#Kann Kirche Medien?

06. Juli 2020 | von

In unserem „Thema des Monats“ nehmen wir in dieser Ausgabe einmal die Medien selbst unter die Lupe. Gerade in den letzten Wochen war das kirchliche Medienapostolat gefragt, wo viele gewohnte Formen der Kommunikation aufgrund der Corona-Krise nur eingeschränkt verfügbar waren. 

Ich kann mich noch einigermaßen gut erinnern. Es war wohl 2003 oder 2004. Ich war damals Postulant im Kloster Maria Eck und aus Würzburg rief mich einer unserer studierenden Brüder an. Damals wurde gerade ein Umbau der Junioratsräume geplant und strittig war die Frage, ob die Brüderzimmer mit Internetkabeln versehen werden sollen oder nicht. Offensichtlich waren die jüngeren Brüder eher dafür – die Brüder der Leitung eher dagegen. Nachdem ich damals offensichtlich schon den Ruf hatte, mich in den Statuten und Verlautbarungen des Ordens einigermaßen auszukennen, wurde ich also gebeten: „Andreas, such doch mal was, was wir den Oberen vorlegen können – irgendein Zitat aus unseren Dokumenten, das sich benutzen lässt, um die Brüder von den Internetkabeln zu überzeugen.“ Ich habe dann tatsächlich auch etwas einigermaßen Brauchbares gefunden. 1998 hatte der Orden ein Dokument herausgegeben mit dem Titel „Das franziskanisch-konventuale Charisma. Ursprung, Geschichte und heutige Verwirklichung“. Es steht heute noch bei mir im Regal, und der damals benutzte Satz ist immer noch gelb markiert: „In seiner apostolischen Tätigkeit, der Kleriker wie der Laien, sollte sich der Orden, dem großen Beispiel des hl. Maximilian folgend, für den Einsatz der modernsten und wirksamsten Kommunikationsmittel öffnen.“ Ob man damit nun tatsächlich halbwegs ehrlich Internetkabel für alle Zimmer fordern konnte, sei einmal dahingestellt. Auch ob „mein“ Zitat letztlich den Ausschlag gab, ist mir unbekannt – aber jedenfalls war bald in jedem Zimmer ein Internetanschluss installiert. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit erscheint und dank WLAN eigentlich schon fast als antiquiert gilt, war vor 16, 17 Jahren zumindest noch ein Streitpunkt. Ja, die Kirche und die Medien…

Kirchliches Medienapostolat
Längst aber haben die Bistümer eine eigene Internetredaktion samt Social-Media-Referenten, der Papst twittert, und wenn die Datenschutzgrundverordnung nicht irgendwie im Konflikt mit Facebook stünde, wären die dortigen kirchlichen Medienaktivitäten sicherlich noch weiter ausgebaut. Dr. Ludwig Schick, der Bamberger Erzbischof, sieht auch hier den heiligen Maximilian Kolbe als Vorbild, wenn er mit Blick auf ihn schreibt: „Er war ein Vorreiter der modernen Kommunikationsmittel und verpflichtet die Kirche heute dazu, die Medien für die Ausbreitung des Evangeliums mit allen Möglichkeiten zu nutzen.“ 
Bis heute gebührt dem unermüdlichen Franziskaner-Minoriten wohl größter Respekt für sein Medienapostolat in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Getrieben vom Wunsch, mit Hilfe der „Militia Immaculatae“ die ganze Welt für Christus zu gewinnen, nutzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Medienmöglichkeiten, um Menschen zu erreichen. Seine Zeitungen und Zeitschriften erreichten Auflagen über mehrere Hunderttausend Exemplare. Mit seinem eigenen Radiosender konnte der heutige Patron der Journalisten bis in die entlegensten Winkel seine Botschaft platzieren. 
Was Zeitschriften anbelangt, waren die Brüder an der Basilika des heiligen Antonius sogar noch schneller. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts erscheint der „Messaggero di Sant’Antonio“, seit über 60 Jahren auch mit einer deutschsprachigen Ausgabe. Und jenseits unserer Ordensgemeinschaft haben natürlich quasi alle lokalen Bistümer und sämtliche Orden und Kongregationen ihre eigenen Medienorgane. 
Freilich kämpfen dann wiederum viele mit ähnlichen Sorgen: weniger werdende finanzielle Mittel, eine beständig älter werdende Leserschaft und rückgängige Auflagen. Kein Wunder, dass man versucht, über die „neuen sozialen Kommunikationsmittel“ auch neue Zielgruppen zu erreichen. 

