Sensationeller Fund: Das Grab des Apostels Philippus

16. März 2012 | von

In Hierapolis in Phrygien, im Südwesten der heutigen Türkei, wurde 2011 das Grab des heiligen Apostels Philippus gefunden, eine außerordentliche archäologische Entdeckung von historischen Ausmaßen. Seit 1957 arbeiten dort italienische Archäologen. Über den Erfolg seiner Landsleute berichtet der Journalist Renzo Allegri, nach einem Interview mit dem Leiter der Forschungsgruppe.



Professor Francesco D’Andria, Direktor der italienischen archäologischen Forschungsgruppe in Hierapolis, fasst seine Entdeckung so zusammen: „Nach 55 Jahren der Suche fanden wir endlich das Grab, in das man den Leichnam des heiligen Apostels Philippus gelegt hatte. Rings um das Grab legten wir einen großen archäologischen Komplex über dem östlichen Hügel von Hierapolis frei, bestehend aus zwei Kirchen, einer großen Prozessionsstraße, Travertinstufen, kleinen Höfen, Kapellchen, Brunnen, Thermalbecken zur Reinigung, Pilgerunterkünften – alles streng nach der antiken hebräisch-christlichen Religionssymbolik ausgerichtet. Der heilige Philippus wurde in den ersten christlichen Jahrhunderten in Hierapolis hoch verehrt.“

Wie kam der Apostel Philippus, aus Betsaida am See von Genesaret stammend, nach Hierapolis, so fragte ich Professor Francesco D’Andria. „Aus der Tradition und alten schriftlichen Dokumenten der heiligen Väter wissen wir, dass Philippus in Skythien und Lydien missionierte und seine letzten Lebensjahre in Hierapolis in Phrygien verbrachte.“ Polykrates, Bischof in Ephesus, schreibt um 190 in einem Brief an Papst Viktor I. über Philippus: „Er war einer der zwölf Apostel und starb in Hierapolis, wie zwei seiner Töchter, die in Jungfräulichkeit alt geworden waren… Eine weitere Tochter … wurde in Ephesus begraben.“



DIE TÖCHTER DES APOSTELS

Alle Gelehrten halten diese Informationen des Polykrates für absolut glaubwürdig. Der Brief, etwa hundert Jahre nach dem Tod des Philippus abgefasst, ist ein grundlegendes Dokument für die Beziehungen zwischen der Lateinischen und der Griechischen Kirche. Es geht um den Osterfeststreit. Als Patriarch der griechischen Kirche verteidigt Polykrates den edlen Ursprung der Kirchen in Asien. So wie Rom die sterblichen Überreste des Petrus und Paulus bewahrt, gibt es in Asien die Gräber der Apostel Philippus und Johannes. Aus diesem Brief erfahren wir auch, dass Philippus seine letzten Lebensjahre in Hierapolis verbrachte, mit zwei seiner drei Töchter, die ihm sicherlich bei seiner Aufgabe als Verkündiger geholfen haben. Eusebius von Cäsarea berichtet in seiner „Kirchengeschichte“, dass Papias – er war Bischof von Hierapolis zu Beginn des dritten Jahrhunderts – die Töchter des Philippus kannte und von ihnen wichtige Einzelheiten über das Leben des Apostels erfahren hatte, unter anderem auch die Erzählung von einem überwältigenden Wunder, der Auferweckung eines Toten.

Die meisten antiken Dokumente behaupten, dass Philippus in Hierapolis verstorben ist, im Jahr 80 nach Christus, im Alter von etwa 85 Jahren. Er starb für seinen Glauben, gekreuzigt mit dem Kopf nach unten, wie der heilige Petrus. Begraben wurde er dann in Hierapolis. Im antiken Gräberfeld dieser Stadt wurde eine Inschrift gefunden, die auf eine Kirche verweist, die dem heiligen Philippus geweiht ist.



VON HIERAPOLIS NACH ROM

Später wurde der Leib des Philippus nach Konstantinopel verbracht, um ihn vor der drohenden Profanierung durch die Barbaren zu schützen. Im sechsten Jahrhundert dann, unter Papst Pelagius I., überführte man den Leichnam nach Rom und setzte ihn zusammen mit dem Apostel Jakobus in einer eigens für sie erbauten Kirche bei. Die Kirche, in byzantinischem Stil errichtet und nach den Heiligen Jakobus und Philippus benannt, wurde 1500 in eine herrliche Renaissance-Kirche umgewandelt, die heutige Basilika Santi Apostoli.

