Im Streit um die Entstehung der Welt

12. April 2007 | von

In der Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Darwin seine Forschungsergebnisse, die die Geschichte von Pflanzen, Tieren und Menschen neu schreiben sollten. Einer Kopernikanischen Wende gleich, erschütterten sie das bis dahin gültige Weltbild. Von der zweiten großen narzistischen Kränkung des Menschen sprach Sigmund Freud Jahrzehnte später und stellte Darwins Theorie damit in die Reihe zwischen die Verwerfung des geozentrischen Weltbildes durch Kopernikus und die Erkenntnisse der modernen Psychoanalyse. Was bleibt vom Menschen, von seinem Selbstverständnis, wenn er Abschied nehmen muss von der Idee, dass die Erde der Mittelpunkt der Schöpfung sei? Und er selbst auch „nur" Ergebnis eines evolutionären Prozesses und mitnichten so frei, wie er bis dahin dachte?

Anfängliche Studien. Für Freud war nur allzu verständlich, dass Forschungsergebnisse, wie die Evolutionstheorie, heftige emotionale Reaktionen hervorriefen. Deren Begründer Charles Darwin wurde am 12. Februar 1809 in Shrewsbury in England geboren. Schon einer seiner Großväter war Naturwissenschaftler, und auch der kleine Charles zeigte früh Interesse in diese Richtung. Nach der Schule begann er zunächst ein Medizinstudium, das er jedoch abbrach. Er schrieb sich dann in Theologie ein und beendete 1831 sein Studium in Cambridge mit dem Examen. Dennoch hatte ihn auch als Theologiestudent seine Leidenschaft für die Naturwissenschaften nie verlassen, ein Umstand, der in der damaligen Zeit gar nicht befremden musste, da die Theologie eher als allumfassende Wissenschaft angesehen wurde.

Leidenschaftlicher Forscher. Charles Darwin trat nach erfolgreichem Examen dann auch keine Pfarrerstelle an, sondern entschloss sich, auf große Fahrt zu gehen. Fünf Jahre sollte die Reise mit der „Beagle" dauern, ihn unter anderem bis nach Südamerika, zu den Falklandinseln, auf die Galapagosinseln und nach Australien bringen und die, vor allem geologischen, Forschungen den Grundstein für seine Evolutionstheorie liefern. Fast so berühmt wie er selbst wurde die von den Galapagosinseln mitgebrachte Schildkröte „Harriet", die nach Schildkrötenart ein wahrhaft biblisches Alter erreichte und erst im Jahr 2006 verstarb. Sie war mehr als nur ein tierisches Souvenir, hatten ihn doch gerade die Schildkröten der diversen Inseln, in ihrer Verschiedenheit und gleichzeitigen Ähnlichkeit, auf die Idee gebracht, dass sie von einem gemeinsamen Ursprung ausgehend, sich durch die unterschiedlichen Anforderungen ihrer ebenso unterschiedlichen Lebensräume auseinander entwickelten. Ein Baustein seiner späteren Theorie war damit formuliert: Lebensformen können sich durch äußere Einflüsse über einen langen Zeitraum hin verändern. Bis dahin war man mehrheitlich der Auffassung gewesen, dass alle Lebensformen so erschaffen worden waren, wie sie auch aktuell dem Menschen vor Augen sind. Eine sozusagen „einmalige" Schöpfung, deren Resultat auch noch Jahrtausende später identisch war.

Bestsellerautor. Dennoch war Darwin nicht der erste und der einzige Naturwissenschaftler, der sich neue und andere Gedanken dazu machte. So hatte zum Beispiel Jean-Baptiste
de Lamarck schon 1809 im Geburtsjahr von Darwin in seiner Philosophie Zoologique geschrieben: „Da sich jede Art in … Harmonie mit ihrer Umgebung befinden muss und da sich diese Umgebung ständig ändert, muss eine Art, wenn sie in … Ausgewogenheit mit ihrer Umgebung bleiben will, gleichfalls einen stetigen Wandel durchmachen. Täte sie das nicht, geriete sie in Gefahr auszusterben." Lamarck war der Überzeugung, dass Artenveränderung durch häufigen Gebrauch oder Nichtgebrauch erfolge: etwa eine durch harte Arbeit entstandene Muskelvergrößerung, die dann an die kommenden Generationen vererbt würde. Seine Evolutionstheorie ist heute nur noch historisch bedeutsam.

