Justizpalast mit Überraschungseffekt

19. Mai 2025 | von

Im Volksmund wird das große Gebäude mitten in Padua „Il Salone“ genannt. Offizieller Name ist „Palazzo della Ragione“. Um ihn herum bieten Marktstände auch heute noch frisches Obst und Gemüse an.

Bei meinem ersten Aufenthalt in Padua vor vielen Jahren fiel mir bei meinem Stadtbummel das eindrucksvolle Gebäude des „Palazzo della Ragione“ auf. Dass damit im Italienischen ein Justizpalast bezeichnet wird, wusste ich. Doch werden hier, inmitten eines bunten Markttreibens zwischen der Piazza delle Erbe und der Piazza della Frutta tatsächlich noch Gerichtsurteile gefällt? Denn im Erdgeschoss gibt es zahlreiche kleine Geschäfte, die Käse, Fleisch, Wurst und Fisch in hoher Qualität anbieten, und auch dem, der nichts kauft, ein wahres Dufterlebnis bieten. Und auf dem Platz vor dem Palazzo sind an Markttagen zahlreiche Gemüsestände aufgebaut. Hier kommen nicht nur die Einheimischen zu ihrem frischen Wocheneinkauf, sondern auch Touristen auf ihre Kosten. 

Von Richtern und Händlern
Die Antwort auf meine Unsicherheit, was es mit diesem Gebäude nun auf sich hat, liefert die Geschichte. Der Palazzo, der zwischen 1172 und 1218 erbaut wurde, gilt als einer der bedeutendsten nicht-religiösen Bauten des Hoch- und Spätmittelalters in Europa. Er wurde tatsächlich mit einer Doppelfunktion erbaut: für das Gericht wie für den Markt. Mit seinen 82 Metern Länge und 27 Metern Breite gilt er als eines der größten zivilen Bauwerke der damaligen Zeit. Der Architekt Giovanni degli Eremitani ließ zwischen 1306 und 1309 die drei großen Räume im Obergeschoss in einen einzigen Saal umbauen. Anschließend wurde der Maler Giotto di Bondone beauftragt, die Wände des gigantischen Saals mit Fresken zu versehen, die allerdings 1420 von einem Feuer zerstört wurden. Ein Team unter Nicolo‘ Miretto und Stefano da Ferrara schuf für das von Architekt Bartolomeo Rizzo wiedererrichtete Gebäude mit dem Dach in Form eines umgedrehten Schiffsrumpfs den bis heute erhaltenen Freskenzyklus mit 333 Tafeln. Zu sehen sind darauf viele astrologische Symbole. Die Fresken hatten aber auch eine ganz praktische Funktion: Ein Freskenband zeigt religiöse Themen, dazwischen immer wieder Tierfiguren. Unter diesen saßen im großen Saal Richter und Notare, um die verschiedenen Fälle zu verhandeln. Diejenigen, die vor Gericht geladen wurden, erhielten eine Karte mit dem Symbol des Richters, der über sie urteilen würde, und so mussten sich die Menschen, von denen damals viele weder lesen noch schreiben konnten, nur die Figur des Tieres merken, um ihren Richter zu identifizieren. Der Zugang zum Saal erfolgte über vier Treppen, die nach dem Markt benannt waren, der auf den Plätzen rund um den Palazzo stattfand: die Scala degli uccelli (Vogeltreppe) am Volto della Corda, die Scala dei ferri lavorati (Schmiedetreppe) an der Piazza delle Erbe, die Scala del vino (Weintreppe), ebenfalls an der Piazza delle Erbe, und die Scala della frutta (Obsttreppe) an der gleichnamigen Piazza.
Am Volta della Corda genannten Torbogen hingen an fünf Steinringen immer Seile. Sie sollten die Händler erinnern, ehrlich zu sein. Und wer sich als Lügner, Betrüger oder zahlungsunfähiger Schuldner herausstellte, wurde damit geschlagen. In der Nähe des Volto sind – noch heute sichtbar – auf weißem Stein die alten paduanischen Maße eingemeißelt, die damals von den Kunden verwendet wurden, um nicht von den Verkäufern betrogen zu werden. Dass es trotzdem nicht immer ehrlich zuging, zeigt, dass diese Ecke auch „Lügeneck“ (Canton delle busie) genannt wird, weil hier die Treffen zwischen den Händlern stattfanden. 

Neue Nutzung
Ein Schicksalsschlag für den Palazzo della Ragione war der 17. August 1757. Ein Wirbelsturm zerstört das Dach. Bartolomoeo Farracina verantwortet den Wiederaufbau. Doch die Gerichtszeiten sind bald vorbei: Die Justiz zieht 1797 um. Seitdem ist die große Halle für Volksversammlungen, Feiern und Feste geöffnet, heute vor allem für Kunstausstellungen und öffentliche Veranstaltungen. Der Palast ist heute in die Städtischen Museen Paduas integriert und wurde dank seiner Fresken von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. 
Archäologische Ausgrabungen in den 90er Jahren förderten Überreste aus der Römerzeit zu Tage: Die Ruinen eines römischen Hauses aus dem 1./2. Jahrhundert können von Touristen besichtigt werden. Im großen Saal werden es vor allem zwei Dinge sein, die die Neugier von Besuchern wecken. Zunächst das Foucaultsche Pendel mit seinem 20 m langen Drahtseil samt 13 kg schwerer Kugel, mit dessen Hilfe die Erdrotation nachgewiesen werden kann. Und natürlich das überdimensionale, 5,75 m hohe Pferd aus Holz, das von einer wohlhabenden Familie für eine Parade im Jahr 1466 in Auftrag gegeben worden war und dem berühmten von Donatello (ca. 1386 bis 1466) geschaffenen Reiterdenkmal Gattamelatas vor der Antonius-Basilika ähnelt. Seit 1837 ist das Pferd im Besitz der Stadt Padua und wurde mehrfach restauriert, zuletzt 2004. Auf dem Rücken befindet sich eine Falltür, die den Zugang zum Innern ermöglicht – der bleibt den Museumsbesuchern freilich verwehrt.

Zuletzt aktualisiert: 19. Mai 2025
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