Hoffnung hinter Gittern

25. Februar 2008 | von

Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind (2 Kor 1,3-4).

Du warst voll froher Lebenszuversicht. Du hattest Lebensziele vor Augen, die du erreichen wolltest. In deinem Denken gab es nichts, was dich davon hätte abhalten können. Da traf dich das Unglück mit voller Wucht. Eine Krankheit zwang dich in die Knie. Ein geliebter Mensch brachte tiefe Enttäuschung. Hass und Gewalt des Bösen rissen dich in Verlassenheit, Schmerz, Leid, Erniedrigung und wurden deine täglichen Begleiter. Irgendetwas bäumt sich auf in dir. Und die bohrende Frage lässt dich nicht mehr los: Woran kann ich mich noch festhalten? Da taucht ein völlig unerwartetes Ereignis mit einem Mal deine Ängste in Freude und Liebe.

Schweigen als Antwort. Vor kurzem wurde ich mit der Lebensgeschichte einer Christin konfrontiert, die im Verlaufe der schrecklichen und gnadenlosen Verfolgungen zur Zeit der stalinistischen Diktatur unter die Räder kommunistischer Justiz geriet. Julija, eine junge Frau aus der Ukraine, wurde von der Geheimpolizei wegen ihres öffentlich bekundeten Glaubens an Christus verhaftet, ihrer Familie entrissen und in einem berüchtigten Moskauer Polizeigefängnis eingekerkert. Es wurde eine schlimme Zeit, geprägt von Folterung, Todesangst, schwankender Hoffnung und niederdrückender Verlassenheit.

„Es war ein Ort des Schreckens", berichtete Julija. „Immer musste eisige Friedhofsstille herrschen. Im Monate langen Isoliert-Sein in der Schwärze meiner kalt-feuchten Zelle betete ich: Barmherziger Christus! Hilf meiner Hilflosigkeit! Die Undurchdringlichkeit der Nacht, die mich im Dunkel des Verlassenfühlens so arg bedrängt, geht nicht zu Ende. Allein Du, mein Herr und Gott, weißt, wie viele flehende Gebete ich Deinem Herzen schon anvertraut habe, wie oft ich Dir meine Not und meinen Schmerz offen legte und Dich anrief, mich aus den Qualen meiner Hilflosigkeit und Folterung zu erlösen. Doch es war mir, als ob Du schweigst und die Angst in mir zulässt, von Dir verlassen zu sein. Warum unterziehst Du mich einer so harten Vertrauensprobe? Warum ist Schweigen Deine Antwort auf meine Not?

Wisch meine Tränen ab! Sieh mich an: Ich bin gefangen, blind in dieser Dunkelheit, orientierungslos in meiner Hilflosigkeit, eingeschlossen in diesem Kerker der quälenden Ängste. Schon fürchte ich mich vor Gedanken, welche den Keim der Verzweiflung in sich tragen. Aber ich dränge sie zurück, weil ich fest an Dich glauben will. Führe mich zu Deinem Licht, aus dem mir Deine Liebe zuströmt und mich in Deiner Geborgenheit wärmt. Und weiter betete ich"‚ sagte Julija, „Herr Jesus Christus! In meiner Hilflosigkeit und Verzagtheit bin ich ganz klein und demütig geworden. Meine Seele ist traurig und verängstigt. Daher bringe ich kein anderes Gebet mehr von meinen Lippen als Herr, sei mir barmherzig! Aber in diesen Worten liegt meine Hoffnung auf Deine Güte, meine Liebe zu Deinem Herzen. Nimm mich, Dein armes, schwaches Kind, in Deine Arme. Wische meine Tränen ab und vertreibe die tiefsten Ängste aus meinem Denken und Fühlen! Schenke mir Dein Erbarmen! Alles, was ich Dir dafür geben kann, sind mein Glaube, den ich vor den Drohungen des Bösen tapfer verteidigen will, meine kleine kindliche Liebe und das Vertrauen und Hoffen auf Deine so mächtige und zugleich zärtliche Güte. Sonst habe ich nichts mehr, denn ich fühle mich nahe dem Ende meiner Kräfte."

Wahrhaft auferstanden. Dann kam jenes unvergessliche Erlebnis, das in Julija eine Erschütterung des tiefsten Ergriffenseins auslöste, wo sie in Tränen des Glücks ausbrach und in ihrem schluchzenden Weinen nur mehr stammeln konnte: „Mein Herr und mein Gott!" Was war geschehen? Julija berichtet weiter: „Es war ein Abend, an dem mir eine meiner Mitgefangenen zuflüsterte: ‚Weißt du, was morgen für ein Tag ist? Morgen ist Ostern.’ Da ging mir so vieles durch den Sinn. Gab es denn für uns ein Ostern in dieser eisigen Hölle? Waren wir nicht völlig isoliert von der feierlichen Auferstehungsbotschaft in den Tagen unserer Kindheit? So ging ich mit meiner Mitgefangenen trostlos den Korridor des Gefängnisses entlang. Überall eisige Totenstille. Plötzlich, was war das? Ein lauter Ruf, ein furchtloser Schrei eines geschundenen Menschen aus einer Zelle durchbrach diese unheimliche Stille: Христос воскрес!‘ (Christus ist auferstanden!).

Erstarrt standen wir still. Unser Herz klopfte rasend vor innerer Bewegung. Wer hatte es gewagt, diese Stätte des Grauens mit dem Bekenntnis zur Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus herauszufordern? Meine Mitgefangene sah mich angstvoll an. Und plötzlich geschah etwas, was ich nie mehr vergessen werde. Aus jeder Zelle drangen schwache, laute, herzzerreißende, todesmutige Stimmen, die nichts mehr zu verlieren hatten. Dieser überwältigende Chor aus Stimmen geschundener, entwürdigter, verletzter, vergewaltigter Menschen schwoll an, setzte sich fort und hallte in den Gängen des Gefängnisses wie das Echo an einer Felsenwand:
Во истину воскрес!‘ (Er ist wahrhaft auferstanden!) – Ja, das Morgenrot der Auferstehung erwärmte mein ganzes Sein und erfüllte mein geschundenes Leben mit einem Licht unerklärlicher Freude."

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016