27. März 2009

Pläne des Heils in Zeiten des Mangels

Landauf, landab werden die Strukturen der Seelsorge verändert. Eine Reform, die in vielen Bereichen oft als schmerzhafter Abschied von Gewohntem und lieb Gewonnenem erlebt wird, so wenn die alte Pfarrstelle aufgelöst wird und der Sonntagsgottesdienst andernorts besucht werden muss. Doch lässt sich die momentane Entwicklung auch als Herausforderung mit neuen Zukunfts-

chancen betrachten. 



Ein Angstwort geht um in Deutschlands Diözesen: Pfarreiengemeinschaften. Manchmal heißt das, was den treuen Pfarrkindern landauf und landab seit einigen Jahren heiße Diskussionen, manche Tränen und viele Abschiede beschert, auch „Pfarrverbund" oder „Seelsorgeeinheit". Um dem Szenario, das viele mit dem Wort verbinden, etwas von seiner Bedrohlichkeit zu nehmen, haben die Diözesanleitungen der pastoralen Neustrukturierung hübsch klingende Namen gegeben. Besonders kreativ auf der Suche nach einem Leitwort für den Pastoralplan war das Bistum Osnabrück: „Ich habe für euch Pläne des Heils und nicht des Unheils, spricht der Herr" (vgl. Jer 29,11).



Gefühlter Niedergang



Was als Aufbruch und neue Perspektive etikettiert und verkauft wird, erleben viele Menschen vor Ort jedoch erst einmal als Zusammenbruch und Niedergang. Für den alten Pfarrer, der in den Ruhestand gegangen ist, kommt kein neuer nach, und das Pfarrhaus steht leer. Die Stelle der Pastoralreferentin wird halbiert, Jugendarbeit entfällt wegen Personalmangel, und mancherorts muss man sich sogar von der Pfarrkirche verabschieden, in der Generationen von Christen getauft wurden.



Stattdessen findet die sonntägliche Eucharistiefeier jetzt abwechselnd am Vorabend oder am Vormittag statt, oder die Gläubigen müssen in die Nachbarkirche gehen. Die Vorbereitung der Erstkommunionkinder wird zentralisiert, der Pfarrgemeinderat geht über in den Pfarreiengemeinschaftsrat, und das über Jahre mühsam angesparte Geld muss mit anderen geteilt werden.



Angesichts dieser Erfahrungen schreibt Reinhard Marx, Erzbischof von München-Freising, zu Recht: „Es ist Unsinn, den Leuten einen Zusammenbruch als einen positiven Aufbruch zu verkaufen, das glaubt niemand in der Gemeinde."



Zweifelsohne ist die Neustrukturierung der Pastoral notwendig. Drei sehr einsichtige und empirisch nachweisbare Gründe lassen sich dafür angeben: Gläubigenmangel, Priestermangel und Geldmangel. Ende 2006 gab es in Deutschland etwa 25,5 Millionen Katholiken – seit 1990 hat die katholische Kirche in Deutschland 2,6 Millionen Mitglieder, etwa 9,1 Prozent, verloren. Dies hängt nicht nur mit dem so genannten Kirchenaustritt zusammen, sondern auch mit der demografischen Entwicklung: Seit 1972 werden mehr Katholiken bestattet, als durch Taufen neu hinzukommen. Die Quote für die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst liegt bei 14 Prozent. Dramatisch die Auswirkungen des Priestermangels: 2006 wurden deutschlandweit 121 Männer zu Priestern geweiht – 315 starben, acht gaben ihren priesterlichen Dienst auf und 341 traten in den Ruhestand. Gemeindereferenten und Pastoralassistentinnen sehen sich seit der diözesanen Finanzkrise einem Einstellungsstopp oder zumindest wesentlich schlechteren Einstellungschancen und -bedingungen gegenüber. Im Erzbistum Berlin wurden im Zuge des Sanierungsplans von 2003 in der Verwaltung und in den Pfarreien 35 bis 40 Prozent des gesamten Personals abgebaut. Viele Diözesen verkaufen im größeren Stil Immobilien, um so die sinkenden Kirchensteuereinnahmen zu kompensieren. Im Bistum Essen werden 96 Kirchen als so genannte „weitere Kirchen" zukünftig nicht mehr von Kirchensteuermitteln unterhalten – Zukunft ungewiss. Kein deutsches Bistum bleibt von diesem Schwund verschont, ähnlich sieht es in Österreich und der Schweiz aus.



Wie geht es weiter?



Was also tun? Wie Seelsorge strukturieren? Diese Fragen werden in den eingangs erwähnten Pastoralplänen erörtert und beantwortet. Unter der Hand und an den Universitäten hört man dazu das traurige Urteil: Den Leuten wird etwas vorgemacht. Und vielleicht machen sich die Planer auch selber etwas vor.



