In Memoriam - Persönliche Erinnerungen

09. Juni 2025 | von

Als Generalminister hat Br. Carlos A. Trovarelli nie damit geprahlt, Papst Franziskus so nahe gestanden zu sein. In einem persönlichen Nachruf auf den am Ostermontag verstorbenen Bischof von Rom lässt er viele Begegnungen Revue passieren.

Meinen Landsmann Bischof Jorge Mario Bergoglio lernte ich in Buenos Aires während meiner Zeit in der argentinischen Hauptstadt zwischen 1996 und 1997 kennen, als er Weihbischof und verantwortlich für das Dekanat war, in dem sich unser Kloster befindet. Jahre später, von 2007 bis 2015, kehrte ich in die Gemeinschaft nach Buenos Aires zurück, nun als Provinzialminister desselben Klosters. Monsignore Jorge Mario war bereits Kardinal und Erzbischof, bis er 2013 überraschend zum Bischof von Rom gewählt und sich noch überraschender „Franziskus“ genannt hat. Wenige Wochen nach seiner Ernennung zum Papst musste ich in meiner Funktion als Präsident der südamerikanischen Föderation unseres Ordens (FALC) nach Rom reisen, und als Argentinier hatte ich leicht Zugang zu einer öffentlichen Audienz und konnte im sogenannten „Baciamano“ Platz nehmen, also in der ersten Reihe, wo der Papst am Ende der Audienz die Gläubigen begrüßt.
Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu begrüßen. Aber er war es, der mich sah, als er zu seinem Stuhl ging, und mich mit erhobenem Daumen seiner rechten Hand grüßte. Doch dann, im lang ersehnten Moment der Begrüßung (die eigentlich eine Umarmung war), nannte er mich bei meinem Namen!

Mittendrin in der Herde
Ich kann sagen, dass ich eine Verwandlung miterlebt habe. Als er die Erzdiözese Buenos Aires leitete, suchte der „Kardinal vom Ende der Welt“ weder die Titelseiten der Zeitungen noch ließ er sich gerne auf öffentlichen Plätzen begrüßen. Er hatte Angst, umschmeichelt zu werden. Er zog vor, „das zu sein, was man vor Gott ist“ und nichts weiter. Diese konsequente Entscheidung verhinderte, dass er sich allzu beliebt machte. Er war streng und zurückhaltend, den Kleinen nah und den Großen gegenüber streng. Er war der Hirte seiner Herde, aber nicht der „Aufpasser und Kontrolleur“. Er lehnte nie eine Bitte um ein Gespräch ab und blieb nach den Chrisammessen auf seinem Bischofsstuhl, um jeden der mehreren hundert Priester der Erzdiözese mit Hingabe zu begrüßen. Er war kein Fürst, er war ein Vater.
Es ist bekannt, dass er trotz seines Amtes als Erzbischof und Kardinal nicht darauf verzichtete, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt zu fahren. Auch kurz vor dem Konklave kam er auf diese Weise zu unserem Kloster.
Wie er es immer von den Priestern verlangte, waren seine Predigten ebenso kurz wie prägnant, genau wie seine öffentlichen Erklärungen. Er war nicht wortreich, aber seine Lehren waren radikal. Er war kein Mann der schönen Worte, ebenso wenig wie sein Charakter; seine Entscheidung für Konsequenz erlaubte es ihm nicht, andere oder sich selbst zu täuschen. Seine Gesten waren nicht auffällig, aber sehr bedeutungsvoll. Er war gewissermaßen nur ein weiterer Einwohner der Stadt, aber mit einem kirchlichen Amt betraut. Tatsächlich war er nie ein mit Ehren „überhäufter“ Geistlicher.

