Jahre der Entscheidung

28. Februar 2006

Genau 800 Jahre ist es her, seit Franz von Assisi seinen persönlichen Weg der Berufung durch Gott entdeckte und entschlossen antrat. Er war etwa 23 Jahre alt, als ihn eine innere Unruhe erfasste, der er sich stellte. Der Franziskanerorden begleitet gedenkend die vier Jahre von 1205 bis 1209, dem Jahr der mündlichen Genehmigung der neuen Ordensregel durch Papst Innozenz III.

Etwa im Jahr 1205 begann für Franziskus, den Sohn des Bernardone, jenes erstaunliche Abenteuer menschlicher und geistlicher Natur, das sich am Abend des 3. Oktober 1226 vollenden wird, „als sich an ihm alle Geheimnisse Christi erfüllten“.
Franziskus entschloß sich, das Evangelium als Maßstab für sein Leben zu wählen. So wurde er in kurzer Zeit zur transparenten und getreuen Darstellung Christi. In immer größerer Zahl zog er Brüder zu sich heran. Mit ihnen bildete er eine Gemeinschaft, die auf das Evangelium gegründet war. Für sich selbst und für seine Brüder wollte er, dass die Mutter Kirche diese „Lebensform“ billigte. Denn damit waren sie ausgewiesen als ‚Männer der Buße’, die sich als ‚Mindere Brüder’ vom Wort Gottes und vom Ostermysterium nähren.

Ein Weg von vier Jahren. Mit ziemlicher Sicherheit war es im Jahr 1209, als Papst Innozenz III. das Lebensprojekt des Franziskus anerkannte und mündlich guthieß. Damit beginnt die franziskanische Bewegung in ihren verschiedenen Ausformungen, institutionell, historisch und kulturell.
Hervorgegangen sind die Ursprünge des franziskanischen Charismas aus der ewigen Liebe des himmlischen Vaters für die Welt und im Besonderen für uns Franziskaner. Diese Ursprünge möchten wir neu bedenken und erinnernd feiern in den vier Jahren von 2005 bis 2009. Herz und Verstand wollen wir öffnen für die Aufnahme des Geschenkes an Heil und Gnade, das der Herr für uns bereithält, wenn wir den evangelischen Weg des Franziskus und seiner ersten Brüder erneut lesen und meditieren.
Der Weg dieser vier Jahre setzt sich zusammen aus Erinnerung, Überdenken und Gebet. In uns allen, die wir in Franziskus unseren Vater im Charisma erkennen, soll sich die Treue zur evangelischen Lebensform erneuern, der Wille zum echten und aufrichtigen Zeugnis für Christus, sowie die Eindeutigkeit unserer Sendung, allen Menschen das Evangelium von der Liebe des himmlischen Vater zu verkünden.

Im Geist des Ursprungs. Geleitet vom Geist des Herrn wollen wir uns erinnern und feiernd begehen. Damit bewirken wir eine Erneuerung unseres franziskanischen Lebens, wie es dem Charisma und den Inspirationen der Ursprünge entspricht. Die Vorgaben der Kirche hierzu: Rückkehr zu den Quellen; kluges und aufmerksames Hinsehen auf die Zeichen der Zeit.
Zu Beginn des dritten christlichen Jahrtausends ist all dies noch wichtiger geworden. Der Nachfolger Petri lädt uns ein, „erneut von Christus unseren Ausgang zu nehmen“, um dann mit Elan das Reich Gottes auszubreiten, das in der Geschichte da ist, wirkt und wächst.
Sich bis in die Ursprünge hinein zurückerinnern, dies bedeutet für uns, den heiligen Franziskus als wegweisendes Bild anzunehmen. In seinem Testament „spürt er erinnernd nach“ – in Lob, Dank und Anbetung gegenüber dem einen und dreifaltigen Gott –, wie er nach dem Sinn für sein Leben suchte, wie er sich zu Christus und seinem Evangelium bekehrte und wie es seinen Anfang nahm mit der Brudergemeinschaft der Büßenden von Assisi.