Denn ein Großteil der Pastoralpläne handelt mit zwei Verkürzungen. Die erste: Seelsorge wird auf die Feier der sonntäglichen Eucharistie beschränkt. Freilich kann und soll die Wichtigkeit der Eucharistiefeier am Sonntag nicht in Abrede gestellt werden, doch Seelsorge, auch wenn sie gewissermaßen in der

Eucharistiefeier gipfelt, umfasst weit mehr. Der Pastoralplan des Erzbistums Berlin versucht dem gerecht zu werden, spricht aber von einer „Konzentration auf die Kernaufgaben" der Kirche, worunter dann alles, was man bisher schon macht, genannt wird – nur einiges wenige ist man bereit aufzugeben. Eigentlich will man alles fortführen, noch dazu qualitativ besser. Letztlich wird dann dem Pfarrer vor Ort der schwarze Peter zugeschoben: Er muss entscheiden, was von der Kernaufgabe umsetzbar ist – und rein zeitlich wird sich das wohl manchmal auf die Eucharistie-feier beschränken.



Damit gelangen wir zur zweiten Verkürzung. Zur Feier der Eucharistie braucht man einen Priester. Also werden die Pläne um Priester herum konstruiert, die für Pfarrstellen verfügbar sind. Ein Blick in das Entstehen des Pastoralplans des Bistums Würzburg veranschaulicht diesen Befund: Insgesamt ist die Errichtung von 180 Pfarreiengemeinschaften vorgesehen – diese Anzahl ergibt sich aus der für das Jahr 2015 prognostizierten Anzahl von aktiven Pfarrern, nämlich 183. Diese Berechnung hat zur Folge, dass man dann, wenn es wieder weniger Priester geworden sind, die Einheiten noch größer machen muss. Frustration ist vorprogrammiert. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Momentan werden viele Einzelmaßnahmen getroffen, denen die Gesamt-

perspektive fehlt.



Seelsorge Sache aller



Noch einmal, was also tun? Es scheint sinnvoll, und quasi alle Diözesen gehen diesen Weg, die pastoralen Einheiten zu vergrößern. Jedoch sollte man konsequent den Weg zu Ende denken und nicht ein Konglomerat von etlichen Pfarreien zu einem Seelsorgsverbund zusammenfassen, sondern die Pfarreien auch rechtlich vereinigen – und somit viel Gremien- und Verwaltungsarbeit einsparen.



Innerhalb dieser einen großen Pfarrei ist es dann möglich, ein differenziertes Angebot an Seelsorge zu bieten. Wie ein Blick auf die Sinus-Milieu-Studie zeigt, die vor einiger Zeit mit ihrer Darstellung demografischer Merkmale in der Kirche für Furore gesorgt hat, gibt es in einer Pfarrei heute kein homogenes Bild mehr von den Gläubigen. Das Fazit: So unterschiedlich wie die Interessen und Bedürfnisse der Menschen sind, so verschieden sollten auch die Angebote seitens der Kirche sein. Und bei der angebotenen Seelsorge geht es keineswegs „nur" um die Versorgung mit Eucharistiefeiern. Ein Blick in das oft misstrauisch beäugte Kirchenrecht zeigt, wie differenziert dort die Hirtensorge in der Pfarrei definiert wird: Es soll gesorgt werden für die Verkündigung des Wortes Gottes, für eine katholische Erziehung der Kinder, für eine ehrfürchtige Feier der Sakramente. Der Pfarrer soll die Nöte seiner Gläubigen kennen, Kranke und Sterbende, Arme und Einsame sollen begleitet werden…

(Kanon 528 und 529).



An dieser Hirtensorge sollen die Laien entsprechend beteiligt werden. Der Pfarrer muss also nicht von Termin zu Termin hetzen, denn die Seelsorge ist Sache aller in der Pfarrei. Und wenn einige Bischöfe in jüngster Zeit meinten, das Wort „Seelsorger" für Kleriker allein reservieren zu müssen, dann liegen sie damit zumindest kirchenrechtlich falsch. Der Pfarrer, der die Pfarrei leitet, hat lediglich dafür zu sorgen, dass Seelsorge in diesem oben geschilderten umfassenden Begriff verwirk-licht wird, wobei ihm freilich bestimmte Aufgaben vorbehalten sind, nicht zuletzt die Feier der Eucharistie.



Was die Leitung der Pfarrei angeht, bietet das Kirchenrecht noch eine interessante Option: Nach Kanon 517,2 können Laien sogar an der Leitung einer Pfarrei beteiligt werden; es muss dann lediglich ein Priester bestimmt werden, der mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers die Hirtensorge leitet.