Im Jahr 1957 erreichte Professor Paolo Verzone aus Turin ein Abkommen zwischen der italienischen und türkischen Republik: einer archäologischen Gruppe wurden Forschungen in Hierapolis erlaubt. Sofort begann die Suche nach dem Grab des Apostels Philippus. Professor Verzone ließ bei der Kirche des heiligen Philippus graben, die teilweise schon sichtbar war. Zum Vorschein kam ein oktogonales (achteckiges) Meisterwerk byzantinischer Architektur aus dem fünften Jahrhundert mit herrlichen Travertinbögen. Zur Kirche gehörte ein weites quadratisches Feld mit Pilgerunterkünften, dreieckigen Innenhöfen und Kapellchen an sieben Seiten. Ein symbolisches Zahlenspiel: die Zahl Acht ist das Symbol für die Ewigkeit; die Zahl Vier erinnert an die vier Evangelisten; die Drei ist das Symbol der Dreifaltigkeit und die Sieben spielt eine Rolle in der hebräisch-christlichen Symbolik.



MARTYRION UND BASILIKA

Der mit solcher Sorgfalt und Feinheit ausgeführte Bau ließ vermuten, dass es sich um eine große Pilgerkirche handelte, ein bedeutendes Heiligtum. Professor Verzone bezeichnete sie als „Martyrion“, als Märtyrerkirche des heiligen Philippus, und er vermutete, dass sie über dem Grab des Heiligen errichtet worden war. So ließ er im Bereich des Hochaltars graben, fand aber nie etwas, was auf ein Grab hindeutete.

„Auch ich dachte“, so Professor Francesco D’Andria, „dass sich das Apostelgrab im Bereich jener Kirche befinden müsse. Doch als ich im Jahr 2000 Direktor dieser italienischen archäologischen Forschungsgruppe in Hierapolis wurde, änderte ich meine Meinung. Schließlich waren alle bisherigen Ausgrabungen nach so vielen Jahren ergebnislos geblieben. Es musste an anderer Stelle gesucht werden.“

Professor D’Andria und seine Mitarbeiter werteten eine Reihe von Satellitenaufnahmen aus. Da ging ihnen auf: Das Martyrion, die achteckige Kirche, bildete den Mittelpunkt eines großangelegten religiösen Bezirks. Sie entdeckten eine große Prozessionsstraße, auf der die Pilger von der Stadt bis zur achteckigen Kirche gelangten, dem Martyrion auf der Kuppe eines Hügels. Es gab Reste einer Brücke, auf der die Pilger ein Flusstal überqueren konnten.



EIN PILGERPARCOURS

Vom Fuß des Hügels führten breite Travertinstufen nach oben. Am Fuß der Treppe entdeckten sie ein weiteres oktogonales Gebäude, das nur auf den Satellitenfotos zu erkennen war. Bei Ausgrabungen um dieses Gebäude herum stellten sie fest, dass es sich um eine Thermenanlage handelte. Hier konnten die Pilger sich reinigen, bevor sie den heiligen Philippus im Martyrion auf dem Hügel verehrten, und natürlich auch aus hygienischen Gründen, nach solch anstrengender Reise.

Professor D’Andria fasst zusammen: „Dies war eine erhellende Entdeckung. Wir erkannten, dass der gesamte Hügel als Pilger-parcours mit einzelnen Stationen diente. Nach weiteren Ausgrabungen fanden wir eine zweite Treppe, die direkt zum Martyrion führte. Auf dem Platz neben dem Martyrion gab es einen Brunnen, wo die Pilger sich noch einmal waschen konnten. Gegenüber dem Martyrion gab es eine ebene Fläche mit Spuren von Gebäuden. Professor Verzone wollte hier wegen der riesigen Anhäufung von Steinen keine Ausgrabungen vornehmen. Wir haben im Jahr 2010 ein wenig sauber gemacht – da kamen

äußerst wichtige Dinge zum Vorschein: Ein Architrav (Querbalken) aus Marmor von einem Ziborium, mit einem Monogramm, auf dem der Name Theodosius zu lesen war. Wir entdeckten Spuren einer Apsis. Nach weiteren Grabungen und Säuberungen zeigte sich der Grundriss einer großen Kirche. Während das Martyrion oktogonal angelegt war, war es hier der Grundriss einer dreischiffigen Basilika. Eine wundervolle Kirche: Marmorkapitelle, ausgesuchte Dekorationen, Kreuze, durchbrochene Chorschranken, Friese, florale Verzierungen, stilisierte Palmen in den Nischen und ein Fußboden aus Marmorintarsien mit geometrischen Farbmustern. Alles war dem fünften Jahrhundert zuzuordnen, wie das Martyrion. Doch im Mittelpunkt dieser herrlichen Anlage, die uns beeindruckte, war etwas, das uns verblüffte. Uns stockte der Atem.“



DAS GRAB DES PHILIPPUS

Mit bewegter Stimme fährt Professor D’Andria fort: „Wir sahen ein typisch römisches Grab, bis ins erste christliche Jahrhundert zurückreichend. Sicher, in dieser Zone gab es eine römische Grabanlage, bevor die Christen ihr protobyzantinisches Heiligtum errichteten. Doch dieses römische Grab bildete den Mittelpunkt der Kirche, was bedeutet: Die Kirche des fünften Jahrhunderts war genau um jenes heidnische römische Grab herum angelegt worden, um es zu schützen, weil dieses Grab offensichtlich äußerst bedeutsam war. Sofort dachten wir uns, dass dies das Grab sein könnte, in dem der Leib des heiligen Philippus nach seinem Tod beigesetzt wurde.“