Charles Darwin folgte in seinen Überlegungen anderen Richtungen: die Anpassung der Arten geschieht in seinen Augen durch Selektion. Im Austausch und zeitgleich mit Alfred Russel Wallace (der aufgrund seiner Beobachtung wilder Tiere zur Auffassung kam, dass es in Tierpopulationen einen ständigen Kampf ums Überleben geben „müsse", damit eine Überpopulation vermieden werde) und doch unabhängig von diesem formulierte er in den vierziger Jahren seine Evolutionstheorie, die er in den folgenden Jahren immer wieder überarbeitete. Veröffentlicht wurde sie jedoch erst im Jahre 1859 und am 1. Juli vor der Königlichen Linné-Gesellschaft vorgetragen. „On the origin of species..." übersetzt „Die Entstehung der Arten" war dann nicht nur der Titel der Vorlesung, sondern wurde zum ein Jahr später veröffentlichten Buchtitel und war binnen kürzester Zeit ausverkauft.

Theorie der Selektion. Die vier wesentlichen Hypothesen Darwins betrafen die Veränderlichkeit der Welt, die einem kontinuierlichen Veränderungsprozess unterliegt. Die Evolution erfolgt nach und nach und nicht sprunghaft. Alle lebenden Organismen stammen durch einen andauernden Verzweigungsprozess von gemeinsamen Vorfahren ab. Die vierte Feststellung, die er traf, bezog sich auf die natürliche Auslese: die am besten angepassten Individuen können sich am stärksten vermehren und so ihre Anlagen weitervererben, die schlechter angepassten werden verdrängt.

In zahlreichen Werken faltete Darwin seine Theorie weiter aus und wandte sie dann auf spezielle Themen an. So revolutionär diese Theorien in ihrer Zeit auch waren: nach anfänglicher Kritik war er in Wissenschaftskreisen hoch geachtet und nicht nur Mitglied der Royal Society, sondern auch der französischen Akademie der Wissenschaften. 1882 starb er und fand sein Grab in der Westminster Abbey.

Sein Name war geradezu zum Programm geworden: in der Folge wurden alle möglichen Evolutionstheorien als „Darwinismus" bezeichnet – sicherlich nicht unproblematisch und korrekt. Jedoch benutzten und benutzen vor allem seine Gegner diesen Begriff, der mit seinem Anhängsel „ismus" Darwins Vorstellungen als Ideologie wertet und ihr die Wissenschaftlichkeit abspricht.

Geistige Wende. Als ebenso schwierig erwies sich, dass bereits in der Zeit Darwins seine naturwissenschaftliche Theorie auf gesellschaftliche Zustände übertragen wurde, im sogenannten „Sozialdarwinismus". Die Theorie der Selektion als Überleben der Stärksten in der Gesellschaft war gefährlich und schien manchen eine willkommene Begründung für Eugenik zu liefern. Darwin selbst hat in seinen späteren Jahren den Sozialdarwinismus abgelehnt und die menschliche Gesellschaft mit ihrer Moral, ihren Werten als eigenständige Größe benannt, die andere Wege als die naturwissenschaftliche Evolution gehe.

Die katholische Kirche hat nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Evolutionstheorie längst ihren Frieden geschlossen. Das Lehramt betont dabei die unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Naturwissenschaften wie auch der Theologie. So wie die Biologie oder die Physik nichts über den Sinn des Lebens sagen können, ohne sich einer Grenzüberschreitung schuldig zu machen, so dürfe auch die Theologie sich nicht anmaßen, die Naturgesetze erklären zu wollen. Vor allem die Fortentwicklung der Exegese hat dazu beigetragen, unterschiedliche Aussageabsichten in der Bibel herauszuarbeiten. Und in dem Maße, in dem man die Genesis, vor allem die Schöpfungsgeschichte, nicht mehr buchstabengetreu verstand, also etwa im Sinne einer historischen Beschreibung der Schöpfung, sondern als Heilsaussage für den Menschen, schienen sich die Probleme mit dem evolutionären Weltbild aufzulösen. In der dogmatischen Konstitution „Dei Verbum" des II. Vatikanischen Konzils heißt es dementsprechend: „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte ... Denn die Wahrheit wird je anders dargelegt ... in verschiedenem Sinn geschichtlicher, prophetischer oder dichterischer Art, oder in anderen Redegattungen." So sind sich die Bibelwissenschaftler der „großen" Kirchen heute einig, dass es sich bei der Schöpfungsgeschichte weder um einen geschichtlichen noch einen naturwissenschaftlichen Bericht, sondern um einen Lobpreis des Schöpfergottes handelt, der zudem um Fragen der Geschöpflichkeit der Lebewesen, des Gebrochenseins menschlichen Lebens kreist.

