König der Traumfabrik
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Bekannt wie Donald. Die ganze Welt kennt seinen Namen, Hunderte von Millionen seiner Bücher und Comics sind schon verschlungen worden. Seine Figuren und Filme kennt praktisch jedes Kind, zumal eine endlose Liste von Konsumartikeln aufzuzählen wäre, auf denen erstere prangen. Und welches Kind (auch das im Manne) träumt denn nicht davon, einmal Disneyland zu betreten, ob in Kalifornien, in Florida oder in der europäischen Filiale nahe Paris. Millionen von Besuchern erfüllen sich jährlich diesen Wunschtraum – ein Wirtschaftsfaktor ohnegleichen. Zu verdanken habe sie das einem Mann, der aus der Welt des Films nicht mehr wegzudenken ist und noch 1966, als er starb, von der Utopie einer idealen, urbauen Umwelt träumte.
Harte Kindheit. Der Ausgangspunkt für sein berühmtes und erfolgreiches Leben war alles andere als ideal. Chicago ist seine Geburtsstadt – zufällig könnte man fast sagen, denn viele Umzüge, beruflicher Misserfolge seines Vaters wegen, prägten die Familiengeschichte inmitten des Arbeitermilieus. Walt Disneys Kindheit ist von harter Arbeit geprägt, sein Vater – ein unerbittlicher Mann – gestattet ihm weder Spielzeug noch Taschengeld, obwohl Walt es sich als Zeitungsjunge und durch diverse Gelegenheitsjobs redlich verdient hätte. Aber er ist ein pfiffiges Kerlchen – mit Schabernack bringt er sich durchs Leben.
Zeichnen, das ist seine Leidenschaft: Mit 15 gestaltet er eine Schülerzeitung und belegt Zeichenkurse an einer Kunstakademie. Nach dem I. Weltkrieg verdingt sich Walt Disney als Lastwagenfahrer für das Rote Kreuz in Frankreich und kann sich durch seine Geschäftstüchtigkeit gerade so über Wasser halten. (Er bemalt einfach alles, und seine falschen Orden sind sehr gefragt.)
Cartoons aus der Garage. Wieder zurück in Amerika findet er keine Anstellung und beschließt, mit Ub Iwerks, den er 1920 kennen lernt, ein eigenes Zeichenstudio für Cartoons zu eröffnen. Kleinere Erfolge und größere Misserfolge bestimmen das Geschäftsleben, die Erfüllung eines Traumes, Trickfilme in (damaliger) technischer Perfektion herzustellen, scheint in weiter Ferne. Experimente finden in der Garage statt, die dazu nötige Kamera wird auf Pump gekauft. Aufmerksame Beobachterin dieser Szenerie ist eine zahme Maus – so die Legende. Walt Disney beschließt, sein Glück in Hollywood zu versuchen. Nach zunächst bescheidenem Aufschwung bringt ihm die Serie von Alice im Wunderland ersten Erfolg und die Walt Disney Company wird gegründet.
Galionsfigur Mickey Mouse. Im April 1928 wird sie dann endlich geboren und leitete einen Triumph ohnegleichen ein: die Mickey Mouse. Die Idee zu dieser Figur stammt von Walt Disney (der bereits ab 1926 nicht mehr selber zeichnete), die Zeichnungen von seinem Wegbegleiter Iwerk. Das eigentlich Revolutionäre an diesen Comicfilmen ist die Vertonung – ein absolutes Novum. Zu den bis dato üblichen Stummfilmen gibt es zwar durchaus Geräusche oder Klavierbegleitung, aber die Filmhandlung der Musik anzupassen beziehungsweise das Synchronisieren von gezeichneten Bewegungsabläufen mit Musik, das ist die entscheidend neue Idee Disneys. Die sprechende und tanzende Maus wird seine Galionsfigur und eingesetzt wie ein realer Schauspieler, der in verschiedene Rollen schlüpft. Walt Disney ist schlagartig berühmt, obwohl die Filmindustrie und die Verleihfirmen zunächst noch sehr verunsichert reagieren. In rascher Folge treten nun viele der Figuren ins Rampenlicht, die noch heute die Herzen vieler Comicleser höher schlagen lassen: Der ewige Pechvogel Donald mit seiner unnachahmlichen Schnatterstimme, sein tollpatschiger Hund Pluto, der schusselige Goofy und viele andere mehr.
