Reise nach Weissrussland

25. Oktober 2010 | von

Weißrussland – für viele ein weißer Fleck auf ihrer inneren Landkarte. Auf Einladung seines Mitbruders P. Antoni Pazhetski besuchte P. Polykarp vom 28. Juli bis 5. August dieses Land. Im Minoritenkloster von Grodno hatte P. Maximilian Kolbe seine erste Druckerei installiert und fünf Jahre lang seine Zeitschrift „Ritter der Unbefleckten“ publiziert.



Im Wort Belarus, dem verbreiteten Namen für Weißrussland, steckt das mittelalterliche bely = westlich. Tatsächlich grenzt es im Osten an Russland, im Süden an die Ukraine, im Westen an Polen, im Norden an Litauen und Lettland. Für mich war Belarus bisher ein weißer Fleck auf meiner „inneren Landkarte“. P. Antoni zeigte mir sein Land und seine Heimatstadt Grodno, anlässlich der Trauung seines jüngsten Bruders.

Im Minoritenkloster von Grodno – heute eine saubere, helle, weitläufig gebaute Stadt mit über 300.000 Einwohnern, nur 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt – wirkte von 1922 bis 1927 P. Maximilian M. Kolbe, der Gründer der M.I. (Militia Immaculatae). Mit einer handbetriebenen Druckmaschine erstellte er die Zeitschrift „Rycerz Niepokalanej“ (Ritter der Unbefleckten). Dann zog der Verlag in das neue Riesenkloster Niepokalanów (zeitweise bis zu 800 Brüder) westlich von Warschau um. Fürst Johannes Drucki Lubecki hatte das Gelände zur Verfügung gestellt.



Seelsorgsarbeit bis zum Umfallen

Heute dient der Klosterkomplex samt der weitläufigen Gartenanlage als Krankenhaus, doch die angebaute große Kirche war ununterbrochen „im Dienst“, in kommunistischen Zeiten sogar als einzige geöffnete Kirche in der ganzen Stadt. Der Zustrom der Gläubigen ist ungebrochen, auch wegen der guten Parkmöglichkeiten am linken Ufer der Memel, deren tiefer Talkessel die Stadt durchschneidet. Zu den sechs Gottesdiensten am Sonntag (8 h, 9.30 h, 11 h, 12.30 h, 19 h, 20 h) strömen 2.800 Besucher. Die drei Mitbrüder Josef, Andreas und Innozenz sind ununterbrochen im Einsatz: einer am Altar, zwei im Beichtstuhl. Zum Kommunionempfang in der übervollen Kirche knien die Gläubigen nieder und kreuzen die Arme zum Zeichen, dass sie kommunizieren wollen. Im Klingelbeutel landen nur Scheine (weil es keine Münzen gibt), der kleinste mit 10 Rubel ist 0,25 Cent wert. P. Jozef Makarczyk, der Pfarrer, nannte mir den Halbjahrestand zum 31 Juli: 166 Taufen, 67 Trauungen und 56 Beerdigungen!



Erzbischof aus Minsk beim Portiunkulafest 

Zwei miteinander verbundene Appartements in einem Wohnblock dienen als Kloster. Gegessen wird in einem halben Gartenhäuschen in Sichtweite der Kirche (die andere Hälfte bewohnt eine Familie), wo in winzigem Format Küche, Essraum, Schlafkammer und Pfarrbüro eingerichtet sind. Hier wohnte in kommunistischen Zeiten Tadeusz Kondrusiewicz, 1946 im nahen Adelsk geboren, in Leningrad zum Ingenieur ausgebildet, 1981 Priesterweihe, 1991 Erzbischof in Moskau, seit 2007 Erzbischof in der Hauptstadt Minsk. Er hielt am 2. August den Abendgottesdienst zum Kirchenpatrozinium Portiunkula – mit eineinhalbtausend Gläubigen.

Seelsorgerliche Pionierarbeit leisten zwei junge Mitbrüder in der Zwei-Millionen-Metropole Minsk, P. Aleksander Pisaruk und P. Aleksander Ulas. Ihr Pfarrgebiet besteht nur aus frisch hochgezogenen Wohnblocks mit riesigen Dimensionen („man kann zusehen, wie sie wachsen“, sagte mir P. Aleksander P.). Zur Messfeier können sie nur einen bescheidenen Holzbau anbieten, doch hat die Stadt das Gelände zum Bau einer richtigen Kirche geschenkt. Hausbesuche, Hausbesuche, Hausbesuche – damit sammeln sie ihre verstreute Herde. Willkommen sind sie überall, denn in solch anonymer Umgebung wirken Frömmigkeit und praktizierter Glaube wie eine erholsame Oase.



Jugend baut auf Zukunft

Auf dem Rückweg von Minsk nach Grodno besuchten wir unser Kloster in Ivieniec, wo sich Hunderte von Jugendlichen zu einer Sommerakademie aufhielten, betreut von bekannten Musikern und Regisseuren für Film und Theater. Pater Antoni zeigte mir die Gedenkstätte für 600 jüdische Kinder und 200 ältere Menschen, ermordet von Deutschen während der Besatzungszeit. Zwei unserer Patres dort wurden umgebracht, obwohl ein deutscher Offizier, der in unsere Kirche zum Orgelspielen kam, sie gewarnt hatte („ihr steht auf der Liste“). Sie wollten bei ihrer Gemeinde bleiben und büßten es mit ihrem Leben.

An diese deutsch-weißrussische Vergangenheit musste ich denken, als ich mit Pater Antoni vor Mitternacht die Hochzeitsgesellschaft verließ: Alle erhoben sich von ihren Plätzen. Vor der Trauung wurde für Paul und Katharina das Veni Sancte Spiritus gesungen. Gefreut hat mich, dass sich die jungen Leute unter den Hochzeitsgästen in der Kirche offensichtlich nicht fremd fühlten. Entsprechend gesittet ging es beim Festmahl zu. Ein älterer Gast ließ mir dolmetschen, er sei aus seiner deutschen Zwangsarbeit in Ostpreußen mit einem Bierbauch nach Hause gekommen, da er einer Brauerei zugeteilt war. Die Stadtverwaltung von Grodno gewährt für Neubauwohnungen gestaffelte Hilfen: bei einem Kind erhält das Ehepaar einen verbilligten Kredit, bei drei Kindern wird die Hälfte geschenkt, und bei vier Kindern ist die Wohnung gratis. Ob bei Paul und Katharina Vierlinge unterwegs sind, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016