Bekannte Debatte. In Amerika existieren vielfältige christliche Gruppierungen und evangelikale Glaubensrichtungen, die dieser Bibelauffassung nicht folgen. Sie verstehen die Bibel oftmals buchstabengetreu und ihr Bekenntnis dazu trägt fundamentalistische Züge. In diesen Kreisen findet der „Kreationismus" seine meisten Anhänger. Und die US-amerikanische Debatte darüber schwappt mit einer gewissen Regelmäßigkeit nach Europa über, wenn sie hier auch eher akademisch oder unterhaltsam daherkommt. Trotz des gegenteiligen Urteils im berühmten Scopes-Prozess von 1925 hatte sich in Amerika das naturwissenschaftliche Modell in den Lehrplänen durchgesetzt. In neuerer Zeit kämpft man dort jedoch wieder verbissen und auch juristisch um die Frage, ob die Kinder im Biologieunterricht die Aussagen der Genesis als verbindlich für die Entstehung der Welt lernen sollen oder eben Darwins Theorie oder gar beides nebeneinander. Im amerikanischen Präsidenten Bush haben die Kreationisten einen prominenten Unterstützer gefunden.

Alte und neue Kritiker. Zu unterscheiden sind dabei heutzutage verschiedene Richtungen. Eine zahlenmäßig kleinere Gruppe sind die sogenannten „Kurzzeit-Kreationisten", die an der Erschaffung der Welt in sieben Tagen (respektive sechs Tagen) festhalten. Ihre Argumente: Gott brauche keine langen Zeiträume, um die Welt zu erschaffen, die Welt sei gar nicht so alt, wie sie erscheine, da es für Gott nicht unmöglich sei, von Anfang an „Alles" zu erschaffen. Die Wissenschaftler täuschten sich daher im wahren Alter der Erde. Diese Kurzzeit-Kreationisten sind jedoch auch in Amerika eher eine kleine Schar. Eine durchaus größere Anhängerschaft findet der „Langzeit-Kreationismus", der sich in unterschiedliche Richtungen aufspaltet. Gemeinsam ist allen, dass sie durchaus eine lange Entstehungszeit der Erde annehmen und dies mit dem Schöpfungsbericht der Genesis auf unterschiedliche Art in Einklang bringen wollen, zum Beispiel dass Gott, nachdem die Erde schon lange bestand, dann erst den Schöpfungsakt des Menschen vollzog. Die wichtigste auch inhaltliche Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften und den etablierten Kirchen führen die Vertreter des „Intelligent Design" (ID). ID ist die Theorie, dass aufgrund der Komplexität der Welt sich nicht alles durch natürliche Evolution erklären lasse, sondern es des Eingreifens einer übernatürlichen „Intelligenz" bedurfte. Ganz offiziell legen sich die Vertreter des ID nicht fest, was damit konkret gemeint ist, jedoch wird intern durchaus von der Vorstellung eines „christlichen" Gottes gesprochen. Sie selbst interpretieren ihre Theorie als wissenschaftlich und halten die Evolutionstheorie nicht nur für unbewiesen, sondern auch für eine „Glaubensrichtung".

Ursprung im Logos. Der österreichische Kardinal Schönborn sorgte in den vergangenen Jahren für einigen Wirbel, da er sich an verschiedenen Stellen für die ID-Theorie aussprach, dies jedoch immer wieder auch relativierte.
Die Kirche, insbesondere der Vatikan, sah sich nicht genötigt, ihre Position zu revidieren. Die Evolutionstheorie sei mit dem Glauben an den christlichen Gott zu vereinbaren. Gott sei kein „innerweltliches Faktum", das naturwissenschaftlich zu belegen oder zu widerlegen sei, wie die ID-Theoretiker meinten. Als Schöpfer außerhalb von Zeit und Raum habe er seine „fruchtbare Potenz" in das Universum gelegt. Im Jahr 2000 äußerte sich der heutige Papst Benedikt XVI. so: „Das christliche Bild der Welt ist, dass die Welt in einem sehr komplizierten Evolutionsprozess entstanden ist, dass sie aber im Tiefsten eben doch aus dem Logos entstanden ist. Sie trägt insofern Vernunft in sich."

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016