Mutig in die Zukunft!
Als Provinzialminister der Brüder in Deutschland durfte unser Autor am Generalkapitel der Franziskaner-Minoriten in Rom teilnehmen. Für unsere Leserinnen und Leser berichtet er aus erster Hand.
Alle sechs Jahre ist es so weit: Unsere weltweite Gemeinschaft feiert das Generalkapitel. Dazu kommen Brüder aus allen Kontinenten für etwa drei Wochen zusammen, dieses Mal vom 01.-20. Juni 2025 in Rom. Vertreter qua Amt sind die Provinzialminister und Kustoden. Delegaten kleinerer Präsenzen nehmen ohne Stimmrecht teil. Große Provinzen hingegen dürfen, gestaffelt nach Anzahl der Brüder, zusätzliche Delegierte schicken. Mit Übersetzern und Sekretären sind es dann gut 120 Brüder, die mehrere Wochen lang Berichte über die vergangenen sechs Jahre hören und Weichenstellungen für die Zukunft treffen.
Geistlicher Einstieg
Dass das Generalkapitel aber nicht einfach ein Arbeitstreffen ist, wurde gleich zu Beginn deutlich. Der slowenische Kapuziner Br. Štefan Kožuch, langjähriges Mitglied der Generalleitung seiner Ordensgemeinschaft, hielt einen Einkehrtag und meinte, das Generalkapitel müsse die versammelten Brüder lehren, wieder neu die Frage des hl. Franziskus zu stellen: „Was willst du, Herr, dass ich tun soll – besser: dass wir tun sollen?“ Dabei müssten wir ehrlich die Wirklichkeit betrachten und uns keine Illusionen machen. Denn Illusionen führten zwangsläufig immer zur Enttäuschung, wenn sie eines Tages auffliegen: „Wir müssen realistisch sein, denn die glorreiche Vergangenheit, sie wiederholt sich nicht!“ Den Zeichen unserer Zeit – Individualismus (Welchen Vorteil habe ich?), Hedonismus (Wie erreiche ich am besten mein persönliches Glücksgefühl?) und Minimalismus (Was ist mein minimaler Aufwand?) – müssten wir als franziskanische Gemeinschaft entgegensetzen: Gemeinschaft, Einfachheit (Armut) und Verfügbarkeit. Wir müssten handeln – und alle Mittelmäßigkeit hinter uns lassen. Denn: „Überleben kann nur, wer eine starke Identität hat!“
Rückblick auf sechs Jahre
Geistlich gestärkt wurden dann mehrere Tage aufgewandt, um die Berichte zur abgelaufenen Amtszeit zu hören. Allein einen ganzen Tag benötigte Generalminister Br. Carlos A. Trovarelli, um seinen über 50-seitigen Bericht vorzulesen und anschließend die Rückfragen der Brüder zu beantworten. Im statistischen Teil wurde feststellt, dass es aktuell 3.730 Franziskaner-Minoriten in 550 Klöstern gibt. Damit, stellte Br. Carlos fest, „sind wir der zehntgrößte Männerorden weltweit – und einer der wenigen, dessen Zahl seit Jahrzehnten einigermaßen stabil geblieben ist.“ Dennoch wurde festgestellt: In den letzten Jahren sinkt die Zahl der Brüder und das Durchschnittsalter steigt. Die einzigen Föderationen, also Zusammenschlüsse von Provinzen und Kustodien, mit wachsenden Brüderzahlen sind AFCOF (Afrika) und FAMC (Asien). Alle anderen verlieren Mitglieder, teilweise sogar dramatisch: Stellten die Mittelmeerländer (FIMP) im Jahr 1900 noch über die Hälfte aller Brüder des Ordens, machen sie heute nur noch 25% aus. Das hat unter anderem finanzielle Folgen: Der Orden wächst heute besonders dort, wo die Gemeinschaften auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Gleichzeitig werden bislang finanzkräftige Provinzen immer schwächer. Weil auch die Häuser des Ordens in Rom in die Jahre gekommen sind, stehen jede Menge finanzielle Herausforderungen an. Kein Wunder, dass besonders die Provinzen aus Amerika und Deutschland darauf drängten, einen umfassenden Finanzcheck durch ein externes Institut durchführen zu lassen – was dann auch tatsächlich in einem der ersten Beschlüsse durchgesetzt wurde.
Personalentscheidungen
Doch bevor es zu den Beschlüssen ging, folgte erst die Wahl der neuen Leitung – passenderweise am Samstag vor dem Pfingstfest. In aller Frühe machten sich die Brüder von Rom nach Assisi auf, um am Ursprungsort der Gemeinschaft den Nachfolger des hl. Franziskus zu wählen. Bereits im 1. Wahlgang konnte sich Br. Carlos A. Trovarelli durchsetzen. Die Brüder schenkten ihm auch für die zweite Amtszeit das Vertrauen. Am Grab des Gründers wurde feierlich das Te Deum gesungen, gefolgt von einem festlichen Gottesdienst samt Abendessen im Sacro Convento.
Höhepunkt des (arbeitsfreien) Pfingstsonntags war der Gottesdienst in der römischen Generalkurie mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der sich nach der Eucharistiefeier reichlich Zeit nahm, mit den Brüdern ins Gespräch zu kommen. Was den Autor dieser Zeilen besonders beeindruckte: Er erinnerte sich tatsächlich an ein ganz kurzes Gespräch mit ihm im vergangenen Dezember. Was für ein erstaunliches Gedächtnis!
Am Tag darauf präsentierte Br. Carlos die Brüder, mit denen er in den nächsten sechs Jahren den Orden leiten möchte. Zu seinem Stellvertreter wurde Br. Igor Salmicˇ aus Slowenien gewählt. Den mitteleuropäischen Bereich, die Föderation CEF, vertritt künftig der Schweizer Br. Vincenzo Cosatti, zuletzt Rektor des Beichtväterkollegs im Vatikan.
Hausaufgaben für die Zukunft
Bevor eine Audienz bei Papst Leo XIV. am 20. Juni den „krönenden“ Abschluss bildete, galt es, noch zahlreiche Anträge zu entscheiden und zu beraten. Viele bewegten sich im ökonomischen Bereich und befassten sich mit Verwaltungs- und Strukturfragen. Andere stellten die Frage nach dem Charisma des Ordens: Wie leben wir unsere franziskanische Berufung in der Welt von heute? Außerdem wurde ein Büro für den Umgang mit dem kulturellen Erbe des Ordens eingerichtet und Fragen rund um sexuellen Missbrauch und Prävention wurden erörtert. Nach drei Wochen kehrten die Brüder in ihre Heimatländer zurück – gestärkt von der brüderlichen Gemeinschaft, aber auch mit einigen Hausaufgaben im Gepäck.