Ich fragte Professor D’Andria, ob sich seine Vermutung bestätigt hat. „Aber sicher. Im Sommer 2011 starteten wir eine großflächige Ausgrabung dieser Zone, die unsere Vermutungen voll bestätigten. Das Grab war umgeben von einem Aufbau mit einer Plattform, erreichbar über eine Marmortreppe. Durch den Narthex, den Vorraum der Kirche, traten die Pilger ein, stiegen zum Grab empor, verweilten hier im Gebet und stiegen auf der anderen Seite wieder hinunter. Die Marmorstufen sind völlig abgetreten durch die Abertausenden Besucher, demnach wurde das Grab außerordentlich stark verehrt.“

Auf der Frontseite des Grabes, rings um den Eingang, sind Löcher von Nägeln zu sehen, die dazu dienten, eine Schließvorrichtung aus Metall zu befestigen. Zudem gibt es Schleifspuren auf dem Boden, die eine weitere Holztüre vermuten lassen. All das sind Hinweise dafür, dass in jenem Grab ein wertvoller Schatz aufbewahrt wurde, eben der Leib des Apostels. Außen auf den Mauern sind zahlreiche Kreuze eingeritzt, womit gewissermaßen das heidnische Grab geheiligt wurde. Bei weiteren Grabungen neben dem Grab wurden Wasserbecken zum individuellen Eintauchen entdeckt, die sicherlich für die Heilungen dienten. Die kranken Pilger wurden nach der Verehrung des Grabes in diese Becken getaucht, wie dies heutzutage in Lourdes geschieht.

Herr Professor D’Andria, ich vermute, Sie haben noch einen „Knüller“ im Köcher, den Sie jetzt am Schluss ziehen werden. „Ja, den endgültigen Beweis dafür, dass wir wirklich das Grab des heiligen Philippus entdeckt haben, gibt ein Bronze-Siegel von etwa zehn Zentimetern Durchmesser.



DAS BRONZE-SIEGEL IN DEN USA

Es lagert im Museum von Richmond in den Vereinigten Staaten. Die Bilder auf diesem Siegel konnten bisher nicht gedeutet werden, doch jetzt wird alles sonnenklar. Mit diesem Siegel wurde das Brot des heiligen Philippus markiert, das man an die Pilger verteilte. Es gibt Ikonen, die den heiligen Philippus mit einem großen Brot in der Hand darstellen. So wie es heute das Antoniusbrot gibt, verteilte man damals das Brot des heiligen Philippus. Um es von normalem Brot zu unterscheiden, markierte man es mit jenem Siegel. So wussten die Pilger, es handelt sich um ein besonderes Brot, das ehrfürchtig aufbewahrt werden muss.“

Professor D’Andria, Sie erwähnten Bilder auf diesem Siegel. „Ja, einmal die Figur eines Heiligen mit Pilgermantel und die Inschrift HEILIGER PHILIPPUS. Am Rand verläuft das antike Trishagion auf Griechisch: Agios o Theos, agios ischyros, agios athanatos, eleison imas (Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser). Alle Spezialisten für byzantinische Geschichte, die dieses Siegel kennen, haben immer gesagt, dass es aus Hierapolis stammt.

Jetzt der ‚Knüller‘. Diese Heiligenfigur steht zwischen zwei Gebäuden. Im linken Gebäude mit der Kuppel erkennt man deutlich das oktogonale Martyrion. Das rechte Gebäude hat ein doppeltes Schrägdach, wie das Dach einer dreischiffigen Kirche, die wir jetzt entdeckt haben. Über dem Eingang hängt eine Lampe – das typische Zeichen für das Grab eines Heiligen. Beide Gebäude liegen oberhalb einer Treppe. Es ist fast wie eine Fotografie der damaligen Anlage rund um das Grab des heiligen Philippus, aufgenommen im sechsten Jahrhundert. Demnach ergibt sich bereits aus dem Siegel, dass sich das Grab in der Basilika befand, nicht im Martyrion.“

Nach 55 Jahren Forschungsarbeit wurde 2011 die zweite Kirche mit dem Grab des Philippus entdeckt. Die Nachricht aus Hierapolis lief rund um den Erdkreis. Am 14. November 2011, dem Festtag des heiligen Philippus, feierte der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus, Primas der orthodoxen Kirche, an dieser entdeckten Tomba in Hierapolis die heilige Messe. Professor D’Andria: „Und ich war dabei, tief bewegt wie nie zuvor, auch weil die Gesänge der griechischen Liturgie nach mehr als tausend Jahren in den Ruinen der Kirche erklangen.“



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016