Museum der Mausoleen

22. Oktober 2009 | von

 Wer den Campo Verano besucht, einen von Roms drei bedeutendsten Friedhöfen, wandelt auf den Spuren der

Geschichte – und wird sich über so manch abenteuerlichen Abzweig wundern: Es gibt Monumente ohne Inhalt, Gräber auf militärischem Boden, hier ruhen Religionsgegner neben zahlreichen Prominenten aus Politik, Kultur und Kirche.




 Wenn von Begräbnisstätten in der Ewigen Stadt die Rede ist, denkt man zunächst an die Katakomben und die Gräber in den Basiliken, Kirchen und Kapellen Roms. Doch gibt es natürlich auch überirdische Friedhöfe in der Stadt am Tiber. Romfahrer aus deutschsprachigen Ländern kennen und besuchen zumeist nur zwei von ihnen, den Campo Teutonico beim Vatikan und den Cimiterio der Protestanten bei der Cestius-Pyramide. Der Pilger oder Tourist, der den Weg nach San Lorenzo fuori le mura findet, bemerkt zwar das riesige Gräberfeld hinter dem Gotteshaus, den Campo Verano, schenkt ihm aber in der Regel keine besondere Beachtung.



Il Museo sempre aperto – das stets geöffnete Museum" wird der nach Jahreszahl junge, aber dennoch geschichtsträchtige Friedhof der Ewigen Stadt genannt. Angelegt wurde er von den Päpsten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mehr als achtzig Hektar groß ist der Campo Verano, auf dem viele Menschen Tag für Tag die Gräber ihrer Angehörigen aufsuchen oder eine besinnliche Erholung finden möchten – manchmal aber auch ihren Wissensdurst nach den letzten Ruhestätten berühmter Römer und Italiener stillen wollen.



Für die Römer war ihr Friedhof bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein „außerstädtischer". Giulio Andreotti, der Grandseigneur der italienischen Politik, erinnert sich: „Im Rom der 20er Jahre befand sich der Campo Verano noch an der äußersten Peripherie der Stadt; man musste damals zwei Straßenbahnlinien nehmen, um die Gräber aufsuchen zu können – das geschah zumindest einmal im Jahr, zur Vigil des 2. Novembers oder am Allerseelentag selber."



Der Besuch des Campo Verano kommt in der Tat einem Museumsbesuch gleich. Wer den Friedhof betritt, lernt die Grabstätten hochberühmter und völlig unbekannter Menschen kennen. Er erhält eine Gratislektion in Zeitgeschichte. Die letzten beiden Jahrhunderte werden für ihn eindrucksvoll illustriert. Er wird staunen über die Vielfalt der Gestaltung der Gräber, über den Einfallsreichtum, mit dem sich die letzten irdischen Ruhestätten eines Menschen darstellen – und beredte Aussagen über den dort Beigesetzten, seine Familie oder seine Anhängerschaft entdecken.



Kuriosa auf dem Gottesacker



Sich zu wundern auf diesem Friedhof, ist fast schon eine Normalität. Einem Kuriosum begegnet der Besucher des Campo Verano schon wenige Meter, nachdem er den Gottesacker betreten hat. Dort findet er eine Grabstätte für Giuseppe Garibaldi, den militanten Kämpfer des Risorgimento, des Bestrebens nach der Einheit Italiens. Wer aber nun dort die Verwahrung der sterblichen Überreste des Freischärlers erwartet, wird enttäuscht. Das Grab ist leer. Der am 2. Juni 1882 verstorbene Garibaldi ist auf Caprera, einer kleinen Insel bei Sizilien, beigesetzt. Spricht man mit einem römischen Historiker über diesen seltsamen Umstand, erklärt er mit einem Lächeln auf den Lippen: Dies sei halt typisch für Garibaldi. Letztendlich habe er sich nie dort aufgehalten, wo er eigentlich hin oder bleiben wollte.



Nahe beim Eingang des Friedhofs erblickt man die ersten Grüfte und Kapellen von geistlichen Gemeinschaften und Klöstern. Im Quadriportico finden sich die Grabstätten vieler Frauenkongregationen. Oft verweist nur eine kleine Tafel mit dem Namen der Gemeinschaft auf die darunter liegende Gruft. Das Herablassen der Särge ist mit einem gewissen technischen Aufwand verbunden, gelingt manchmal nur mit Mühe und lässt nicht immer eine würdige Verabschiedung am Grabe zu. Daher findet in vielen Fällen der letzte Gruß an den Verstorbenen schon in der Kirche statt, unmittelbar nach der feierlichen Begräbnismesse. Der weitere Weg über den Friedhof führt an Kapellen vorbei, in denen Kardinäle, Prälaten und Priester der Römischen Kurie beigesetzt sind.



