Muhammads Marienlob

17. April 2009 | von

 Für die Muslime ist Jesus einer der großen Propheten Gottes. Weniger bekannt ist, dass auch Maria im Islam eine herausragende Stellung einnimmt – eine der 114 Suren des Koran trägt sogar ihren Namen. Als Mutter Jesu gehört sie zu den von Allah auserwählten Menschen und gilt den Frauen als Vorbild.



 Einer alten Überlieferung zufolge verbrachte Maria ihre letzten Jahre in Jerusalem und wurde auf dem Zion begraben. Andere meinen es besser zu wissen und behaupten, sie sei ums Jahr 47 oder 48 mit dem Apostel Johannes nach Ephesus gezogen und dort verstorben. Historisch lassen sich beide Annahmen nicht verifizieren. Tatsache ist, dass der Name Maria beziehungsweise Meryem heute in Anatolien nicht nur in christlichen, sondern auch in muslimischen Kreisen sehr verbreitet ist.



Was der Koran lehrt



Das hängt damit zusammen, dass Maria auch im Koran eine Vorrangstellung zukommt. Während der vierte Evangelist ihren Namen verschweigt, ist sie im Koran die einzige namentlich genannte Frau. Dazu kommt, dass zwei ganze Suren nach ihr, beziehungsweise nach ihrer Familie benannt sind. Die Sure 19 ist Maryam (Maria) gewidmet, während die Überschrift der Sure 3, Die Sippe ‘Imrans, auf ihren Vater verweist. Bemerkenswert ist außerdem, dass Marias Name sich sowohl in den früh entstandenen Teilen des Koran als auch in der späteren Verkündigung Muhammads findet.



Der 3. Sure zufolge ist Maria die Tochter ‘Imrans und dessen Frau, welche nicht nur der christlichen, sondern auch der islamischen Überlieferung zufolge Hanna, beziehungsweise Anna heißt (im Koran selber bleibt sie anonym!). Schon vor seiner Geburt wird das Kind von der Mutter Gott geweiht: „Herr! Ich habe dir gelobt, was als Frucht in meinem Leib ist. Es soll geweiht sein. Nimm es von mir an! Du bist der, der alles hört und weiß" (Sure 3,35). Im Kindesalter wird das Mädchen in den Tempel gebracht und dort von ihrem Verwandten Zacharias aufgezogen. Sooft dieser Marias Nische betritt, findet er sie auf wunderbare Weise mit Essen versorgt. Christlichen Lesern und Leserinnen, welche mit den Apokryphen (siehe Kasten!) vertraut sind, kommt das irgendwie bekannt vor. Ähnliches Überlieferungsgut findet sich nämlich auch im Protoevangelium des Jakobus.



Auserwählt von Allah



Parallelen zu den neutestamentlichen Apokryphen und teilweise zu den Evangelien finden sich auch in der 19. Sure, die von der Verkündigung der Geburt Jesu handelt: „Und gedenke der Maria! Wir (gemeint ist Gott) sandten unseren Geist zu ihr. Der stellte sich ihr dar als ein wohlgestalteter Mensch. Sie sagte: Ich suche beim Erbarmer Zuflucht vor dir. Weiche von mir, wenn du gottesfürchtig bist! Er sagte: Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin doch der Gesandte deines Herrn. Ich bin von ihm zu dir geschickt, um dir einen lauteren Jungen zu schenken. Sie sagte: Wie sollte ich einen Jungen bekommen, wo mich kein Mann berührt hat. Er entgegnete: Dein Herr sagt, es fällt mir leicht dies zu bewerkstelligen. Und wir schenken ihn dir, damit wir ihn zu einem Zeichen für die Menschen machen, und weil wir den Menschen Barmherzigkeit erweisen wollen. Es ist eine beschlossene Sache" (19,16-21; vgl. auch 3,42-51).



Zwar wird der Name des „wohlgestalteten Mannes", der Maria die Geburt eines Sohnes ankündigt, im Koran nicht genannt. Erst die islamische Tradition hat ihn mit dem Erzengel Gabriel identifiziert.



