicht verständliche Bildsprache übersetzt. Die unteren zwei Register in Grau und Olivgrün zeigen die verzweifelt um Sinn ringende Menschheit, welche den Messias herbeisehnt. Gott erfüllt diese Sehnsucht und schickt seinen Sohn in die Geschichte hinein. Diese neue Epoche wird symbolisiert durch die Krippe mit dem goldgelbem Stroh und der leeren Windel. Aus dem Holz der Krippe erwächst das Holz des Kreuzes – zwei lichte Balken die blutrote Sphäre der Menschheitsgeschichte durchtrennend. Statt eines Korpus tragen sie das in der Mitte zerteilte Schweißtuch der Veronika. Warum wählt der Künstler eine solch ungewöhnliche Christusdarstellung? Sieger Köder: “Das ist ein ganzer Prozess, der mit der Geburt beginnt und der Auferstehung endet. Die Krippe ist schon leer. Meine Überlegung zum Tuch: Wenn es zerrissen ist, heißt es, die Geschichte ist überholt und geht schon weiter.“ Und wirklich: Über den Kreuzesbalken geht das strahlend–helle Licht des Ostermorgens auf.                      
Die beiden anderen Bilder, “Eucharistie“ – dieses Fensterbild wurde übrigens als Logo für den Eucharistischen Weltkongress 2005 in Mexiko erwählt –  und “Geist Gottes“ flankieren den symbolischen Lebensweg in der Kirche. Sie sollen dem Gläubigen Stärkung sein, auf seiner anstrengenden Pilgerreise gen’ himmlische Heimat.
      
Malender Pfarrer. Und auch hier wieder sind die Inhalte anschaulich und zugleich tiefgründig erläutert dargestellt. Sieger Köder nimmt Bezug auf den Standort der Kirche: In der Eucharistie wird der Blick der Leutershäuser auf die Berge der Rhön gezeigt, im “Geist Gottes“ tauchen Grund– und Aufriss von St. Bartholomäus auf. Warum wird der Künstler so konkret?
 “Ich male nicht für Kunstinteressierte, sondern für die gläubige Gemeinde“, erklärt Köder. Überhaupt sieht er sich nicht in erster Linie als Maler, sondern als Seelsorger: “Ich bin halt ein Pfarrer, der malt, so wie andre Pfarrer Fußball spielen oder die Klampfe zur Hand nehmen.“ Dazu passt, dass er sein Honorar für drei Hungerprojekte gespendet hat.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016