Raum, Licht, Liturgie

25. Januar 2007 | von

Gleißende Scheinwerfer in den Stadien, blendende Neonreklamen in den Einkaufszeilen – das Licht und seine Facetten sind das Handwerkszeug unserer Autorin. Am dynamischen Kirchenraum von Sankt Franziskus in Regensburg erläutert sie die besonderen Anforderungen der Beleuchtung sakraler Bauten.

„Es werde Licht!“ In der Bibel des Alten Testamentes sind dies die ersten Worte Gottes. „Und (...) Gott schied das Licht von der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht“ (Gen. 1,1f), berichtet die Genesis weiter. Der Anfang des Tages und das Ende des Tages, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang waren im Christentum zentrale Momente für Gebet und Versammlung. Die Feier von Gottesdiensten erfolgte zu festgeschriebenen Tages- und Nachtzeiten. Der Rhythmus von Tag und Nacht war bestimmend, das Licht - und wir sprechen hier zunächst von Licht als Tageslicht - spielte also zu allen Zeiten eine herausragende Rolle. -

Liturgische Symbolik. Die herausragende Rolle der Lichtsymbolik lässt sich sehr gut an der Feier der Osternacht veranschaulichen: Die Osternacht beginnt mit dem Osterfeuer, setzt sich mit dem Entzünden der Osterkerze fort, deren Licht jeweils mit dem Ruf „Lumen Christi – Licht Christi“ an die Ministranten und die gesamte mitfeiernde Gemeinde weitergegeben wird. Die Gemeinde versammelt sich in der völlig dunklen Kirche. Die ersten Lesungen erfolgen in der Kirche, die nur von Kerzenlicht erhellt ist. Die Osternachtfeier sollte zeitlich so angesetzt werden, dass dann beim Gloria die aufgehende Sonne den Raum zu erhellen beginnt.
Zu allen Zeiten ging es bei der Feier der Liturgie um das richtige Licht zur richtigen Zeit in der richtigen Menge am richtigen Ort. Das galt sowohl für das Tageslicht, als auch das Kunstlicht (anfänglich nur Kerzenlicht). Vielerorts war genau festgeschrieben, wie viele und welche Art von Kerzen zu welchen Zeiten und an welchen Standorten entzündet werden sollten. Die Bedeutung eines Gottesdienstes spiegelte sich auch in der festlichen Ausschmückung des Raumes mit Licht, Lichtvolumen und Brillanz wieder.
Das Licht in sakralen Bauten tritt also nirgends zufällig ein. Der gesamte Bau, Architektur und Beleuchtung verfolgen ein Konzept, bilden eine Einheit. Zusammen sollen sie dem Besucher Raum zur Meditation und Ruhe geben.

Sakraler Raum. Der Mensch hält sich kurze oder längere Zeit in der Kirche auf. In funktionaler Hinsicht ist das Licht so zu gestalten, dass Personen aller Alterstufen am Gottesdienst teilnehmen können. Man möchte sich orientieren, einfache Texte und das Gebetbuch lesen, das Zentrum des Geschehens rund um den Altar sehen und begreifen können. Mit der Stärke und Intensität des Lichts können Akzente gesetzt, weiche Raumteile gestaltet und konzentrierte Aufmerksamkeit erzeugt werden.
Oft ist der Raum der Kirche selbst ein Kunstwerk. Die Vorstellungen des Architekten sind klar umrissen, der Raum wird sensibel ausgearbeitet. Die Raumproportionen, die Raumnutzung, der besondere meditative Charakter eines Kirchenbaus und die individuelle Architektur erfordern eine adäquate Beleuchtung. Ob es sich nun um eine moderne Umsetzung eines barocken Innenraumes handelt oder um eine schlichte kubische Form, jeder Raum hat seine Besonderheit, seine Unverwechselbarkeit und seine eigene Stimmung. Ohne ein Licht, das diesen Raum individuell modelliert und ihn in seiner Art begleitet und unterstützt, würde der Raum nicht überzeugen. Dabei ist sowohl die Wirkung und Nutzung des facettenreichen Tageslichtes, als auch des Kunstlichtes von Bedeutung. Ein reiner Gebets- und Andachtsraum wird sich in der Beleuchtung von einem aktiven Kirchenraum, in dem Messen abgehalten werden, unterscheiden.

