Klassiker mit Drang zur Freiheit

21. April 2005 | von

45 Lebensjahre genügten Friedrich Schiller, um als Dramatiker, Lyriker und Historiker Unsterblichkeit zu erlangen. Vor 200 Jahren starb Deutschlands größter Dichter neben Goethe. Mit seinen Werken wollte er die Menschen zu Freiheit und Würde erziehen – mit nachhaltiger Wirkung…

13. Januar 1782. Im völlig überfüllten Nationaltheater Mannheim hat das Erst-lingswerk eines jungen Dichters aus Schwaben Premiere. Ein Augenzeuge be-richtet vom Ende der Uraufführung: “Das Theater glich einem Irrenhaus, rollen-de Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Men-schen fielen einander in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.“ Wer war dieser Mensch, dessen Theaterstück – wenige Jahre vor der französischen Revolution – eine solch ungeheure Wirkung ausübte? 

Bescheidene Verhältnisse. Johann Christoph Friedrich Schiller wird am 10. November 1759 in Marbach am Neckar geboren. Hier hat sich der Vater, Sani-tätsoffizier Schiller, der die Tochter des Gasthofs “Goldener Löwe“ gefreit hatte, als Chirurg niedergelassen. Doch die finanzielle Situation erfordert, dass er in den Militärdienst zurückkehrt. Die Mutter lebt meist allein mit Friedrich und der älteren Schwester Christophine in den Mauern der malerischen Stadt. Als knapp Vierjähriger verlässt Friedrich an der Hand seiner Mutter 1763 den Geburtsort. In Lorch (nahe Schwäbisch Gmünd) lernt der Knabe Lesen und Schreiben, dazu beim Dorfpfarrer die Anfangsgründe von Latein und Griechisch – der Vater hat Fritz für den geistlichen Stand bestimmt. 1766 wird die ländliche Idylle mit dem umtriebigen Ludwigsburg getauscht, wo der Vater als Hauptmann in der Garni-son Dienst tut und Friedrich die Lateinschule besucht. Das Leben in Ludwigs-burg, wo der verschwenderische Herzog Carl Eugen Hof hält, ist voll Glanz und Kultur. Die Pracht der Gärten, die Bibliothek, das Rokoko-Theater, zu denen Offiziersfamilien Zugang hatten, beeindrucken und inspirieren den kleinen Fritz. Mit seinen Freunden spielt er im Hof vor leeren Stühlen Theater, wobei er die Rollen verteilt. Auch soll er in einer Gießerei oft beim Glockenguss zugeschaut haben, was sich später im berühmten Gedicht von der Glocke niederschlug.
Im 13. Lebensjahr wird er konfirmiert. Weil er sich am Vorabend des heiligen Tages auf der Straße herumtrieb, macht ihm die gottesfürchtige Mutter Vorhal-tungen. Betroffen zieht sich der Junge zurück und schreibt ein langes, über-schwängliches Gedicht, das den Vater ausrufen lässt: “Bist du narrisch gewor-den, Fritz!“

Militärisch gedrillt. Bald darauf nimmt sein Leben eine dramatische Wende. Auf Befehl des Herzogs wird Friedrich 1772 mit anderen begabten Jungen in die “Militärische Pflanzschule“ auf Schloss Solitude gesteckt, die 1775 als “Hohe Carlschule“ nach Stuttgart verlegt und 1781 zur Universität erhoben wird. Mili-tärisch streng sind Tagesablauf und Unterricht geregelt, Aufstehen um fünf, ins Bett um 21 Uhr. Selbst zu den Mahlzeiten müssen die Jungen im Gleichschritt marschieren. Kontakt zu den Eltern ist strikt verboten. In den acht Jahren der Ausbildung hat Friedrich kaum einen freien Tag, der lebhafte Junge muss sich wie im Gefängnis fühlen. Sein Körper wehrt sich mit Erkrankungen. Er liest Plutarch und Shakespeare, Klopstock und Rousseau, obwohl deren Lektüre in der Akademie verboten ist. Er wird vom Sturm- und Drang-Drama der Epoche gepackt. Sein Freiheitsdrang wandelt sich in Rebellion.

Exzessiv, existentiell. Während der junge Schiller zum Mediziner ausgebildet wird, schreibt er nachts beim Licht geschmuggelter Kerzen am “Verlorenen Sohn“, eben dem Stück, das später als “Räuber“ Furore machte. Seit sein Vater die Hofgärtnerei auf Schloss Solitude leitet, muss er doppelt vorsichtig sein, damit nicht die gesamte Familie in Ungnade fiel. Widerwillig dient er nach Ab-schluss der Studien in Stuttgart als Regimentsarzt, führt ein Lotterleben, braucht Tabak, Wein als Stimulantien, schreibt exzessiv. Heimlich reist er zur Urauffüh-rung seiner “Räuber“ und später noch einmal ohne Erlaubnis nach Mannheim. Er bekommt vom Herzog 14 Tage Arrest, dann gar Schreibverbot.
Schiller beschließt zu desertieren, flieht am 22. September 1782 mit einem Freund nach Mannheim, kommt nach Umwegen dort als schlecht bezahlter Dramaturg für ein Jahr am Theater unter. Ein Leben in steter Geldnot – hatte er sich doch, weil er keinen Verleger für die “Räuber“ fand, für die Druckkosten hoch verschuldet – nimmt seinen Lauf. Sein brennender Arbeitseifer wird immer wieder von schweren Erkrankungen gebremst. Medizinhistoriker vermuten heu-te, dass er in Mannheim an Malaria erkrankte, später Tuberkulose bekam und überdies jahrelang eine Rippenfellentzündung verschleppte.

