Montmartres Malerpoet

02. November 2005 | von

Um das Leben und Wirken mancher Künstler ranken sich Legenden, die  Dichtung und Wahrheit ineinander verschwimmen lassen. Der Maler Maurice Utrillo, der vor 50 Jahren starb, ist geradezu ein Paradebeispiel dafür. Ein Kind der Gosse, Alkohol, rettende Kunst – und schließlich die erlösende Liebe…

Wer je im Pariser Touristengemenge sich inmitten der Bilderflut von Souvenirs befand, kennt seine Bilder. Besser gesagt den billigen Abklatsch seiner einstigen Bilderwelt. Einer Sehweise auf das Künstlerviertel Montmartre, die für den oberflächlichen Betrachter der Inbegriff von Romantik ist. Geistiger  Urvater dieser verklärten, missverstandenen Bilderinflation ist Maurice Utrillo, der „sein“ Paris aber aus ganz anderen als romantischen Gründen malte.
Die Mär vom ständig Betrunkenen, der seine Bilder nur im Rausch malen konnte, um sie dann gegen einen Liter seines geliebten Roten einzuhandeln, passt natürlich blendend zum Vorurteil des genialischen und exzentrischen Künstlers in all seiner Tragik. Einen nüchternen Blick auf sein wahres Leben zu werfen, fällt deshalb nicht leicht.

Leben in der Halbwelt. Sprichwörtlich in die Gosse hinein wurde Utrillo 1883 in Paris geboren. Seine Mutter, Suzanne Valadon, war gerade einmal siebzehn Jahre alt. Einst stand sie Renoir Modell, wurde danach von Degas, der ihr Talent erkannte, zum Malen ermutigt und gelangte später selbst zu Ruhm.
Ihr Sohn Maurice, 1891 von einem Kunstkritiker namens Utrillo adoptiert, wuchs in der Bohemewelt des damals noch halb ländlichen, verlotterten Montmartre auf. Er war ein schüchterner, schwächlicher und kränklicher Junge, der vielen ein willkommenes Opfer für Hohn und Drangsalierungen war. Er fühlte sich sehr einsam und trieb sich von Kindesbeinen an in einschlägigen Kneipen herum, wo er früh Trost im Alkohol fand. Deswegen flog der Maurice  schon bald von der Schule und wurde später aus einer Banklehre entlassen.  
Seine Trunksucht geriet immer schlimmer, so dass er bereits 1900 eine Entziehungskur machen musste. Eine von vielen, die noch kommen sollten.
Von Natur aus eher sanftmütig und von kindlichem Gemüt wurde aus dem Getretenen unter der Herrschaft des Dämons Alkohol ein aufsässiger Unruhestifter. Unzählige Male wurde er deshalb - bis zur Besinnungslosigkeit betrunken- von der Polizei aufgegriffen.

Therapie Kunst. Auf den Rat eines Arztes hin begann Utrillo 1902 unter der Anleitung seiner Mutter (an der er sehr hing) zu malen. Er erwies sich als Naturtalent und fing ganz unbedarft an, „seine“ Welt der Pariser Vororte darzustellen. Anfangs noch ganz in Impressionistenmanier arbeitend postierte er sich mit einer Staffelei vor seinen favorisierten Schänken, um die fertigen Bilder sogleich in Alkohol umzusetzen. Wahrscheinlich um dem direkten Spott zu entrinnen, ging er aber ab 1909 dazu über, nur noch im Atelier nach Postkartenskizzen - des Nachts bei dürftigem Licht - seine Schilderungen der französischen Metropole zu malen.
Trotz seines immensen Alkoholkonsums schaffte er es in einer überaus reichen Bildproduktion, seinen Werken ein festes Gefüge zu geben. Ein eigenartiger Zauber geht noch heute von diesen schwermütigen, zugleich aber doch poetischen Arbeiten aus, in denen Menschen nur als Staffage vorkommen.
In subtilen Farbabstufungen, irgendwo zwischen Weiß und schummrigen Pastelltönen, malte Utrillo kompromisslos schlicht eigentlich nur Bauwerke - die „Häuser der Verlassenen“, wie er sie einmal bezeichnete. Ihre verwaschenen Fassaden (bestreut mit zerstoßenen Eierschalen, Sand und dergleichen mehr) spiegeln geradezu seine einsame Seele, um nicht zu sagen eine urmenschliche Seelenlage wider.
Utrillo erwarb sich eine unverwechselbare Handschrift, die in ihrer Ehrlichkeit bar jeder Exzentrik noch heute zu faszinieren weiß. Vielleicht auch deswegen, weil er trotz allem ein Einzelgänger und Exot in der Modernen Malerei geblieben ist, den man schwer einordnen kann.

 Kurzer kreativer Höhepunkt. Seine  kreativste Zeit (heute als „weiße Epoche“ bezeichnet) sollte allerdings nur bis etwa 1914 währen. Vielleicht von ersten  Erfolgen geblendet – viele Einzelausstellungen folgten ab 1913 - plagiierte er sich eigentlich nur noch selber. Seine Hauptthemen blieben nach wie vor  Häuser, Cafés und vor allem Kirchen.
Ob schlichte Dorfkirche oder majestätische Kathedrale, Utrillo suchte in seinen Bildern Individualität und Würde der Gotteshäuser mit einfachen Mitteln darzustellen.
Aber nach wie vor führte er das unstete Leben des Alkoholikers. Reisen etwa in die Bretagne oder nach Korsika wechselten ab mit Aufenthalten in Trinkerheilanstalten. An seinem Tiefpunkt angelangt war Utrillo schließlich 1924. Nach  einem gescheiterten Selbstmordversuch zog er nun wieder zu seiner Mutter, die ihn immer wieder aufrichten konnte.

 Eine höhere Fügung, so bezeichnete Utrillo die schicksalhafte Wendung, die ihm im Jahre 1935 widerfahren sollte. Er lernte seine Frau Lucie kennen, die es mit ihrer Liebe und eisernem Willen schaffte, ihn endlich vom Alkohol loszueisen. Zahlreiche Ausstellungen und die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion waren nun auch die äußeren Zeichen für seinen wachsenden Erfolg- auch wenn sich seine Bildwelt ständig wiederholte. Doch was zählte dies schon,  schließlich war Maurice Utrillo nun mit sich im Reinen. Er wurde aktives Mitglied der Kirche und verbrachte oft mehrere Stunden am Tag beim Gebet.
Utrillo war beileibe kein Theoretiker der Kunst, sondern folgte beim Malen nur seinem „menschlichen Gefühl“. Wer weiß, vielleicht „betete“ er auch schon in jungen Jahren beim Malen seiner vielen Kirchen, ohne dass ihm dies zu jenem Zeitpunkt bewusst gewesen wäre.   

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016