Roms Romeo und Julia

25. Oktober 2004 | von

Touristen und Pilgerinnen, welche während ihres Stadtbummels vom Pantheon zur Gelateria Giolitti, der berühmtesten Eisdiele Roms an der Via degli uffici del Vicario schlendern, gelangen schon nach ein paar Minuten auf die Piazza Maddalena. Aber nur wenige von ihnen nehmen sich die Zeit für einen kurzen Abstecher in die Kirche jener Heiligen, welcher der Platz seinen Namen verdankt.
Dort verweilen sie in der Seitenkapelle rechts vom Hochaltar für ein paar Minuten vor einer als wundertätig verehrten Statue der Maria Magdalena. Als im November 1558 der Tiber wieder einmal über die Ufer trat und die ganze Stadt überschwemmte, verwüsteten die Wassermassen auch die Magdalenenkirche. Wie der Chronist berichtet, “wandelte die besagte Statue auf den Wassern zum Hochalter, wo sie auf den Füssen stehen blieb“. Woran noch heute eine am Sockel angebrachte Gedenktafel erinnert.

Geschicke und Geschichte. In der gleichen Seitenkapelle er-hebt sich ein Grabdenkmal. Obwohl fast mannshoch, findet es kaum Beachtung, vermutlich weil die Inschrift in Latein verfasst ist, in einer Sprache also, mit der heute die wenigsten etwas anzufangen wissen. Selbst die Römerinnen und Römer haben im Lauf der Jahre vergessen, dass dieses Grabmal an eine jener unzähligen Tragödien von Liebe und Tod erinnert, ohne die die Geschichte der Ewigen Stadt zwar wesentlich heiterer, gleichzeitig aber auch sehr viel ärmer wäre. Denn die Großtaten der Mächtigen und die Untaten der Großen bilden gleichsam nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Schicksalsschläge und Missgeschicke der kleinen Leute und der mittelständischen Adeligen abspielten, welche die eigentliche Geschichte Roms und jeder anderen Stadt ausmachen.

Entflammte Herzen. Von einem solchen Schicksal berichtet das erwähnte Epitaph, das an eine junge Frau namens Theresia forma et moribus praestans erinnert, was bedeutet, dass sie nicht nur von hinreißender Schönheit war, sondern auch überaus sittsam lebte. Weiter ist der Inschrift zu entnehmen, dass Theresia am 21. Juli 1842 im Alter von 23 Jahren verstarb.
Das Drama nahm seinen Anfang, als Theresia sich in einen gewissen Pio Pratesi verliebte, einen mittellosen Dragoner-Kadetten der päpstlichen Truppen, der ihre Gefühle erwiderte. Nun aber entstammte Theresia dem angesehenen Geschlecht der Bennicelli. Töchter aus Familien der mittelständischen Schichten oder in gehobener sozialer Stellung aber heirateten in jenen Zeiten nicht; sie wurden verheiratet. Das bedeutet, dass für eine Eheschließung nicht die Regungen des Herzens, sondern die Interessen der Familie ausschlaggebend waren.
Eines Abends nun überraschten die Eltern ihre Tochter, als sie eben dabei war, ihrem Geliebten einen Brief zu schreiben. Damit sich ihre Heiratspläne nicht in Rauch auflösten, begnügten  sich die Eltern nicht mit Vorwürfen, sondern unterstellten das arme Kind einer strengen Überwachung. Überdies ließen sie ihre Beziehungen spielen – will sagen, sie sorgten dafür, dass die militärischen Vorgesetzten den Kadetten von Rom nach Viterbo befahlen. Was in der Folge dazu führte, dass Theresia mit jedem Tag trauriger, blasser und schwächer wurde und schließlich ernsthaft erkrankte. Erst auf Anraten der Ärzte brachten die Angehörigen die junge Frau auf ein Gut außerhalb der Stadt. Aber selbst die frische Landluft bewirkte keine Veränderung ihres Zustands. Nach wenigen Wochen erkannte der herbeigerufene Medikus, dass es bereits zu spät war und das Liebesleiden unweigerlich zum Tod führen würde.

Umarmung auf dem Sterbebett. Noch zögerten die Eltern, die ärztliche Diagnose ernst zu nehmen. Erst als die bedauernswerte Theresia dem Tod bereits ins Angesicht sah, erkannten sie, was sie ihrer Tochter angetan hatten. Immerhin erreichten sie, dass der junge Soldat von seinen Vorgesetzten nach Rom beordert wurde, wo er seine Geliebte auf dem Sterbebett ein letztes Mal umarmte. Die hatte gerade noch die Kraft, ihm mit den Worten “Jetzt ist es zu spät“ und einem traurigen Lächeln ihre Liebe zu versichern. Dann verschied sie. Drei Tage später trug man die Leiche zu Grabe. Sie war in ein Brautkleid gehüllt.

Raserei und Rettung. Der Kadett, der unmittelbar nach dem Tod der Geliebten wieder nach Viterbo in die Kaserne zurückkehren musste, erhielt Urlaub, um der Bestattung beizuwohnen. In Rom traf er gerade noch rechtzeitig ein, um die Tote auf die erkaltete Stirn zu küssen. Anschließend meldete er sich in Viterbo zurück, schloss sich in einer Kammer der Kaserne ein, zog die Pistole, sprach ein kurzes Gebet, richtete den Lauf der Waffe auf seine Brust und drückte ab. Aber der Schuss löste sich nicht. Auch der zweite Versuch schlug fehl.
Pio Pratesi erkannte darin ein Zeichen des Himmels. Wieder ritt der Dragoner von Viterbo nach Rom, ersuchte im Kapuzinerkloster an der Via Veneto bei der Piazza Barberini um Einlass und bat um Aufnahme in den Orden. Zwei Jahre später feierte der inzwischen Siebenundzwanzigjährige als Padre Pacifico am rechten Seitenaltar der Magdalenenkirche über dem Grab der verstorbenen Geliebten seine erste heilige Messe.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016