Die Parallele zwischen dem Lukasevangelium und dem Koran springt ins Auge. Aber bei allen Ähnlichkeiten in der Darstellung der Verkündigung bestehen auch Unterschiede. Auf Marias Einwand antwortet der Gottesbote im Koran mit dem Hinweis auf Gottes Schöpfungsmacht: „Es fällt mir leicht dies zu bewerkstelligen." Fest steht, dass Jesus durch ein Schöpfungswort Allahs ins Dasein gerufen wird: „Es steht Gott nicht an, sich irgendein Kind zuzulegen. Wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er nur: Sei!, dann ist sie" (19,35). Dem Koran zufolge ist die Zeugung Jesu mit der Erschaffung Adams vergleichbar, der ebenfalls keinen leiblichen Vater hatte: „Jesus ist, was seine Erschaffung angeht, vor Gott gleich wie Adam" (3,59). Während der Evangelist Lukas (1,26-38) zwischen der Verheißung der Geburt Jesu und der geistgewirkten Empfängnis deutlich unterscheidet („du wirst empfangen"), scheinen diese beiden Wirklichkeiten im Koran in eins zu fallen. Dabei ist die Frage, wie der Islam die Empfängnis Jesu versteht, nicht mit letzter Eindeutigkeit zu beantworten. Manche Ausleger sind der Ansicht, dass Jesus vom Erzengel Gabriel gezeugt worden sei; Maria habe das Kind empfangen, als sie ihre Tunika anzog, die vorher von Gabriel behaucht worden sei. Diese Interpretation indessen hat im Text selber keine Grundlage.



Außer Frage steht, dass der Koran die jungfräuliche Empfängnis Marias lehrt, die durch Gottes Schöpferwort geschieht. Im Lukasevangelium hingegen ist es der „Heilige Geist", der „über Maria kommt" (1, 35).



Jungfrauengeburt



Manchen Kommentatorinnen und Islamwissenschaftlern zufolge behauptet der Koran darüber hinaus auch die Sündenfreiheit der Mutter Jesu. Im Lukasevangelium begrüßt der Verkündigungsengel Maria mit der Anrede „Begnadete" (Lk 1,28). Im Koran hingegen wendet sich Marias Mutter nach der Geburt ihrer Tochter an Gott: „Und ich habe sie Maria genannt. Und ich möchte, dass sie und ihre Nachkommen bei dir Zuflucht und Schutz finden vor dem verfluchten Satan" (3,36). Damit schützt Marias Mutter ihre Tochter vor den Nachstellungen der Dämonen. Außerdem wird Maria ja jenen „Erhabenen" zugerechnet, denen die bösen Mächte nichts anhaben können (38,82-83). Angeblich hat der Prophet selber das in einem von ihm überlieferten Ausspruch bestätigt: „Jedes Kind, das geboren wird, wird vom Satan berührt, und diese Berührung lässt es schreien, ausgenommen Maryam mit ihrem Sohn."



Auch von Marias Niederkunft ist im Koran ausführlich die Rede: „Da war sie nun schwanger mit dem Jesusknaben. Und sie zog sich mit ihm an einen fernen Ort zurück." Die darauf folgende Episode erinnert an eine ähnliche, vom apokryphen Pseudo-Matthäusevangelium überlieferte Legende (vgl. Kasten). Allerdings war das Pseudo-Matthäusevangelium zur Zeit Muhammads im Orient noch nicht bekannt. Hingegen zirkulierte das darin enthaltene Legendengut im damaligen Arabien.



Während die Empfängnis Jesu dem Koran zufolge ohne Zutun eines Mannes geschieht, erfolgt die Geburt auf natürliche Weise, unter Schmerzen und Wehen (19,23). Die Zweifel, welche die Volksgenossen gegenüber Maria im Hinblick auf die Herkunft des Kindes anmelden, werden durch ein Wunder zerstreut. Jesus selbst, obwohl noch „in der Wiege" (19,29), rechtfertigt seine Mutter und erläutert gleichzeitig seine Sendung: „Ich bin der Diener Gottes. Er hat mir die Schrift gegeben und mich zu einem Propheten gemacht" (19,30).



Inspiration für Dichter



Im Koran gilt Maria als Prototyp der glaubensstarken Frau. Sie ist siddiqa (5,75), was so viel wie wahrhaftig, gerecht oder fromm bedeutet. „Und ein Beispiel für die Gläubigen hat Gott aufgestellt in Maria, der Tochter ‘Imrans, die sich keusch hielt. Und sie glaubte an die Worte ihres Herrn und an seine Schriften und gehörte zu denen, die Gott demütig ergeben sind" (66,12). Demütig ergeben – das heißt: Sie ist Muslima, also eine, die sich (wie dieser Begriff besagt) Gottes Willen ganz und gar unterwirft. Gott hat sie vor den Frauen in aller Welt auserwählt. Sie ist Jungfrau und sie ist Mutter, aber nicht Gottesmutter. Im Islam gilt Jesus trotz der jungfräulichen Empfängnis Marias nicht als Gottes Sohn, sondern als größter Prophet vor Muhammad, also gleichsam als dessen Vorläufer. Marias Sohn wiederum „ist im Diesseits und im Jenseits angesehen, einer von denen, die Gott nahestehen; er wird die Menschen die Schrift, die Weisheit, die Thora und das Evangelium lehren" (3, 45 und 48).