Außen und Innen. Diese Gedanken sind in die Gestaltung der neuen Pfarrkirche Sankt Franziskus in Regensburg eingeflossen. Sie liegt unmittelbar am Ortseingang auf einem um wenige Meter erhöhten Plateau. Der gesamte Kirchengrund wird von einer Mauer eingefasst, nach Westen öffnet sich die Anlage mit einem Kirchvorplatz, der von den Nebengebäuden flankiert wird und auf das Hauptportal der Kirche ausgerichtet ist.
Das außenräumliche Konzept der Gesamtanlage und die ungefähre Ostung der Kirche folgen einer Anordnung, wie sie sehr häufig anzutreffen ist. Im Gegensatz dazu trägt die Außenform der Kirche kaum jene typischen Erkennungsmerkmale, die auf einen Kirchenbau schließen lassen. Die schlichte Rechteckform des Gemäuers macht sich lediglich durch den beschriebenen außenräumlichen Kontext und vielleicht noch durch ihre ungewöhnliche Masse mit einer atypischen Fensteranordnung als Kirchenbau bemerkbar.
Nach dem Durchschreiten der Vorhalle, die durch eine großflächige Verglasung und ihre Proportion eher dem Außenraum zugehörig erscheint, betritt der Besucher über eine niedrige Raumschleuse den Kircheninnenraum. Hier trifft er auf eine völlig andersartige Raumgeometrie und Lichtführung, als er es über seine außenräumliche Wahrnehmung hätte erwarten können. Weiche, nicht geometrische Raumkonturen, vertikal sich diskontinuierlich neigende Wände mit unterschiedlichen Öffnungen und ein tageslichtheller, diffuser Lichteinfall über einen ellipsoiden Dachausschnitt bestimmen den Raumeindruck.
Wer immer diesen Kirchenraum betritt, wird erstaunt sein über den Unterschied zwischen der äußeren, schlichten Gebäudehülle und der unvorstellbaren andersartigen Gestaltung des Innenraumes. Der Innenraum offenbart sich als bewegter und geborgener Raum zugleich. Er scheint als großes organisches Volumen aus dem vollen Block herausgearbeitet und ausgehöhlt. Nebenräume und konchenartige Raumerweiterungen sind eingeschnitten. Jedes Raumvolumen hat seinen eigenen Charakter, die Entdeckung des Raumes scheint nahezu unendlich.

Licht aus der Höhe. Seit Jahrhunderten öffnen sich Innenräume von Kirchen als elementarer Bestandteil der Architektur nach oben zum Tageslicht, zum Himmel. Man blicke nach oben, der höchste Punkt im Raum und im Licht ist der Ort, der auf Gott verweist. In den Kuppelkirchen wie St. Peter in Rom, in der Münchener Theatinerkirche und im Salzburger Dom bricht das Tageslicht von oben in den Kirchenraum. Der Raum ist von einer Kuppel gekrönt, das Licht bricht aus der Raumhöhe der um einen Tambour erhöhten Kuppel, die zudem von einer Laterne nochmals überhöht wird, herab. Deckenbilder, Gemälde, Stuck leuchten im Tageslicht auf und ziehen den Blick nach oben. Die Lichtdramaturgie modelliert Licht und Schatten, der Raum wird durch den natürlichen Tageslichteinfall lichtdramaturgisch modelliert.
Im Zeitalter der Renaissance und des Barock wird das Licht (Tageslicht) zum ersten Mal bewusst dramaturgisch in den Kirchenbau einbezogen. Man nimmt Abstand von einem Gleichmaß einer Beleuchtung durch regelmäßige Fensterreihen und entwickelt Szenarien mit ungleichmäßig verteilten, unterschiedlichen und indirekt angeordneten Fenstern, so zum Beispiel um 1720 Kloster Weltenburg. Das Tageslicht dient nicht mehr in erster Linie der reinen Beleuchtung, sondern definiert Höhe, setzt Licht und Schatten, positioniert Altäre und Skulpturen sogar im Gegenlicht, lässt Raumteile durch indirektes Sonnenlicht aufglühen, modelliert Raumformen. Es wird ein Raumerlebnis aufgebaut, das sich auf einen Gott ausrichtet, der in der Höhe wohnt – im Licht. Viele dieser Gedanken werden in der Pfarrkirche Sankt Franziskus aufgegriffen, aber zeitgemäß interpretiert. Es entsteht eine geheimnisvolle Lichtdramaturgie, aber es entsteht gleichzeitig ein ruhiger, geborgener Raum, der sich nach oben öffnet.