Online um jeden Preis
Eine richtige „Welle“ solcher Aktivitäten war während der „Corona-Zeit“ zu erleben. Plötzlich wurden Eucharistiefeiern und Andachten live gestreamt, wurden Youtube-Kanäle eingerichtet, und kirchliche Dienstbesprechungen fanden als Videokonferenzen statt. Ludwig Maria Jetschke, ein „kirchlicher Online-Aktivist“, sprach denn auch vom „Fluch des überhastet benutzten Live-Buttons in Zeiten von Corona“ und kritisiert in seinem Blog unter www.lingualpfeife.de unter anderem, dass solche gestreamten Gottesdienste zumeist keine partizipativen Möglichkeiten für die online Mitfeiernden böten – obwohl das technisch längst möglich sei. 
Andere kritische Stimmen bemängelten dann eher schlechte Ton- und Bildqualität und kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, wenn da der Pfarrer mit seiner Gitarre spielenden Gemeindereferentin hinter dem Altar steht, mit einem Stoffesel die Geschichte des Palmsonntags erzählt und dann aus voller Kehle trällert „Die Erde ist schön“. Was gut gemeint war, hatte dann schnell das Etikett „mega-peinlich“ um den Hals, zumal das Internet so schnell nichts vergisst… 

Streamen als Beziehungspflege
Wo ich selbst solchen medialen Spontanaktionen eher kritisch gegenüber eingestellt war, musste ich aber ziemlich schnell begreifen, dass es vielen Gemeindemitgliedern gar nicht so sehr um die beste Übertragungsqualität und die tiefsinnigste Predigt ging: Wichtig schien vielen, etwas ihnen Vertrautes in einer Zeit der Krise zumindest irgendwie miterleben zu dürfen. Und das war dann eben mitunter nicht der perfekt inszenierte Fernsehgottesdienst, sondern der live gestreamte Gottesdienst mit leicht verwackeltem Bild – dafür aber aus der Pfarrkirche von nebenan und mit dem vertrauten Heimatpfarrer: die eingesetzten Medien als Beziehungspflege. 

Kein Christentum ohne Medien
Der Evangelische Erwachsenenkatechismus stellt im Blick auf das Christentum und die Medien wohl ganz auf dieser Wahrnehmungsebene dann auch fest: „Weil Gott nicht Teil unserer wahrnehmbaren Wirklichkeit ist, ist seine Realität kaum ohne Medien vermittelbar. Die christliche Glaubensvorstellung von Gott und einer höheren Wirklichkeit, welche die sichtbare Welt unsichtbar durchdringt, hat in gewisser Weise ‚virtuellen‘ Charakter.“
Und so haben die Kirchen durch die Jahrhunderte hindurch Wege gesucht und gefunden, die christliche Botschaft an den Mann und die Frau zu bringen.

