Protest auf ganzer Linie

30. Juni 2014 | von

Protestierend, zumindest gegen Konventionen verstoßend, hat die Schriftstellerin und Historikerin Ricarda Huch gelebt und geschrieben. Als erste Frau zeigte sie auf ganzer Linie Widerstand – ihr Leben lang.



Am 18. Juli 1864 wird Ricarda Huch als drittes Kind des wohlhabenden Kaufmanns Richard Huch und seiner Frau Emilie in Braunschweig geboren. Im Alter von neunzehn Jahren verliert sie bereits ihre Mutter, wenige Jahre später ihren Vater. So ist Ricarda Huch früh auf sich allein gestellt und hegt einen für Frauen ihrer Zeit unüblichen, sogar gegen die Etikette verstoßenden Wunsch: studieren.



STUDIUM, EHE, ROMANTIK

Da das Frauenstudium in Deutschland noch nicht möglich war, immatrikuliert sie sich in der Schweiz für Geschichte und Philosophie. Als eine der ersten deutschen Frauen besteht sie 1891 nicht nur das Diplom-Examen für das höhere Lehramt, sondern promoviert auch ein Jahr später an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich in Geschichte. In dieser Zeit erscheint ihre erste Erzählung „Die Goldinsel“ in der Berner Zeitung „Der Bund“. Ihren ersten Gedichtband veröffentlicht sie noch unter dem Pseudonym „Richard Hugo“. Nach ihrer Promotion arbeitet Ricarda Huch als Angestellte an der Züricher Stadtbibliothek und gibt nebenbei Deutschstunden.

Seit 1893 unterrichtet Ricarda Huch an der Höheren Töchterschule Deutsch und Geschichte. Ihr erster Roman „Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren“ entsteht, in dem sie die Liebesbeziehung zu ihrem Schwager Richard Huch verarbeitet. Sie gibt ihre Bibliotheksstelle und ihre Lehrtätigkeit auf, nachdem Richard Huch ihrer 13-jährigen Liebesbeziehung ein Ende gesetzt hatte, und zieht im Sommer 1897 nach Wien. Dort lernt sie den sechs Jahre jüngeren italienischen Zahnarzt Ermanno Ceconi kennen und heiratet ihn. Am 9. September kommt die gemeinsame Tochter Marie Antonie zur Welt. Nach der Geburt der Tochter beginnt Ricarda Huch ihre Romantik-Studien. Ihre Romantikwerke („Ausbreitung und Verfall der Romantik“  1902, „Die Romantik“ 1908) erlangen große Bedeutung für die Wiederentdeckung der Romantik sowie die Überwindung des Naturalismus innerhalb der Literaturgeschichte.



KONTAKT ZUR FRAUENBEWEGUNG

Die Familie zieht 1900 nach München. Nach acht Jahren Ehe erfolgt die Scheidung. Während des Ersten Weltkrieges lebt sie zusammen mit ihrer Tochter in der Schweiz. Von ihrem Frühwerk, voller Phantasie und von lyrischem Subjektivismus geprägt, führt der Weg immer stärker zur beschreibenden, objektiven Darstellung historischer Gestalten und Ereignisse. Die Schilderung des Dreißigjährigen Krieges „Der große Krieg in Deutschland“ demonstriert diese neue Richtung ihres literarischen Schaffens. In Zürich wird sie zu Vorträgen eingeladen und setzt sich nun auch immer mehr mit religionsphilosophischen Themen auseinander. 1916 erscheint ihre Arbeit „Luthers Glaube“ und 1919 „Der Sinn der Heiligen Schrift“. Obwohl sie eine kritische Haltung zur Institution Kirche vertritt, versucht sie den säkularisierten Menschen zur Gottesnähe zurückzubringen.

Nach dem Krieg kommt sie in München in Kontakt mit der Frauenbewegung, insbesondere mit deren Vordenkerinnen Ika Freudenberg und Gertrud Bäumer. Anlässlich ihres 60. Geburtstags verleiht ihr die Stadt München die akademische Ehrenbürgerwürde. Thomas Manns Glückwünsche in der Frankfurter Zeitung markieren ihren Stellenwert in der Europäischen Kulturgeschichte: „Dies sollte ein Deutscher Frauentag sein und mehr als ein deutscher. Denn nicht nur die erste Frau Deutschlands ist es, die man zu feiern hat, es ist wahrscheinlich die erste Europas.“ Als erste Schriftstellerin wird Ricarda Huch in die am 26. Oktober 1926 gegründete Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste gewählt – wenige Wochen nach der Gründung. Es folgen darauf weitere literarische Auszeichnungen, so 1931 der Goethepreis der Stadt Frankfurt.



WIDERSTAND GEGEN NATIONALSOZIALISMUS

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verweigert Ricarda Huch eine von den Mitgliedern der Preußischen Akademie der Künste verlangte Loyalitätserklärung gegenüber dem neuen Regime. Sie begründet, dass sie: „…verschiedene der inzwischen vorgenommenen Handlungen der neuen Regierung aufs schärfste missbilligt“. Als erstes Mitglied tritt sie aus Protest aus der Akademie aus; diese Tatsache wurde im Dritten Reich nicht veröffentlicht. Den 1934 ersten veröffentlichten Band ihrer dreibändigen „Deutsche Geschichte“, die das Regime als implizite Kritik verstand, verriss die öffentliche Literaturkritik. Der zweite Band erscheint 1937 nur unter großen Schwierigkeiten, der letzte erhält von den Nazis keine Druckerlaubnis.

Ab 1936 lebt sie in Jena und erhält zehn Jahre später anlässlich ihres 82. Geburtstags die Ehrendoktorwürde von der Friedrich-Schiller-Universität. Sie plant ein Buch über den deutschen Widerstand, als zahlreiche Freunde und Bekannte von ihr verhaftet und hingerichtet werden. Doch muss sie erkennen, dass sie das Projekt nicht ohne Hilfe schafft. Sie überlässt ihr Material dem Autor Günther Weisenborn, der es 1953 als „Der lautlose Aufstand“ herausgibt. Am 17. November 1947 stirbt Ricarda Huch an einer Lungenentzündung. Als intellektuelle Widerstandskämpferin und Vordenkerin ihrer Zeit gehört sie seit 150 Jahren zu den bedeutendsten Denkerinnen Europas.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016