Kirche an der Seite der Armen

01. Januar 1900 | von

Bruder Michael Stockinger OFMconv. (geb. 1960) trat 1983 in den Orden der Franziskaner-Minoriten ein. Nach seinem Studium in Würzburg wurde er am 8. Juni 1991 zum Priester geweiht. Die folgenden drei Jahre verbrachte er in Köln als pastoraler Mitarbeiter des Generalpräses des Internationalen Kolpingwerkes. Von 1994 bis 98 war er als Kaplan in Kaiserslautern tätig, seit März 1999 lebt er in Peru.

Du lebst seit etwa einem Jahr in Peru. Wie sind deine Eindrücke von diesem Land?
Das ist natürlich mit ein paar Zeilen außerordentlich schwer zu beschreiben. Peru ist ein Land voller Kontraste, voller Gegensätze, mit vielen Superlativen. Fast 3.000 km Pazifikküste, das Hochgebirge der Anden mit seinen zirka 30 Sechstausendern; und zwei Drittel des Landes sind Urwald. Das erste Jahr verbrachte ich überwiegend in Lima, der Hauptstadt, einem Großstadtmoloch mit etwa acht Millionen Menschen, die aus allen Klimazonen des Landes hier zusammenkommen.

Es ist ein faszinierendes Land mit wunderbaren Menschen, aber auch ein Land voller Gegensätze. Ein oder zwei Prozent der Einwohner von Lima kann sich ein Leben im Luxus leisten - der weitaus größte Teil der Bevölkerung aber kämpft ums Überleben.

Wie kam es zu deiner Entscheidung nach Peru zu gehen?
Bis vor wenigen Jahren habe ich immer gedacht und auch vielen gesagt, dass mein Platz in Deutschland ist. In den letzten Jahren ist aber die Sehnsucht, nochmal etwas ganz Neues anzufangen immer größer geworden. Nicht zuletzt spielte die Freundschaft zu meinem deutschen Mitbruder Padre Vicente, der seit 1991  in Peru lebt und vorher  in Costa Rica studiert hat, eine entscheidende Rolle. Nach einem vierwöchigen Besuch 1997 in diesem Land war ich dann fest entschlossen, mich in den Dienst unseres Ordens in Peru zu stellen. Gerade auch der Mord an unseren ersten Brüdern in Peru 1991 hat mich sehr berührt. Nun hoffe ich, durch die Fähigkeiten die ich mitbringe meinen Beitrag in unserer Gemeinschaft in diesem Land zu leisten.

War das nicht eine riesige Umstellung? Was bereitet(e) dir die größten Probleme, was empfindest du als besonders wohl tuend?
Also, man kann wirklich sagen, dass es eine riesige Umstellung war. Es ist eine andere Welt hier. Eigentlich bin ich immer noch in der Umstellungsphase. Das größte Problem ist für mich (nach wie vor) die Sprache. Das hatte ich mir doch leichter vorgestellt. Viele Leute ermuntern mich zwar immer und sagen, dass sie mich gut verstehen, aber für mich persönlich ist es sehr unbefriedigend mich nicht so wie gewohnt ausdrücken zu können.
Ja, und 38 Jahre in Deutschland lassen sich halt nicht so ganz abschütteln. In Peru hat Planung und Uhrzeit einfach einen anderen Stellenwert. Aber daran muss ich mich eben gewöhnen. Wie oft habe ich vergeblich gewartet - das zu ertragen ohne sich aufzuregen ist vielleicht eine echt franziskanische Übung.
Was ich als wohl tuend empfinde und was mich über manche Desorganisation hinwegtröstet, ist die spontane Herzlichkeit vor allem der Menschen an der Küste. Körperkontakt, Umarmungen, Begrüßung mit Küsschen sind Ausdruck einer großen Nähe. In dieser Beziehung hatte ich wirklich keinerlei Umstellungsprobleme, das entspricht vielmehr meinem Naturell.