So wäre es dann auch möglich und wünschenswert, solche Priester, die nicht die volle Verantwortung eines Pfarrers übernehmen wollen oder können, in den Bereichen einzusetzen, wo sie ihre Stärken haben, zum Beispiel in der Gesprächsseelsorge oder ähnlichem. Auch Ordensgemeinschaften müssten dann nicht auf Biegen und Brechen Pfarrstellen übernehmen, sondern könnten sich auf ihr spezifisches Charisma besinnen und dieses fruchtbringend für alle einbringen, beispielsweise in Form eines regionalen „Geistlichen Zentrums" oder eines gut betreuten Wallfahrtsortes.



Ansteckender Glaube



Dieser vorgeschlagene Weg würde sicherlich von allen Betei-ligten einiges an Abschiednehmen verlangen. Und er würde einige Veränderungen in der Priesterausbildung voraussetzen oder zumindest nach sich ziehen.



Nicht zuletzt auch die Gläubigen müssten neu nach ihrem Bild von Kirche und ihrem Platz in der Kirche suchen. Denn für einen neuen Aufbruch braucht es auch ein neues Bewusstsein. Bischof Wanke (Erfurt) schreibt in diesem Zusammenhang: „Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt etwas. Es ist nicht das Geld. Es sind auch nicht die Gläubigen. Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung, neue Christen gewinnen zu können." Von daher ruft er zu einem „Zeugnis des Lebens" auf, der Glaube müsse wieder sprechend werden. Mission – das Gebot der Stunde – heißt dann für ihn: „Das weitersagen, was für mich selbst geistlicher Lebensreichtum geworden ist."



Und dann wird Strukturplanung auf einmal sehr persönlich: Was kann ich als einzelner Gläubiger konkret tun? Das ist oft mehr als man denkt. Entlang der kirchlichen Grundvollzüge, die zusammengefasst sind in den drei Schlagworten Verkündigung, Liturgie und Diakonie, könnte man aufzählen: Vorbereitung von Kommunionunterricht, Bibelteilen in einer kleinen Gruppe, ehrenamtliches Engagement beim Kirchenputz oder in der Sak-ristei, Besuchsdienst für Kranke in der Pfarrei, Andachten und Stundengebet, Gruppenstunden für Kinder und Jugendliche … der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.



Dann, wenn dieses Engagement Hand in Hand geht mit einem glaubwürdigen Lebenszeugnis, dann, wenn andere über uns Christen urteilen „Ja, die leben tatsächlich anders", dann geschieht wieder Mission, dann kann Kirche wachsen. Und vielleicht geht es dabei in erster Linie nicht einmal um die Zahl, sondern darum, dass wir das Evangelium leben in der Welt von heute. Und dabei geht es wirklich um mehr als Strukturen.



Kardinal Franz König hat einmal geschrieben: „Gott hat lebendige Menschen, nicht Strukturen erschaffen." Das Evangelium, das worum es geht, wird nicht gelebt von guten oder schlechten Strukturen, sondern von Menschen. Und dieses Evangelium leben kann man wohl auch in pastoralen Strukturen, die noch nicht das „Reich Gottes auf Erden" verkörpern. Aber dort, wo es gelebt wird, verändern sich auch Strukturen hin zum Guten, da kann dem Angstwort „Pfarreiengemeinschaft" viel von seinem Schrecken genommen werden. Da, wo Evangelium gelebt wird, wird Kirche missionarisch, da bekommt Seelsorge Gesichter.



Umbruch als Chance



Es ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich, wenn das „Thema des Monats" gleichsam mit einem Appell endet, deshalb will ich ihn zumindest nicht in eigene Worte fassen, sondern mich einiger Sätze von Bischof Franz Kamphaus bedienen: „Die Kirche ist nicht für sich selbst da, sondern für die Menschen in der Welt von heute. Wir dürfen unsere besten Kräfte und Hoffnungsenergien nicht bei uns in der Kirche behalten, sie wollen zur Welt kommen. Wir schulden der Welt das Evangelium vom Reich Gottes, nicht mehr und nicht weniger. Wo bleiben wir als Kirche und als einzelne Christen den anderen dieses Evangelium schuldig? Es ist Sauerteig, Wirkstoff und Ferment. Wie im Gleichnis vom Sämann geht es darum, die eigenen Überzeugungen lebendig und offensiv einzusetzen und nicht ängstlich und halbherzig zurückzuhalten. Es ist Zeit zur Aussaat – gerade auch auf kirchenfremden Äckern der Welt."



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016