Endlich Anerkennung. “Kabale und Liebe“, “Don Carlos“ und Gedichte ent-stehen. Seine 1785 veröffentlichte Ode an die Freude wird später den Komponisten Ludwig van Beethoven zu seiner 9. Symphonie inspirieren und im 20. Jahrhundert zur Europa-Hymne avancieren... In Leipzig, Dresden, Weimar und Jena bekommt er Kontakt zu Verlegern und Geistesgrößen wie Körner, Wieland, Herder, lernt im Dezember 1788 in Rudolstadt die Familie von Lengefeld kennen. Die Töchter Caroline und Charlotte machen großen Eindruck auf ihn. Schiller ist es ernst, er will die bürgerliche Bindung, nun da die Arbeit an Zeitschriften etwas Geld einbringt. Nicht feurig verliebt, doch gefühlsmäßig seinem “besten Lottchen“ eng verbunden, arbeitet er eifrig an den “Göttern Griechenlands“ sowie an dem historischen Stoff “Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“.
Der Erfolg des 1788 erscheinenden Historienbandes ist groß: In der Folge er-ringt er Lottes Hand, eine ehrenvolle Professur für Geschichte in Jena und end-lich die Anerkennung und Freundschaft des Geheimen Rat von Goethe. Durch dessen Vermittlung erhält Schiller Anfang 1790 den Hofratstitel und kann am 22. Februar 1790 Charlotte heiraten. 1791 wirft ihn eine schwere Lungenerkran-kung nieder.

Geist der Aufklärung. Von der französischen Nationalversammlung wird 1792 der für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit engagierte “Frederique Gille“ in ei-nem Schutzbrief zum Ehrenbürger der französischen Republik ernannt. Da hatte Schiller bereits den Terror der Guillotine verachten gelernt: Freiheit ohne das, was wir Heutigen Rechtsstaatlichkeit nennen würden, ist für ihn eine andere Form der Tyrannei. Er widmet sich nun, ganz im Geist der Aufklärung, intensiv dem Kant-Studium, schreibt über die ästhetische Erziehung des Menschen und reist auf Familienbesuch, toleriert von Herzog Carl Eugen, nach Schwaben. Sein erster Sohn wird im September 1793 in Ludwigsburg geboren.
Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Friedrich Schiller in Jena und Weimar. Sein Leben ist immer noch geprägt von Brotschriftstellertum und Phasen läh-mender Krankheit. Zugleich bringt die sich vertiefende Freundschaft mit dem älteren Goethe intensive Anregungen zu neuem Schaffen. Es entstehen die gro-ßen Weltanschauungsgedichte wie “Das Ideal und das Leben“ und seine schöns-ten Balladen (“Der Taucher“, “Die Kraniche des Ibykus“, “Der Handschuh“). Gemeinsam schreiben sie die “Xenien“. In schneller Folge entstehen “Wallen-stein“, Maria Stuart“, “Die Jungfrau von Orleans“, “Die Braut von Messina“. Schillers späte Werke – nach den frühen Sturm und Drang-Dramen der Aufleh-nung gegen Despoten, nach den historischen, ästhetischen und philosophischen Schriften seiner mittleren Epoche – sind gereifte Schicksalsdramen des Idealis-mus. 1802 wird Schiller in den erblichen Adelsstand erhoben.
1804 beendet er den “Wilhelm Tell“. Viele Zitate aus Schillers Dramen und Bal-laden sind heute allgemeines Sprachgut, ohne dass jeder die Herkunft kennt. “Der kluge Mann baut vor“, “Der Starke ist am mächtigsten allein“, “Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen“, “Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Ge-fahr,“ sind nur einige Beispiele aus dem Tell. Sentenzen wie in Stein gemeißelt, sprachmächtig und zeitlos.

Früher Tod. Ende April des Jahres 1805 macht Schiller seinen letzten Theaterbesuch. Ein heftiges Fieber quält ihn, zugleich sorgt er sich um die Zukunft sei-ner Familie. Trotz gestiegener Einnahmen muss er immer noch das Haus abbe-zahlen. “Wenn nur Leben und leidliche Gesundheit bis zum 50. Jahr aushält!“ Am 9. Mai 1805 stirbt Friedrich von Schiller, 45 Jahre alt. Er wird in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Jakobsfriedhof beigesetzt. Erst 1827 findet er in der neu erbauten Weimarer Fürstengruft eine würdige Ruhestätte.
Der Idealist, der  mehr aus seinem reichen Innenleben als aus der Anschauung schöpfte, errang Dichterlorbeer, Fürstenlob und Unsterblichkeit. 200 Jahre nach seinem Tod stehen Schillers Dramen auf vielen Spielplänen, neue Biographien erscheinen, in Marbach und Weimar gibt es große Ausstellungen und zahlreiche Veranstaltungen beschäftigen sich mit seinem Leben und Werk. Wird sich die Gesellschaft noch einmal an seinen Ideen entzünden?            

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016