Wie sieht die Arbeit der Minoriten vor Ort aus, vor allem deine eigenen Aufgaben?
1989 haben die polnischen Franziskaner-Minoriten der Krakauer Provinz mit drei Mitbrüdern in Peru begonnen, mitten in der äußerst schwierigen Zeit des Terrors des sendero luminoso (leuchtender Pfad). Unsere Brüder hatten in Pariacoto in den Bergen fünf Pfarreien übernommen mit 73 Dörfern, die bis zu 4.000 Meter hoch liegen. Am 9. August 1991 wurden zwei unserer Brüder von Terroristen umgebracht. Das war natürlich für unsere ganze Gemeinschaft ein großer Schock, von dem sie sich lange nicht erholt hat. Bis 1996 hielten vier Mitbrüder die Präsenz des Ordens aufrecht. Mittlerweile wurde in Lima eine Pfarrei übernommen mit ca. 20.000 Gläubigen. Hinzu kommt eine Pfarrei mit etwa 45.000 Mitgliedern in Chimbote, einer armen Stadt, über der ständig der Gestank von Fischmehlfabriken liegt, der einzigen Industrie am Ort.
Heute sind wir zum ersten Mal zehn Mitbrüder (neben P. Vicente und mir aus Deutschland und einigen polnischen Mitbrüdern gibt es inzwischen auch einheimische Minoriten) und können somit jeden der drei Konvente gut besetzen. Abgesehen von der Pfarrseelsorge arbeiten die Brüder in Schulen und im Gefängnis. In Pariacoto entstand auch ein kleines Bildungshaus mit Kursmöglichkeit für Campesinos (Landarbeiter) und Katecheten.
Meine Aufgabe bestand im ersten Jahr darin, unsere beiden Postulanten (Ordenskandidaten) zu begleiten. Aufgrund der Sprachprobleme war das natürlich, zumindest zu Beginn, sehr schwierig. Gleichzeitig half ich in der Pfarreiarbeit in Lima mit. Seit Januar arbeite ich in Pariacoto in den Bergen. Hier ist das Leben wirklich sehr einfach: Im ganzen Dorf gibt es nur zwei Telefone, Elektrizität nur hin und wieder. Verglichen mit den Dörfern weiter oben ist das fast schon Luxus: Dort gibt es weder Strom noch Licht noch fließendes Wasser noch Toiletten! Wenn wir einige Tage zu Besuch in den Höhendörfern sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als dieses Leben zu teilen – für uns Wohlstandseuropäer wirklich eine Herausforderung!

Wie erlebst du Kirche in diesem Land?
Auch diese Frage ist mit wenigen Sätzen eigentlich nicht zu beantworten. Die Kirche hier ist so vielfältig wie das Land selber.
Ich erlebte von Anfang an - und das hat mich sehr gefreut - eine lebendige Kirche mit einem starken Glauben, zumindest mit starken Glaubenstraditionen wie Prozessionen, die in Peru sehr wichtig sind. In Lima erlebte ich eigentlich immer gut gefüllte Kirchen, was allerdings bei der Größe der Pfarreien auch wieder nichts Besonderes ist. Die Katechese liegt  in vielen Pfarreien, auch in unserer Pfarrgemeinde in Lima, in der Verantwortung der Laien. Das, was in Deutschland erst anfängt (zum Beispiel Taufkatecheten-Teams), wird hier schon längst praktiziert. Und einen wesentlichen Beitrag leisten hier die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die haben ganz schön viel Arbeit, wenn man beispielsweise Größenordnungen von 350 Kommunionkindern und 170 Firmbewerbern bedenkt... Unsere Gemeinde in Lima hat allein vier Jugendchöre, die mit ihren traditionellen Instrumenten und den Rhythmen zur Lebendigkeit der Gottesdienste beitragen.
Das ist die eine Seite: Lebendigkeit, Aufbruch, Engagement - eine andere ist, dass das Opus Dei einen starken Einfluss in Peru hat. Der Erzbischof von Lima, Monseñor Cypriani, ist bekennendes Opus-Dei-Mitglied. Das sehe ich als nicht unbedingt förderlich für die Einheit der katholischen Kirche im Land. Klar, es gibt und gab in unserer Kirche immer verschiedene Richtungen, das darf ja auch sein. Aber in einem armen Land wie Peru darf sich die Pastoral eben nicht nur auf die Katechese beschränken, sondern muss sich auch in einer tatkräftigen Unterstützung wie comedores, das sind Mahlzeiten für arme Kinder, und Krankenstationen erweisen. Schade, ja sehr traurig wäre es für mich, wenn hoffnungsvolle Ansätze einer Kirche an der Seite der Armen zunichte gemacht würden.
Ein anderes Detail ist für mich die Problematik der einheimischen Priester. Es gibt kein Gehalt für sie – in Deutschland und anderen Ländern unvorstellbar! Deswegen sind sie gezwungen sich Pfarreien zu suchen, die ihren Lebensunterhalt und oft auch den ihrer Familien garantieren können. Das hat zur Folge, dass bei den Ärmsten, in den Bergen oder den pueblos jovenes (jungen Dörfern, wie die Stadtviertel der Ärmsten genannt werden) so gut wie keine peruanischen Priester zu finden sind, weil sie dort nicht leben können. Dort arbeiten ausländische Priester und Ordensleute, die Unterstützung von außen erfahren.

