Mythen um einen magischen Ring

27. Januar 2004

Mit seiner phantastischen Erzähltrilogie “Der Herr der Ringe“ veröffentlichte  J.R.R. Tolkien vor 50 Jahren einen der erfolgreichsten Romane aller Zeiten. Seine abenteuerlichen Geschichten in der mythischen Welt Mittelerde sind nicht nur vordergründig fesselnd, sie bewegen auch durch ihre tiefergehenden und religiösen Themen.

Wer heute etwas vom “Herrn der Ringe“ hört, von dem Heldenroman, den John Ronald Reuel Tolkien verfasst hat und der vor fünfzig Jahren erstmals in England veröffentlicht wurde, hat meist Bilder von Landschaften und Gestalten der gleichnamigen jüngsten Verfilmung vor Augen. Seit Dezember ist der letzte Teil der Filmtrilogie nach der ebenfalls dreigliedrigen Romanvorlage in den Kinos.
Damit hat der Rummel um den “Herrn der Ringe“, der in den sechziger Jahren zu einem Kultbuch aufgestiegen und zu einem Bezugspunkt der Öko-Bewegung, vor allem aber der Fantasy-Literatur geworden war, wieder neue Nahrung erhalten und ist von der Medienwelt vorläufig aufgesogen worden. Die Filmbilder leben in Videospielen weiter. Dazu kommt die Vermarktung auf vielen Ebenen.

Phantastische Welt. “Der Herr der Ringe“ ist ein erstaunliches Werk, das seinesgleichen sucht. Die Grundidee ist einfach. Frodo, ein Hobbit, ein zwergenähnliches Wesen, zieht aus seiner Heimat aus, um einen Ring zu vernichten. Dieser Ring ist magisch. Sauron, der böse Herrscher, hat ihn geschmiedet, um alle unter seine Gewalt zu bringen, was auch die unsichtbare Inschrift besagt:
“Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“
Der Ring hat die Harmonie der Welt aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihn mitten nach Mordor, ins Reich des Bösen zu bringen, um ihn im Feuer des “Schicksalsbergs“ zu vernichten, das stürzt Frodo in weit reichende Abenteuer und gewaltige Kämpfe, in die die ganze damals bekannte Welt verstrickt ist mit all ihren Wesen, mit Zwergen und Menschen, mit mächtigen Zauberern, mit guten Elben und bösen Orks. Die Erzählung ist in “Mittelerde“ angesiedelt und spielt in einem längst versunkenen mythischen Zeitalter. Der Verfasser hat ein komplexes Weltgefüge ersonnen mitsamt Geschichtsschreibung, Geographie, Sprachen.

Neue Mythen. Den Ausgangspunkt dafür hatte nicht etwa die Erzählung gebildet, sondern die Sprache. Der Verfasser John R. R. Tolkien war nämlich Sprachwissenschaftler, nicht Schriftsteller. Seine Vorliebe galt den alten Sprachen, deren Klang ihn anzog. Schon früh erfand er eigene Sprachen, die er zueinander in Beziehung setzte, woraus sich ergab, dass sie auch eine gemeinsame geschichtliche Entwicklung kennen mussten, was wiederum zwangsläufig mit Örtlichkeiten und Völkern verbunden war. Aus dieser Beschäftigung reifte in Tolkien der Gedanke, eine neue Mythologie zu schaffen, “eine Sammlung von mehr oder weniger zusammenhängenden Legenden, die von den großen kosmogonischen bis hin zu romantischen Märchen reichen sollten“.
In diesem Sinne hatte Tolkien schon während des ersten Weltkriegs mit dem “Buch der verschollenen Erzählungen“ begonnen, was erst viel später als “Silmarillion“ veröffentlicht wurde. Dazwischen lag seine Familienzeit mit vier Kindern, in der sich seine Begabung als fantasievoller Erzähler entpuppte.

Zunächst ein Kinderbuch. Eine seiner Geschichten, “Der kleine Hobbit“, wurde 1937 von einem Verlag angenommen. Held ist der Hobbit Bilbo Beutlin. Unfreiwillig, auf Wunsch des Zauberers Gandalf verlässt Bilbo sein beschauliches Leben im zauberhaften Auenland, um den Zwergen zu helfen, verlorene Schätze zurückzugewinnen. Am Ende kehrt Bilbo reich nachhause zurück und hat auch den bewussten Ring erbeutet. Von dem ist allerdings zunächst nicht mehr bekannt, als dass er seinen Träger unsichtbar macht - eine Gabe, die Bilbo nur zum eigenen Schutz oder zur Hilfe anderer benutzt.
Die Fortsetzung der Geschichte, nach der nun viele dürsteten, ließ lange auf sich warten: Der “Herr der Ringe“ wuchs sich zu einem breit angelegten epischen Roman aus und bekam einen ganz anderen Ton als das Kinderbuch, einen “hohen“ Prosastil in archaischer und feierlicher Sprache, abgewechselt von volkstümlichen, heiteren Passagen. Dieser Wechsel, der bislang nur in dem deutschen Hörspiel von 1992 treffend nachempfunden wurde, bringt immer wieder eine wohl tuende Entspannung.
Neben begeisterter Zustimmung erfuhr das Werk auch Ablehnung: Gut und Böse, hieß es, seien zu übergangslos voneinander geschieden, die Charaktere seien nicht differenziert, der Frau komme kaum eine Rolle zu. Ein Vorwurf ist besonders bemerkenswert: im “Herrn der Ringe“ gebe es keinen religiösen Geist. Tatsächlich kommt Gott in keinem der Werke Tolkiens namentlich vor außer im Silmarillion als “der Eine“, der das Universum regiert.

Die Kraft des Guten. Zeitlich angesiedelt hat er den “Herrn der Ringe“ lange bevor Gott sich in der Welt offenbart hat. Aber dieser Gott ist im Handeln der Personen fühlbar. Frodo, dem Erben Bilbos, kommt die Schlüsselrolle des Schwachen, Verzagten, Demütigen zu. Der fast niederdrückenden Schwachheit und Ohnmacht steht übermächtig, doch verlockend die Kraft des Bösen gegenüber. Zwischen diesen beiden Polen müssen sich die kämpfenden Parteien entscheiden. Und viele unterliegen der schleichenden Versuchung zum Bösen, was etwa im Zauberer Saroman und in dem Menschen Boromir psychologisch und theologisch überzeugend geschildert ist.
Für den Gang der Geschichte geradezu entscheidend ist, dass auch Frodo, wie schon Bilbo zuvor in “Der kleine Hobbit“, Barmherzigkeit übt, als er das boshafte, niederträchtige Geschöpf Gollum in seiner Gewalt hat, das ihm nach dem Ring trachtet: Er tötet ihn nicht, und das wird wesentlich sein für den guten Ausgang am Schicksalsberg. Tolkien war frommer Katholik, und davon atmet sein Werk förmlich.

Zuletzt aktualisiert: 05. Oktober 2016