Nahbarer Mann des Volkes
Ich erinnere mich, wie er in der Nähe unseres Klosters, in einem recht armen Viertel, eine der schönsten modernen Kirchen der Stadt errichten ließ. Er war ein „väterlicher“ Kardinal, bereit, seinen Kindern Leben zu schenken, und kein paternalistischer Populist. Er war lieber tief in den Details als auf der Bühne, lieber im Einklang mit dem Evangelium als mit der Popularität. Er wollte nicht gefallen, er war ein Vater.
Jedes Mal, wenn ich darum bat, mit dem Kardinal von Buenos Aires zu sprechen, musste ich nur an der Telefonzentrale des Erzbistums nachfragen, und nur zwei oder drei Minuten später erhielt ich einen Anruf von „Bergoglio“. Und jedes Mal, wenn ich dem Erzbischof von Buenos Aires Weihnachts- oder Ostergrüße schickte, kam ein handschriftlicher Dankesbrief in unser Kloster. Er wollte nicht freundlich sein, er war verantwortungsbewusst.
Im Jahr 2010 nahm er meine Einladung an, während der Generalversammlung unseres Ordens in der Stadt Pilar in Argentinien eine Messe zu leiten. Damals kam er „still“ und leitete die Messe auch „still“. Er aß nicht mit uns am Haupttisch, sondern in der Küche mit den Köchen. Wir waren alle beeindruckt von dieser Bescheidenheit, aber heute verstehe ich, dass er es nicht mochte, nur wegen seines Amtes als Kardinal gesucht zu werden, und dass er diesen Titel hinter sich ließ, um sich den Kleinsten zu widmen oder die „Mächtigen“ auf ihre Inkonsequenzen und Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Jorge Mario Bergoglio besuchte immer Gefängnisse, feierte die Messe auf Plätzen, um die Bewohner der Straßen oder die Menschen, die nachts auf den Straßen arbeiteten, anzulocken. Er war nicht freundlich, aber energisch in seinen Botschaften und sicher in seinen Entscheidungen.

Entschiedene Barmherzigkeit
Ich bin Zeuge der Verwandlung, die stattfand, als er zum Papst ernannt wurde. Aber wir dürfen uns nicht täuschen. Es handelte sich um eine – sagen wir – kommunikative und pastorale Veränderung. Als Papst war dieser Jorge Mario Bergoglio nicht mehr nur jemand, der freundlich antwortete oder die Tür öffnete, sondern jemand, der auf einen zuging; nicht nur ein Hirte, der sich seiner Herde widmete, sondern jemand, der einen schon von weitem sah und erkannte.
Am 17. Juni 2019, als ich zum Generalminister gewählt wurde, empfing er unsere Kapitelsversammlung und ging dabei über das Protokoll hinaus: Als Franziskus die Sala Clementina betrat, änderte er seinen Weg zum für ihn vorbereiteten Stuhl und kam auf mich zu, um mich zu umarmen.
Gott sei Dank konnte ich ihn im Lauf meiner Amtszeit dann noch mehrmals umarmen und ihn weiterhin duzen, so wie er es wünschte. Das Pontifikat von Franziskus stand im Einklang mit den Grundsätzen und Maximen des Evangeliums, die ihn stets geprägt haben. Aber er wusste sich neu zu erfinden und zu verwandeln. Ich würde sagen, dass die größte Verwandlung seine Fähigkeit zu kommunizieren war. Ich glaube, dass er den Sinn der Barmherzigkeit bis zum Äußersten vertieft hat, sodass seine Gesten nicht nur väterlich, sondern auch mütterlich und brüderlich waren. Er hat nie an einem Lächeln oder einer starken und bedeutungsvollen „Geste“ gespart; er hat durch Zeichen und Entscheidungen gesprochen, mit der Fähigkeit, die Zukunft zu orientieren und vorwegzunehmen. Er wollte nicht nur seinen Lebensentscheidungen und seiner Verkündigung des Evangeliums treu bleiben, sondern sie auch der Kirche und der Welt anbieten. Er ist zu einem Symbol seiner Weltanschauung und seines Glaubens geworden.
Ich werde nie die Begegnungen vergessen, die ich mit ihm hatte, seine Anrufe, um mir zu antworten, seine handgeschriebenen Nachrichten, seine stete Bereitschaft, mich zu empfangen und mir zuzuhören, sowie seine Sorgfalt, auf alles zu reagieren, wo er sich irgendwie zuständig sah. Vater, Mutter und Bruder: Das ist es, was ich empfand – und in dankbarer Erinnerung behalte. 

 

 

Zuletzt aktualisiert: 09. Juni 2025
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