| Junge Menschen singen:       Laudato si, o mi signore...! und fügen nach diesem       Kehrvers einen deutschen Text mit der jeweiligen Endzeile: Sei gepriesen,       denn du bist wunderbar, Herr! Der etwas eigenwillige Rhythmus verleiht dem       Lied Schwung, und die italienischen Worte suggerieren, daß es sich bei dem       Lied um eine Übersetzung des Sonnengesanges des heiligen Franziskus       handelt. Ein       Stück Weltliteratur. Ein Gedicht, in dessen       zweiter Zeile das Wort insonderheit steht, signalisiert dagegen, daß hier       ein Text in gehobener, nicht mehr ganz moderner Sprache beginnt. Beide       Arten mit einem Text der Weltliteratur – und der Sonnengesang des heiligen       Franziskus zählt dazu – umzugehen, haben ihre Berechtigung. In diesen       Zeilen geht es um eine Übertragung des Sonnengesanges, die etwas 80 Jahre       alt ist. Mir ist sie seit meiner Schülerzeit in einem franziskanischen       Internat vertraut: Die Verse von Max Lehrs, die auf einer Prosaübersetzung       von Franz Brentano basieren, sind mir bis heute der Sonnengesang des       Heiligen schlechthin, obwohl mir inzwischen klar ist, daß jede Übersetzung       nur ein Notbehelf ist, der das Original nicht ersetzen kann.        Hochrangige Gelehrte.       Franz Brentano wurde am       16. Januar 1838 in Marienberg (heute zu Kamp-Bornhofen) geboren; er starb       am 17. März 1917 in Zürich. Der Neffe des Romantikers Clemens Brentano       wurde 1864 zum Priester geweiht, kehrte jedoch 1873 der Kirche den Rücken.       Er hatte zwei Professuren (Würzburg und Wien) inne. Seine letzten       Lebensjahre verbrachte er als Privatgelehrter in Florenz und Zürich. Der       Philosoph und gute Kenner des Aristoteles legte den Grund für die       phänomenologische Philosophie, in deren Rahmen für ihn die Psychologie       Grundwissenschaft ist.Das Kunsthistroiker Max Lehrs wurde am 24. Juni       1855 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er war von 1896       an Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts und veröffentlichte über den       Kupferstich im 15. Jahrhundert.
 Beide Übersetzer waren hochrangige       Gelehrte, die ihren Text bewußt schufen. Ihre Gedanken gehen deshalb       häufig weit über das Original hinaus, das heißt, sie wurden selbst zu       Dichtern. Unterschiede zum Originaltext dürfen also keinesfalls als Fehler       gewertet werden, schließlich hat ja Brentano das Italienische wie eine       zweite Muttersprache beherrscht.
 SONNENGESANGHerr Gott, ich       preise Dich im stillen
 um Deiner Werke Pracht,
 insonderheit der       goldnen Sonne willen,
 die Du gemacht.
 Denn schön ist meine       königliche Schwester,
 gibt Morgenrot und Mittagshelligkeit,
 den       Abendhimmel als der Künstler bester
 malt sie mit glühenden Farben       allezeit.
 Des Lenzes Blüten und des Sommers Ähren,
 des Herbstes       Trauben dank ich ihr,
 kein anderes       Geschöpf zu Deinen Ehren
 spricht lauter       mir.
 Herr Gott, ich preise       Dich im stillenum Deiner Werke       Pracht,
 des Bruders Mondes und der Sterne willen,
 die Du gemacht.
 Denn sie verklären meiner Nächte       Dunkel,
 und Friede trinkt das Herz,
 blick ich       empor, löst freundlich ihr Gefunkel
 mir jeden       Schmerz.
 Ich schau das Bild der Ewigkeiten
 im       Sternenschein,
 und nimmer kann im Wandel ich der       Zeiten
 ganz ungetröstet sein.
 Herr Gott, ich preise       Dich im stillenum Deiner Werke       Pracht,
 und um der Luft, der holden Schwester       willen,
 die Du gemacht.
 Sie blickt mit sanftem       Auge zu mir nieder,
 umkost mich lind
 und tränkt       mit Lebensodem meine Glieder
 im Sommerwind.
 Sie       trägt die Wolken über alle Länder
 mit mütterlichem       Sinn
 und läßt sie Regen träufeln,       Segensspender,
 zur Erde hin.
 Herr Gott, ich preise       Dich im stillenum Deiner Werke       Pracht,
 und um des Feuers, meines Bruders       willen,
 das Du gemacht.
 Denn, schön und stark,       weiß er die Kraft der Erzezu bändigen in       seiner roten Glut,
 demütig, milde, leuchtet mir die       Kerze,
 in treuer Hut,
 erwärmt er meine winterliche       Zelle
 bereitet mir das Mahl,
 verscheucht die       Dunkelheit mit froher Helle
 aus Kammer, Gang und       Saal.
 Herr Gott, ich preise       Dich im stillenum Deiner Werke       Pracht,
 Auch um des Wassers, meiner Schwester       willen,
 das Du gemacht.
 Denn sie ist keusch und       aufrichtig von Herzen,
 und alles Schöne nimmt sie freudig       auf,
 verklärts durch rhythmisch-heitres Spiel und       Scherzen
 im Wellenlauf.
 Dem Wandrer labt sie in       der Sonne Gluten
 der Zunge Trockenheit
 und kühlt       die Glieder wohlig in den Fluten
 ihm       hilfsbereit.
 Herr Gott, ich preise       Dich im stillen um Deiner Werke       Pracht,
 vor allem um der Mutter Erde willen,
 die Du gemacht,
 der       schöngegürtet, ewig-wunderbaren,
 die Gras und Kräuter, Busch und       Baum,
 die Tiere schuf, vom kleinsten unsichtbaren
 bis zu den Riesen       tief im Meeresraum.
 Sie hat auch meinen schwachen Leib       gestaltet,
 der wehrlos scheint und dennoch seine Hand
 zum Werkzeug       aller Werkzeuge entfaltet,
 und mit der Zunge leicht das Wort       gesandt
 in eines andern Brust, daß ein Gedanke
 mit mir sich eint,       ein Ton aus beiden klingt
 und so zuletzt ein Werk zum danke
 aus       zweier Menschen Doppelkraft entspringt.
 Herr Gott, ich preise Dich im       stillen
 um Deiner Werke Pracht,
 um aller Heiligen und       Weisen willen,
 die rühmen Deine Macht,
 der Brüder       mild, mit sanften Händen,
 die jene, die sie haßten, nur       geliebt
 und jenen, die da fluchen, Segen spenden,
 im       Leid geübt.
 Die dankbar Dich mit hohem Sinn verehrten
 und       unverwandt,
 lag schwer mitunter auch auf den Bekehrten,
 Herr, Deine       Hand.
 Herr       Gott, ich preise Dich im stillenum Deiner Werke Pracht,
 auch um der       Schmerzen und des Todes willen,
 die Du erdacht.
 Denn unsre Trauer       wird zur Freude wenden
 sich einst im Zeitenlauf,
 schließt Bruder Tod       uns erst mit stillen Händen
 des bessern Lebens Pforte auf.
 Und selig       die, so in dem Herzen sterben
 ohn Furcht und Graun,
 sie werden froh       die Ewigkeit erwerben
 und keinen zweiten Tod mehr schaun.
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