Wer regelmäßig über die Arbeit Bruder Michaels und seiner Mitbrüder in Peru informiert werden möchte, kann sich in den Verteiler für einen Rundbrief aufnehmen lassen. Geben Sie dafür bitte Ihre Adresse an:
Pater Joachim; Bismarckstraße 63; D - 67655 Kaiserslautern

Du bist offiziell als Missionar in Südamerika. Was bedeutet Mission für dich?
Also, wenn es für mich Reizwörter gibt, die mich auf die Palme bringen, dann gehört Mission, Missionar sicher dazu! Noch nie hat mir dieses Wort gefallen! Zudem hat die Kirche und haben die Menschen gerade auch hier in Peru keine guten Erfahrungen gemacht mit einer Verquickung von Eroberung und Mission, oft Zwangsmission. Wo die Freiheit der Entscheidung für das Christentum genommen wird, kann keine gute Frucht wachsen. Das Wort Mission weckt deshalb auch heute noch viele Erinnerungen an die (zu) große Nähe der Missionare des 16. Jahrhunderts mit den spanischen Eroberern. Ich verwende für mich deshalb das Wort Mission nicht gerne.
Ich arbeite hier im pastoralen Dienst. Ich versuche in diesem Land als Christ und Franziskaner und Priester zu leben und meinen Beitrag zu leisten, dass die frohe Botschaft verkündet wird durch Wort und Tat - und ich bin auch hier als einer, der lernen kann! Der sich anstecken lassen kann von der Fröhlichkeit und Spontaneität der Menschen. Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern sind Helfer zu Eurer Freude (2 Kor 1,24) - so lautet schließlich mein Primizspruch. Das peruanische Volk ist über Jahrhunderte hinweg unterdrückt und geknechtet worden. Die Kirche hier ist eine Kolonialkirche, das heißt die Missionare haben ihre Kirche und ihre Art der Frömmigkeit mit in dieses Land gebracht. Dies widerspricht meinem Verständnis.
Ich sehe meinen Beitrag in der solidarischen Begleitung von Menschen, die mir anvertraut sind oder die mich und meinen Rat suchen. Das ist für mich eine zutiefst beglückende Aufgabe.

Die Kirche erkennt seit dem 2. Vatikanischen Konzil zunehmend auch Wahrheiten in anderen Religionen an. Ist Mission dann überhaupt noch zeitgemäß?
Ich habe ja schon angedeutet, wie ich pastoralen Dienst verstehe. Gerade in Peru wird deutlich, wie schwierig dieser pastorale Dienst sein kann. In der Gebirgsregion haben einige Dörfer nur einen Gottesdienst im Jahr, an ihrem Patronatsfest! Der pastorale Dienst wird dort von den Katecheten aufrechterhalten. Die Katecheten unterstützend zu begleiten ist deshalb  das A und O unserer Arbeit. Aber was sind verglichen mit dem reichen Gottesdienstangebot in den Städten die spärlichen Besuche der Priester in den Höhendörfern? Die Menschen, die dort leben, brauchen unsere Solidarität, unsere Nähe, unsere Begleitung. Die Eucharistiefeier und das Bußsakrament darf ihnen nicht vorenthalten werden. Mission verstehe ich als solidarische Begleitung der Menschen, auch in entlegenen Dörfern. So verstandene Mission ist nach wie vor nötig.

Möchten Sie die Arbeit der Minoriten in Peru finanziell unterstützen?
Spendenkonto: Dt. Franziskaner-Minoriten-Provinz; Liga Würzburg: Kto. 30 16 404; BLZ 750 903 00 Verwendungszweck: Bruder Michael, Peru
(Für Spendenquittung bitte vollständige Adresse angeben.)

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016