Revolutionär und richtungsweisend

01. Januar 1900

Heute gilt die Kirche Sankt Peter und Paul im fränkischen Dettingen unweit von Frankfurt als Markstein der modernen Kirchenbaukunst in Deutschland. Als die Kirche in den zwanziger Jahren errichtet wurde, fürchteten die Architekten Dominikus Böhm und Martin Weber hingegen, sie könnte für zu modern und zu expressionistisch, was in Kirchenkreisen gleichbedeutend mit umstürzlerisch war, gehalten werden.

In der Denkschrift zur Einweihung der Kirche im Jahr 1923 beriefen sie sich daher sicherheitshalber auf längst anerkannte Stilformen: Bei eingehendem Studium und Einwirkenlassen der Raumstimmung werde der Betrachter Verwandtes mit dem religiösen Mittelalter finden, wenn auch mehr dem Geiste als der Form nach... Man könnte dieses unser Streben auch eine Verschmelzung von tiefernster Gotik und freudigstem Barock nennen.
Expressionistisches Markenzeichen. Weder das wuchtige, gestauchte Äußere, noch das leichte, geweitete Innere hatte etwas mit Gotik oder Barock zutun. Und als gleichsam expressionistisches Markenzeichen bestimmte der spitze Winkel statt des Rundbogens die Architektur. Am ehesten erinnerte die basilikale Anlage von Sankt Peter und Paul noch an altchristliche Vorbilder. Der Kirchbau selbst wurde aber schon damals von Gemeinde und Obrigkeit wohlwollend aufgenommen.
Ein beispielhaften Baudenkmal ist Sankt Peter und Paul, weil sich in ihr das künstlerische und liturgische Ringen jener Zeit vereinen. Es ging hier nicht nur um zeitgemäße Konstruktion und Ausstattung. In der Baugestalt sollte sich von einem christozentrischen Ansatz her eine liturgische Erneuerung ausdrücken.

Fokus Christus. Man griff Anregungen der Liturgischen Bewegung auf. Ausgangspunkt und gestaltender Mittelpunkt der Kirche sollte der Altar als der mystische Christus sein. Nebenaltäre oder Heiligenfiguren müssen dabei zurücktreten. Tatsächlich steigerten die Architekten die räumliche Wirkung auf den Hochaltar hin. Sie rückten die Nebenaltäre ganz zur Seite, schufen einen, nur durch schlanke Säulen gestützten, geschlossenen Raum, der freien Blick auf den Altar gewährt und die feiernde Gemeinde von der Außenwelt abschottet. Sie bündelten das Licht auf den Altarraum, was unterstützt wurde von einer Farbigkeit im Hauptschiff, die vom Dunkel ins Helle emporzieht.

Den Zielen der Liturgischen Bewegung zuwider steht jedoch der vom Hauptschiff abgetrennte Altarraum, der nur durch eine trapezförmige Öffnung in der Chorwand einsehbar ist. Da ist es den Gläubigen nicht möglich, sich rings um den Altar zu scharen.
Im Bann der Bilder. Der Blick wird also durch das dunkle Schiff in den Altarraum gelenkt. Dort ziehen das Altarbild mit Kreuzigung sowie der überlebensgroße Kreuzweg im Hauptschiff den Betrachter ganz in den Leidensweg Christi hinein und erschüttern das Gemüt. Wenn die Kirche ausgeleuchtet ist, kann man die Ausmalung im ganzen würdigen, den Kreuzweg im Hauptschiff, die Verkündigung und Geburt an den Wänden des Triumphbogens, die Heimsuchung und die Flucht nach Ägypten in den Zwickeln über den Seitenaltären, die Kreuzigung an der Chorwand.

In Monumentalität und heftigem Ausdruck schlägt die Malerei den Betrachter übermächtig in Bann. Viele Figuren sind in Auseinandersetzung mit Grünewald gestaltet, die Verzerrungen und Verrenkungen drücken seelische Erregung aus. Dazu in Spannung stehen ruhige, an Giotto geschulte Gestalten.
Kosmische Raumwirkung. Architekten und Maler verfolgten teilweise gegenläufige Absichten. Während sich der Architekt die Ausmalung illustrativ, dem Bau untergeordnet gedacht hatte, erschien dem Maler der Bau zu eng, maßlich zu festgelegt, so dass er ihn durch eine suggestiv wirkende, raumausweitende Malerei ... übertönen und eine kosmische Raumbildung entstehen ... lassen wollte. Das gelang ihm, indem er die Szenen mit nicht genau faßlichen Raumschichten hinterlegte.

Veränderungen revidieren? Trotz dieser Widersprüche erscheint Sankt Peter und Paul heute als Gesamtkunstwerk. Inzwischen ist der revolutionäre Kirchenbau von gestern zum Gegenstand der Denkmalpflege geworden. Grundsätzlich ist man heute bestrebt, das Alte möglichst in der Ursprungsgestalt wiedererstehen zu lassen. In Dettingen würde das bedeuten, auch Veränderungen rückgängig zu machen, die offenkundige Mängel ausgleichen oder die Zweckmäßigkeit des Baues steigern sollten. So wurde 1961 die Empore abgesenkt, damit sich der Klang der Orgel endlich einigermaßen befriedigend entfalten konnte. Außerdem entfernte man nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Chorschranke, und der Altarraum wurde unter anderem mit einem

Volksaltar ausgestattet. Die Überlegungen zur Renovierung der Dettinger Kirche spiegeln den Widerstreit zwischen musealen und praktischen Bedürfnissen, der den heutigen Umgang mit schützenswerten Kulturgütern kennzeichnet. Weit ist man entfernt von der Unbekümmertheit, mit der sich frühere Epochen Vorgefundenes aneigneten.

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016