Offensichtlich ist das Marienbild des Koran nicht nur von neutestamentlichen Überlieferungen, sondern zu einem guten Teil auch von apokryphem Legendengut geprägt. Diese religionsgeschichtliche Sicht wird allerdings von der Mehrheit der Muslime nicht geteilt. Für sie versteht es sich von selbst, dass alles, was der Koran über Maria sagt, nicht auf irgendwelche religiöse Überlieferungen zurückgehen kann, sondern unmittelbar von Gott selber stammen muss. Von der Gestalt Marias ließen sich die islamischen Dichter und Mystiker immer wieder zu poetischen Höchstleistungen inspirieren. Als der vielleicht bedeutendste islamische ‚Mariensänger’ gilt Dschalal ad-Din Muhammad Rumi, der 1207 in Persien geboren wurde und 1273 in Konya, in der heutigen Türkei, starb. Allein der Verkündigungsszene, welche der Koran kurz und eher nüchtern beschreibt, widmet Rumi in seinem 25.700 Zeilen umfassenden Gedicht Mathnawi eine lange Reihe mystisch-verklärter Verse, die in ein großes Fiat münden: „Maria sank entselbstet hin und sagte: Ich werfe mich in Gottes Schutz allein!"



Mit immer neuen Bildern besingen die islamischen Dichter die Mutter Jesu. Sie ist der Garten, der Früchte hervorbringt, die Knospe, aus der die Blume erblüht, die Traube, aus der Wein gepresst wird … Der berühmte aserbaidschanische Dichter Khaqani (1120-1190) vergleicht den Nachthimmel mit Maria, die den Neumond – gemeint ist ihr Sohn – im Arm hält. Häufig erscheint Jesu Mutter in der mystischen Überlieferung als Symbol der reinen Seele, welche vom Gottesgeist ganz erfüllt ist.



Verwundert es da, dass auch fromme Muslime das angebliche Mariengrab auf dem Bülbüldaghi bei Ephesus andachtsvoll verehren?



 

















Koran, Sure 19



Geburt Jesu



Vers 22 Da war Maria nun schwanger mit dem Jesusknaben. Und sie zog sich mit ihm an einen fernen Ort zurück.



23 Und die Wehen veranlassten sie, zum Stamm der Palme zu gehen.



24 Sie sagte: Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenheit geraten! Da rief der [neugeborene] Jesusknabe: Sei nicht traurig! Dein Herr hat zu deinen Füßen ein Rinnsal voll Wasser gemacht.



25 Und schüttle den Stamm der Palme! Dann lässt sie saftige, frische Datteln auf dich herunterfallen.



26 Und iss und trink und sei frohen Mutes! Und wenn du irgendeinen von den Menschen siehst, dann sag: Ich habe dem Barmherzigen ein Fasten gelobt. Darum werde ich heute mit keinem menschlichen Wesen sprechen.







Pseudo-Matthäusvangelium, 20



Flucht nach Ägypten



Da traf es sich, dass die selige Maria in der Wüste [...] einen Palmbaum sah. [...]



Da sprach das Jesuskind, das mit fröhlicher Miene in seiner Mutter Schoß saß, zur Palme: Neige, Baum, deine Äste und mit deiner Frucht erfrische meine Mutter. Und alsbald senkte die Palme auf diesen Anruf hin ihre Spitze bis zu den Füßen der seligen Maria, und sie sammelten von ihr Früchte, an denen sich alle labten.



Nachdem sie alle ihre Früchte gesammelt hatten [...] sprach Jesus: Richte dich auf, Palme und erschließe unter deinen Wurzeln eine Wasserader, die in der Erde verborgen ist, und die Wasser mögen fließen, damit wir aus ihr unseren Durst stillen. Da richtete sich die Palme sofort auf, und eine ganz klare, frische und völlig helle Wasserquelle begann an ihrer Wurzel zu sprudeln. Als sie aber die Wasserquelle sahen, freuten sie sich gewaltig, und sie löschten ihren Durst.



 




 




Apokryphen:




Schriften, die mit den Büchern des Alten und des Neuen Testaments viele Ähnlichkeiten aufweisen, jedoch nicht in die Bibel aufgenommen wurden (Bartholomäusevangelium, Petrusevangelium …). Zu den Apokryphen gehören auch einige ‚Kindheitsevangelien’, welche vorgeben, über die ersten Jahre Jesu Bescheid zu wissen. Insbesondere die im Protoevangelium des Jakobus und im Pseudo-Matthäus-evangelium enthaltenen legendenhaften Schilderungen finden sich teilweise in ähnlicher Form auch im Koran wieder.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016