Jahrhundertelange Medienerfahrung
Zur „Kommunikationsstrategie Jesu“ gehört, dass er sich zu seinen Lebzeiten Jüngerinnen und Jünger ausgesucht hat, die er „in alle Welt“ aussandte, um seine Botschaft weiterzutragen. Es entstehen Evangelien und Briefe, die auch nach seinem Tod und seiner Himmelfahrt seine Worte in ganz neuen Kontexten vermitteln. Aus dem 3./4. Jahrhundert stammen schließlich die ältesten bislang bekannten Spuren christlicher Kunst: Zeichnungen in den Katakomben erinnern beispielsweise an das letzte Abendmahl oder die Auferweckung des Lazarus. Nach und nach entstehen Bibelübersetzungen, und immer aufwändiger illustrierte Bibelausgaben werden in klösterlicher Handarbeit hergestellt. 
Im Mittelalter gelten Bilder schließlich als „Bibel der Armen“: Sie ermöglichen es dem „einfachen Volk“, oft des Lesens und Schreibens unkundig, sich mit der Botschaft Jesu auseinandersetzen zu können. Es entstehen Mysterienspiele, Karfreitagsspiele und schließlich Passionsspiele, die die Jesus-Geschichte szenisch nachzuspielen versuchen – oft aktualisiert in dem jeweiligen kulturellen Kontext. Die Renaissance bringt mit Bildhauern wie Michelangelo Buonarroti (1475-1564) oder Schnitzern wie Tilman Riemenschneider (1460-1531) große Künstler hervor, die auf ihre Weise biblische Botschaften vermitteln. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (ca. 1400-1468) ermöglicht in großem Stil die Verbreitung gedruckter Schriften, derer sich vor allem Martin Luther eifrig bedient. Schließlich tauchen erste Orgeln in den Gottesdiensten auf, zahlreiche Musikkapellen werden gegründet. Im 19. Jahrhundert entstehen Verlage mit dem Ziel, die christliche Bildung zu fördern; so zum Beispiel der von Carl Bertelsmann, der sich der Erweckungsbewegung zurechnete, gegründete Verlag, der bis heute zu den großen Medienunternehmen gehört, wenn auch der Schwerpunkt längst jenseits christlicher Publikationen liegt. Im letzten Jahrhundert sind es vor allem Radio und TV, in denen die Kirche medial präsent ist. Bis heute erreichen Fernsehgottesdienste am Sonntagmorgen mehrere Hunderttausend Zuschauer, in „Corona-Zeiten“ sogar deutlich über eine Million Mitfeiernde. Der größte, 1981 gegründete religiöse Fernsehsender EWTN erreicht weltweit mehr als 200 Millionen Haushalte und sendet in 140 Ländern. Hier können auch die Menschen am kirchlichen Leben partizipieren und Glaubensinhalte abrufen, die vielleicht aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund von Entfernungen nicht mehr am „analogen“ Gottesdienst oder an sonstigen Glaubensangeboten teilnehmen können. 
Der Schnelldurchgang zeigt: Die Kirche war nicht nur seit ihren Anfängen auf Medien angewiesen, sie hat auch Medienformen geprägt, perfektioniert und in den Dienst ihrer Verkündigung in der jeweiligen Zeit zu nehmen gewusst. 

Medien als Macht
Wer Medien einsetzt, noch dazu im großen Stil, der übt damit freilich eine nicht unwesentliche Macht aus – nicht nur durch die Präsenz auf dem Medienmarkt, sondern auch durch die transportierten Inhalte. Medientheoretiker fragen deshalb auch kritisch: Wer kommt zu Wort? Welche Sicht der Dinge wird kommuniziert? Welche Ereignisse werden medial aufgegriffen und dadurch verstärkt? Was wird verschwiegen oder kleingeredet? 
Dann gibt es große katholische Portale, bei deren Überschriften man nicht selten den Eindruck hat, es ginge vor allem um die Anzahl der Klicks: je reißerischer die Überschrift, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sich in den Weiten des Internets auf die gewünschte Seite klickt. Andere Seiten berichten dermaßen tendenziös, sind meist schlauer als der Papst, jedenfalls dann, wenn man diesen „der anderen Richtung“ zurechnet, und steigern sich dank Kommentarfunktionen noch tiefer in die festgelegte Meinung hinein. Wer andere Meinungen vertritt, dem wird dann das Katholisch-Sein abgesprochen.