Bruder aller Kreatur. Von seinen Brüdern verlangte Franziskus, sie sollten sich als ‚mindere Brüder’ betrachten: untereinander wie auch gegenüber allen geschaffenen Kreaturen, hatte er diese doch als Brüder und Schwestern entdeckt. Alle geschaffenen Wesen sollen als Geschenk des himmlischen Vaters angenommen werden.
Franziskus erinnert sich auch seines persönlichen und dann des gemeinschaftlichen Weges mit seinen Brüdern. Dieser Weg brachte ihn und seine Brüder unter der Eingebung des Heiligen Geistes dazu, eine „Lebensform“ auszuarbeiten, die dann von Papst Innozenz III. mündlich approbiert und später von Papst Honorius III. bestätigt wurde.
Unser feiernder Weg der Erinnerung wird sich an die Abfolge der bedeutsamen Momente halten, wie sie der persönlichen und der gemeinschaftlichen Erfahrung des heiligen Franziskus und seiner ersten Gefährten entspricht: von der existentiellen Unruhe bis zur Übernahme des Lebensentwurfes, der Gott eingegeben hatte und den die Kirche approbierte.

Unruhe und Suche. Die Frage „Was willst du, Herr, dass ich tun soll?“ aus der Dreigefährtenlegende zeigt die innere Unruhe, die Franziskus antreibt, sich auf die existentielle Suche nach dem Sinn seines persönlichen Lebens zu machen. Sie führt ihn zur Bekehrung.
Der jugendliche Franziskus macht sich auf die Suche nach dem, was seinem Leben vollen Sinn geben kann. Er löst sich von seiner Familie, von seinem Besitz und von der Welt und entdeckt Gott als Vater.
Und er begegnet dem gekreuzigten Christus, zuerst im Bild von San Damiano und dann lebendig im Aussätzigen. Unter dieser Inspiration zieht er als neuer „Arzt des Evangeliums“ (vgl. Bonaventura, Legenda maior 2,6) hinaus zu allen „Gekreuzigten“ der Welt. Die Entdeckung Gottes als Vater und die Begegnung mit Christus im Geiste prägen seine Gefühle, seine Haltungen und sein Auftreten.

Der Traum. Auf dem Weg nach Apulien hörte er, wie der Herr nachts vertraulich zu ihm sprach: „Franziskus, wer kann dir mehr bieten, der Herr oder der Knecht, der Reiche oder der Arme?“ Als Franziskus zur Antwort gab, der Herr und der Reiche könnten ihm mehr schenken, fuhr die Stimme fort: „Warum verläßt du dann den Herrn um des Knechtes, den Reichen um des Armen willen?“ Darauf Franziskus: „Was willst du, Herr, dass ich tun soll?“ Als der Morgen anbrach, kehrte Franziskus eilends voll Zuversicht und Freude nach Assisi zurück und harrte, schon zum Vorbild des Gehorsams geworden, was der Wille des Herrn von ihm verlangte. Bonaventura, Legenda maior 1,3

Die Entscheidung. Das wunderbare Feuer des Geistes machte ihn so trunken, dass er auch seine Unterkleider zurückgab und vor allen Leuten ganz entblößt stand und an seinen Vater die Worte richtete: „Bis heute habe ich dich auf Erden meinen Vater genannt. Jetzt aber kann ich voll Vertrauen sprechen: Unser Vater, der du bist im Himmel, bei dem ich all meine Schätze hinterlegt und auf den ich meine ganze Hoffnung und Zuversicht gesetzt habe. Bonaventura, Legenda maior 2,4

Wir sind dran. Die existentielle Unruhe des Franziskus ist die Unruhe eines jeden Menschen. Sein Suchen ist das Suchen eines jeden Menschen. Berufung ist immer Antwort Gottes auf unser persönliches Suchen nach Lebenssinn.
• Trägt meine Berufung noch mein Leben?
• Wie entdecke und wie verkoste ich Gott als meinen Vater im Himmel?
• Strahlt die Liebe zu Christus, dem Armen und Gekreuzigten, aus bis in die Liebe zum Nächsten, der am meisten verlassen und vergessen ist?
• Ist die Betrachtung des Antlitzes Christi für mich noch Indikator für Aszese und Verfügbarkeit im Sein-für-andere?
• Was erwarten die Leute heutzutage von mir als einem Sohn / einer Tochter des heiligen Franziskus?
• Was erwartet die Kirche?

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016