Geheimnisvolle Atmosphäre. Der Kirchenraum wird überspannt von einer transluzenten Membran, Über diese Membran gelangt gefiltertes Tageslicht in den Innenraum. Je nach Sonnenstand ergeben sich durch die Ost-West-Ausrichtung der darüberliegenden, teils transparenten, teils transluzenten oder völlig geschlossenen Sheds, im Tages- und Jahresverlauf wechselnde Lichtwirkungen. Der Grad der Transluzenz der Membran lässt die Erkennbarkeit des Daches nicht zu. Man kann weder von innen noch von außen die Konstruktion nachvollziehen. Nur deren Effekt, ein immaterielles Licht- und Schattenspiel, bleibt als Abbildung auf der Membran erlebbar.
Der Betrachter findet sich in wechselnden Raum- und Lichtatmosphären und einer geheimnisvollen Lichtführung wieder. So verweist der über der Altarinsel schwebende Lichtschwerpunkt auf das Zentrum des Raumes, dann verändert er sich, glüht durch Sonnenreflexe auf, kommt aus dem Nichts und verblasst wieder.
Je nach Sonnenstand, Witterung und Jahreszeit entsteht eine Vielfalt an Licht- und Raumwirkungen. Die blaue Farbe des Himmels verändert die farbliche Schichtung der Membran.

Lichte Unendlichkeit. Das Tageslicht, das durch die angrenzenden Räume und Konchen einfällt, verändert den Raum zusätzlich. Fensteröffnungen, die vom Innenraum nicht sichtbar sind, sammeln Lichtvolumen, geben Weite und beleuchten den Kirchenraum indirekt. Die transparente Hülle des Tabernakels leuchtet im Tageslicht, verändert ihre Raumwirkung im Sonnenlicht und in den Färbungen des Himmels.
Die Tageslichtführung lässt keinen Rückschluss auf die nächtliche Beleuchtung zu. In der Nacht schließt sich die Membran optisch zu einem Raumgewölbe. Die beeindruckende Vielgestaltigkeit des Tageslichtes kulminiert in der Nacht zu einer modernen Interpretation eines Lichthimmels, der ein ruhiges Licht über die Szenerie setzt. Das lichtspendende Wolkenbild erinnert an ein „Fresko“ und gibt dem Raum Unendlichkeit. Somit wird erneut der große Bogen gespannt zur historischen Trompe-d’oeille-Malerei des Lichthimmels, der allerdings oft nur scheinbar lichtdurchflutet wirkt.
Unter diesem lichten Himmelszelt entsteht eine Atmosphäre der Stille und Andacht. Licht vermittelt Sicherheit, macht sichtbar, es wärmt und umflutet. Wichtig wird deshalb auch die außen erkennbare Beleuchtung. Die strahlenden Fenster und ihre Anordnung laden bei Nacht dazu ein, auf dem erhellten Weg über den Platz zu schreiten und die Kirche zu besuchen. Zu jeder Zeit bietet sie einen Ort der Geborgenheit und einen Raum für unsere tiefen Gebete.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016