Militärische Sektion



Dann zeigt sich dem Spaziergänger die imposante Gruft der Familie Pfyffer von Altishofen, jenes Schweizer Adelsgeschlechtes, das bisher mehr als ein Dutzend Kommandanten der Päpstlichen Schweizergarde gestellt hat. Man befindet sich nun auf „militärischem Boden". Das Terrain war 1861 vom päpstlichen Waffenministerium angekauft worden. Heute ruhen hier aber nicht nur die in Rom verstorbenen Schweizergardisten und Angehörigen der Armee des Papstes, sondern, im Tode friedlich miteinander vereint, auch die einstigen Gegner des Kirchenstaates. Keinen Steinwurf entfernt von den „Päpstlichen" befinden sich das Monument und die Ruhestätte eines Generals des Risorgimento – und ebenso die Gräber garibaldianischer Freischärler und vieler Soldaten, die unter der Fahne des italienischen Königs dienten.



Der Campo Verano ist auch ein Zeitzeugnis für die dunklen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, ein Monument für dessen politische und kriegerische Auseinandersetzungen – und Verbrechen. Häftlinge jeder politischen Couleur, die in der römischen Via Tasso, der Folterzentrale der Gestapo und SS, zu Tode kamen, fanden auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe. Große reparti (Abschnitte) sind den Opfern der beiden Weltkriege vorbehalten; eindrucksvolle Denkmäler erinnern an die Luftangriffe, vor denen Rom nicht verschont blieb. Am 19. Juli 1943 war sogar der Campo Verano Ziel eines Bombardements geworden. Viele Grabstätten wurden zerstört oder schwer beschädigt, so auch die der Familie Papst Pius’ XII. (1939-1958).



Auf dem Friedhof sind Politiker aller Parteien vertreten: Monarchisten, Faschisten, Kommunisten, Sozialisten, Liberale, Christdemokraten. Der Kommunistenführer Palmiro Togliatti (1893-1964) wurde auf den Campo Verano überführt, nachdem er in Jalta auf der Krim einem Herzinfarkt erlegen war – seinen Vornamen „Palmiro" verdankt Togliatti übrigens dem Tag seiner Geburt: Er kam an einem Palmsonntag auf die Welt.



Nicht auf dem Friedhof selber, sondern im Atrium der Basilika San Lorenzo fuori le mura, dem Gotteshaus, neben dem er angelegt wurde, ist der Gründer der Democrazia Cristiana, mehrmalige Ministerpräsident Italiens und Mitinitiator der Europäischen Gemeinschaft, Alcide de Gasperi (1881-1954), beigesetzt. Sein Grabmal wurde von einem politisch Andersdenkenden, dem Kommunisten Giacomo Manzù, geschaffen.Auch viele Künstler sind auf dem Campo Verano zur letzten Ruhe gebettet worden – so Pietro Cossa (1830-1880), ein bedeutender italienischer Dramatiker und Abkömmling jener Familie, aus der der Pisaner Gegenpapst Johannes XXIII. (1440-1415) stammte, und Giuseppe Gioacchino Belli (1791-1863), der als Verfasser von Sonetten im römischen Dialekt, dem Romanesco, bekannt wurde. Die Namen der in Italien und aller Welt gefeierten Schauspieler und Regisseure, die auf dem Campo Verano ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, sind Legion: Vittorio Gassmann, Sergio Leone, Alberto Sordi, Marcello Mastroianni, Aldo Fabrizi, Vittorio De Sica, Lucino Visconti, Anna Magnani und viele andere. Der römische Architekt und Autor Alessandro Del Bufalo nennt den Campo Verano

ein villaggio globale, ein „globales Dorf" – und tatsächlich besitzt dieser Friedhof Abschnitte, auf denen Protestanten, Menschen mosaischen Bekenntnisses und Anhänger des Islams beigesetzt sind. Der römische Friedhof beherbergt auch Grabstätten für Infragesteller und Gegner der Religion; man trifft auf Felder für die Urnen von Freimaurern und eine eigens für die Grandi Maestri della Massoneria, die Großmeister der Loge, reservierte Zone.



Expedition Richtung Jenseits



Der Gang über den Campo Verano, „das stets geöffnete Museum", kommt einem kleinen Abenteuer gleich, wird zu einer Expedition, die aber nicht der reinen Entdeckungsfreude dienen sollte, sondern Anlass geben möge, über die Letzten Dinge nachzudenken, die einen jeden betreffen – ob er bekannt oder unbekannt ist. Der Besucher des Gottesackers kommt dann vielleicht auch zu der Überlegung, ob die frischen und vertrockneten Blumen, die sich auf den Gräbern finden, nicht mehr sind als das Gedenken der Lebenden an die Toten, ob sie nicht auch von der Hoffnung, dem Bekenntnis aus dem Totenoffizium Zeugnis geben: „Credo quod Redemptor meus vivit, et in novissimo die de terra surrecturus sum: Et in carne mea videbo Dominum Salvatorem meum – Ich glaube, dass mein Erlöser lebt, und dass ich am jüngsten Tag von der Erde auferstehen werde, und in meinem Fleische werde ich den Herrn, meinen Erlöser, sehen."



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016