Goldene Trickfilmzeit. Die technische Perfektion seiner Werke – danach strebt Disney ein Leben lang. Nicht verwunderlich, dass er deshalb auch einer der ersten ist, der seine Comicfilme in Farbe dreht. All diese Innovationen und sein Perfektionsdrang haben allerdings auch ihren Preis, sprich Walt Disney sollte öfter in seinem Leben vor dem finanziellen Ruin stehen. Aber das Publikum liebt seine Schöpfungen und die Kritik spricht einhellig von einem Neuerer des Films. Für die Erfindung der Mickey Mouse bekommt er einen Ehrenoskar und praktisch jedes Jahr mindestens einen normalen verliehen. Nach 1935 wird die Werbung mit Disney-Figuren zum Millionengeschäft und Ende des Jahrzehnts gibt es kaum ein Produkt, das nicht in irgendeiner Weise damit geschmückt ist.
Walt Disney hat es geschafft – die goldene Zeit seines Trickfilms ist angebrochen: 750 Beschäftigte gehören zu seiner Company und bringen Filme in höchster künstlerischer Qualität hervor. Die Zeit ist reif für einen langen abendfüllenden Trickfilm. Drei Jahre Arbeit investiert Disney mit seinen Helfern, immense Kredite sind notwendig. Gefilmt wird mit der neuen Multiplan-Kamera, die ein regelrechtes Hineintauchen in eine gezeichnete Welt ermöglicht. Eine Million Zeichnungen sind nötig, um Schneewittchen und die sieben Zwerge zu verfilmen – das Ergebnis ist ein mit zahllosen Spezialeffekten und vor Witz sprühendes filmisches Wunderwerk.
Experiment Fantasia. Disney sieht nun die Zeit für sein ehrgeizigstes Projekt gekommen – den Zeichentrickfilm schlechthin: Fantasia, eine Art Schöpfungsgeschichte. Disney verbindet das Medium Zeichentrickfilm mit klassischer Musik (Stücke von Bach, Tschaikowski, Stravinsky, u.a.). Technisch aufwendigst produziert, wird der Film trotzdem beim Publikum ein Flop.
Ein kühnes Experiment, werden doch tanzende abstrakte Formen zu klassischer Musik wurden eher als Kunstschädigung für letztere angesehen. Ein Meilenstein der Filmgeschichte war (und ist) Fantasia aber trotzdem und gehört zu den besten 50 Filmen aller Zeiten.
Aber der Zeitpunkt der Uraufführung im Kriegsjahr 1940 ist natürlich denkbar schlecht – sind doch eher Propagandafilme an der Tagesordnung. Der Nachfrage begegnete Walt Disney auch, um seine Company einigermaßen über Wasser halten zu können.
Zugeständnisse. Nach dem Krieg muss Disney Zugeständnisse an den Publikumgeschmack machen, um seine Geldsorgen in den Griff zu bekommen. Das Publikum jubelt über das Erscheinen von Dumbo (die Geschichte vom fliegenden Elefanten) und die Geschichte des Rehkitzes Bambi. Leider mischt sich auch eine zunehmende Verkitschung mit Druck auf die Tränendrüsen in die weiteren Produkte. Da neue Trickfilme zudem zu teuer werden, beginnt Disney abendfüllende Dokumentar- und Tierfilme in die Kinos zu bringen. In bis dato unerreichter Qualität wird die Natur selbst zur Darstellerin.
Der Schöpfer so vieler filmischer Märchenwelten will sich nun endlich auch seinen langgehegten Wunsch erfüllen: Die Erfindung des Vergnügungsparks schlechthin. Zunächst will ihm wieder niemand einen Kredit für diese aberwitzige Idee gewähren, aber Walt Disney schafft es dennoch, unbeirrbar wie er ist, südlich von Los Angeles sein Disneyland zu errichten. Er, der als Kind kein Spielzeug besitzen durfte, hat nun endlich sein Mega-Spielzeug.
König der Märchenwelt. Täglich Fernsehshows von und mit Disney persönlich (als eine Art Märchenonkel) oder mit seinen zahlreichen Schöpfungen berieseln nun auch ein williges amerikanisches Publikum und alle Filme, die nun folgen, sind eigentlich nur seichte Massenware und von früherer Qualität meilenweit entfernt. Einzig vielleicht das Dschungelbuch (erschienen Mitte der 60er) enthält noch in Resten die alte Raffinesse und den superben Witz. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein – aus Sentimentalität – weil das Dschungelbuch mein allererster Kinofilm war.
Noch ein Nachsatz zum König aus dem Titel: Auf die Frage, ob er denn nicht Bürgermeister von Los Angeles werden wolle, antwortete Disney einmal leicht pikiert in einem Interview: Was soll ich Bürgermeister werden, wo ich doch schon König bin!