Kontrolle von außen
Wo das Katholische, Kirchliche, Christliche auf die „normalen Medien“ trifft, wird diesen nicht selten Kirchenfeindlichkeit oder gar Hetze vorgeworfen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem deutschen Kurienkardinal vor etlichen Jahren, in das ich zufällig mit hineingeraten war, in dem dieser hohe Kirchenvertreter dann schnell dazu überging, auf die Medien zu schimpfen, die sich „wie Hunde“ auf die Kirche stürzen würden. Sicherlich müssen sich Journalisten die kritische Frage gefallen lassen, welche Absichten hinter ihrem Tun stehen und ob die Kirche ähnlich behandelt wird wie andere Institutionen. Doch ehrlicherweise wird man auch festhalten müssen: Wo die Medien nicht der Kirche so manches Mal auf die Finger schauen würden, wären Missbrauchs-, Macht- und Finanzskandale sicherlich noch weit weniger aufgearbeitet, als es nicht zuletzt durch das breit erzeugte öffentliche Interesse erforderlich geworden ist. 

Menschliches Erzählen
Wo kirchliche Medienaktivität sich heute mit Fragen beschäftigt, wie man den Medien im Allgemeinen begegnet, wie man in Zeiten knapper werdender Finanzen den immer höheren Qualitätsanspruch im Medienbereich überhaupt finanzieren soll, wirkt das Grußwort von Papst Franziskus zum 54. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, der in Deutschland am 13. September begangen wird (Termin weltweit: 24. Mai 2020), beinahe antiquiert. Es bringt aber wohl auch in Erinnerung, was das eigentliche Ziel von „Kirche und Medien“ sein könnte. Papst Franziskus zeigt sich davon überzeugt, dass wir „die Wahrheit guter Geschichten nötig haben (…) Geschichten, die erbauen, nicht zerstören; Geschichten, die uns helfen, unsere Wurzeln und die Kraft zu finden, gemeinsam voranzugehen. Im Wirrwarr der uns umgebenden Stimmen und Botschaften brauchen wir ein menschliches Erzählen, das von uns und von dem Schönen spricht, das in uns wohnt. Ein Erzählen, das die Welt und die Ereignisse mit Zärtlichkeit zu betrachten versteht; das erzählt, dass wir Teil eines lebendigen Gewebes sind und das zeigt, wie sehr die Fäden, die uns aneinander binden, miteinander verflochten sind.“ Er schreibt dies in einer Zeit, in der „die Kunst der Fälschung immer raffinierter wird und ein unglaubliches Niveau erreicht hat (deepfake)“. Er fordert Mut, „um die falschen und bösartigen Geschichten zurückzuweisen“ und wünscht sich „Geduld und Unterscheidungsvermögen, um jene Geschichten wiederzuentdecken, die uns helfen, inmitten unserer Zeit nicht den Faden zu verlieren“. Kirchlicher Medienaktivität schreibt er dann ins Stammbuch: „Es geht also nicht darum, der Logik des storytellings zu folgen und auch nicht darum, Werbung zu machen oder sich selbst zur Schau zu stellen, sondern das Gedenken an das zu bewahren, was wir in den Augen Gottes sind; für das Zeugnis abzulegen, was der Heilige Geist in unsere Herzen schreibt; allen zu offenbaren, dass ihre Geschichten herrliche Wunder enthalten.“
Jenseits allen „Könnens“, wird sich „Kirche und Medien“ immer auch daran messen lassen müssen: Gelingt es, Menschen mit Gott und Kirche wieder neu und tiefer in Verbindung zu bringen? Wenn nicht, bleibt man kaum unterscheidbar in der Masse des Vielen. 
 

Zuletzt aktualisiert: 06. Juli 2020
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