Neue Route in Richtung Zukunft

15. April 2008 | von

"Du führst uns hinaus ins Weite", lautet das Motto des 97. Katholikentages in Osnabrück. Eine bewegte Geschichte steht hinter der spirituellen Großveranstaltung, die sich immer wieder die Fragen nach ihrem "Mehrwert" gefallen lassen muss.


Der 97. Deutsche Katholikentag findet dieses Jahr zwischen dem 21. und 25. Mai in Osnabrück statt. „Du führst uns hinaus ins Weite" lautet das diesjährige Motto. Welche Bilder, welche Phantasien kommen uns angesichts dieses leicht umgewandelten Psalmverses (Ps 18,20)? Ein unendlicher Ozean mit ebensolchem Horizont? Die weite Sicht vom Gipfel eines Berges? Der (Werbe-)Traum von rauchenden Cowboys am Lagerfeuer? Der Blick in den grenzenlosen Sternenhimmel einer klaren Nacht? Die Fernsehbilder einer zusammenbrechenden Mauer, ja eines ganzen Systems? Der Gedanke an Freiheit und Grenzenlosigkeit, gepaart mit dem Gefühl, der eigenen Enge und den eigenen Zwängen zu entkommen?

Richtung und Ziel. Oder sind es die Bilder einer virtuellen Weite, einer Internetwelt, in der der Fernste nah ist, jede Information zugänglich, alte gesellschaftliche, kulturelle und politische Grenzen keine Rolle mehr spielen? Einer auch zwiespältigen Freiheit, die inzwischen viele Menschen mit dem Stichwort „Globalisierung" verbinden? Eine Weite, eine Freiheit, die Angst machen kann, weil sie, losgelöst von jeglicher Verantwortung für ein Gemeinwesen, nur das Recht des Stärkeren kennt? Kaum ein Titel, und damit auch eine inhaltliche Ausrichtung, könnte passender für einen Katholikentag in diesen Jahren des Umbruchs sein. Unsere Gesellschaft (und nicht nur sie) braucht wohl dringend eine spirituelle, ethische und intellektuelle Auseinandersetzung über das Verständnis von Freiheit. Biblisch gesehen sind uns schnell „Freiheitsgeschichten" zur Hand: allen voran der Exodus und damit das Ende des Sklavendaseins für die Israeliten. Auf diesem Weg ins verheißene Land lässt sich gut ablesen, was Freiheit auch bedeuten kann: Angst und Verdrossenheit, Verantwortung und Mühe. Aber diesen Weg − und das ist das Entscheidende − führt Gott an, er gibt die Richtung und ist gleichzeitig Ziel, ohne ihn würde der Weg ins Nichts führen. So ist es verständlich, dass sich die Israeliten immer wieder fragen: „Ist der Herr in unserer Mitte" (vgl. Ex 17,7)? Nur dann, so ist klar, wird sich der Weg der Freiheit lohnen: Du führst uns hinaus ins Weite.

Realität. Wenn auf dem kommenden Katholikentag sich Menschen darüber austauschen werden, was dieses Bibelwort von der „gottgeführten Weite" für uns heute, für unsere Gesellschaft, für die Welt bedeutet, dann können dort auch die Erfahrungen einer Freiheit zur Sprache kommen, die in vielen Fällen zur Ellbogenmentalität verkommen ist, die sich in anscheinend immer neuen Affären um Manager als achselzuckende Bereicherungsmentalität gebärdet. Die Freiheit eines Marktes, der Menschen „frei" setzt (und pervers genug gerade damit abhängig macht) ohne ausreichende wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Freiheit alles zu tun, was wir nur können, um den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Anschluss nicht zu verpassen.

Doch auch die Erfahrung, dass Menschen sich in aller Freiheit beschränken, damit auch die nachfolgenden Generationen noch eine bewohnbare Erde vorfinden, damit solidarisches Leben auch heute schon möglich ist. Geführt von Gott, das heißt auch heute nichts anderes als in alttestamentlicher Zeit, zunächst einmal auf Gott zu hören, sich IHM in Stille, im Gebet und Gottesdienst zu „stellen". Seine Nähe zuzulassen und sich einzulassen auf das „DU" Gottes.

Kirchenroute. Der Katholikentag wird also zuallererst und bedingungslos wieder ein spirituelles Ereignis sein, noch vor jeder politischen, gesellschaftlichen oder kirchlichen Debatte. Darin gründet letztlich sein Anspruch, „Gott geführte Wege" gehen zu wollen. In unzähligen Vorträgen, Workshops und persönlichen Begegnungen dann aber auch konkret der Frage nachzugehen, was es im Rahmen einer globalisierten Welt, einer bedrohten Schöpfung, eines neu zu bestimmenden Verhältnisses von Politik und Wirtschaft heißt, Kirche Christi zu sein. Ob und wie der Zuspruch von Weite einen neuen Aspekt im Ringen der Gesellschaft um den rechten Weg einzubringen vermag.

In einem zweiten großen Themenblock wird sich der Katholikentag aber auch mit der Frage befassen, was der Blick in die Weite hinsichtlich der Zukunft von Kirche sagt. Ökumenische Fragestellungen finden sich dort ebenso wie Fragen nach der Heimat der Frauen in der Kirche. Was heißt es, sich von Gott führen zu lassen, angesichts kleiner werdender Gemeinden, einer dramatischen Abnahme von Priestern und Seelsorgern? Beispielhaft sei die Veranstaltung erwähnt: „Ihre Route wird errechnet..." In Anspielung auf gängige Routenplaner versuchen die Podiumsteilnehmer, der „Kirchenroute" nachzugehen: von der Volkskirche zur Kirche im Volk, so der Untertitel. Man kann gespannt sein, welche Routenvorschläge es in einer solchen Veranstaltung geben mag.

Geeigneter Gastgeber. Das Bistum Osnabrück mit Bischof Bode jedenfalls freut sich auf zahlreiche Besucher und Teilnehmer jeglichen Alters. In einem 500 Seiten starken Programm findet sich für die verschiedensten Bedürfnisse und unterschiedlichen Zeitmöglichkeiten das Passende. Die Stadt Osnabrück will und wird sicherlich nicht nur ein guter Gastgeber sein, sondern scheint auch aufgrund ihrer Geschichte hervorragend geeignet, Wege in die Zukunft zu suchen: Im Jahre 2008 ist es genau 360 Jahre her, dass dort mit dem Westfälischen Frieden das Ende des 30-jährigen Krieges besiegelt wurde und Schritte in die (damalige) Zukunft gegangen werden konnten.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016