Sicher ist der Tod – Endgültig das Leben

01. Januar 1900 | von

Unzählige Bücher sind über den Tod geschrieben worden und alle großen Denker und Philosophen haben sich mit diesem unseren zentralen Thema beschäftigt. Indes - eine gültige Antwort konnte uns noch keiner darauf geben. Die Frage nach Sterblichkeit und Tod bleibt offen und wird es wohl solange bleiben wie die Menschheit währt. Nur Eines ist sicher - der Tod. Und was allen uns Menschen gemein ist, das ist die Angst vor diesem Ende, die zutiefst menschliche Angst vor dem Tod. Das Unbehagen, das der Gedanke daran in uns hervorruft ist die Gewißheit, daß diese Illusion der Unsterblichkeit mit dem Tod wie im Winde zerstiebt. Meist gelingt es und gut, dies uns nur unbewußt einzugestehen oder zu verdrängen. Wenn aber bei unserer täglichen Zeitungslektüre der Blick in die Todesanzeigen fällt und wir gar einen Bekannten oder Nachbarn darin entdecken...

Furcht und Faszination. Gerade mit zunehmendem Alter wird jeden Tag ängstlich geforscht, ob denn wieder jemand aus meinem Jahrgang oder gar noch ein Jüngerer gestorben ist. Andererseits werden doch von vielen die Meldungen der Massenmedien über Tausende oder Millionen Tote mit einer Gelassenheit hingenommen, die uns eigentlich schaudern lassen müßte. Es läßt sich leider nicht leugnen, daß in gleichem Maße, wie sich der Mensch vor dem Sterbenmüssen fürchtet, ihn der Tod anderer fasziniert. Ich erinnere hier nur an Gewaltexzesse und Schlachtorgien in Trivialliteratur und Filmwelt. Oder an den sogenannten Katastrophentourismus (eine kleine Ortschaft namens Eschede erlebte einen Besucherzustrom ohnegleichen). Oder an die Gaffer, die bei einem Autounfall (je mehr Leichen desto lieber) den Rettungsmannschaften das Leben schwer machen. Kommt hier eine Todessehnsucht zum Vorschein, die sich genauso bei rasenden Jugendlichen, die ihr Leben leichtfertig aufs Spiel setzen, nicht abstreiten läßt?
Katastrophen wie die in Pompeij (79 n.Chr.) oder menschlicher Wahnsinn wie in Hiroshima oder Auschwitz werden als sensationelle, superlative geschichtliche Fakten gehandelt, sind aber doch nichts anderes als ein unvorstellbares Abstraktum. Zum Glück sehr weit weg, wiewohl sie uns doch mahnen sollten, die Toten nicht nur in einem mathematischen Gefüge aufzulisten.

Kein Platz für den Tod. Wann ist man denn überhaupt tot, wann ist diese absolut Ganze und Letzte denn erreicht? Mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten von lebensrettenden Organtransplantationen und künstlicher Lebensverlängerung ist die Antwort auf diese Frage unumgänglich geworden. Aus medizinischer Sicht müssen demnach eine oder zwei der nachfolgenden Bedingungen erfüllt sein: Ein Mensch ist tot, wenn er einen irreversiblen Herzstillstand erleidet, also keine Blutzirkulation mehr stattfindet (Herz-Kreislauf-Tod) oder ein irreversibler Funktionsausfall des Gehirns vorliegt (zerebraler Tod). Soweit die offizielle Version. Vom Biologischen her wird die Frage hingegen schon wieder schwierig, da die Organe unterschiedlich schnell absterben! Daß wir auch hier schnell wieder an unser menschlichen Grenzen stoßen, spiegelt die Tatsache wider, daß es trotz aller medizinischer Fortschritte und Technologien nicht gelungen ist, die Sinnfrage des Daseins zu lichten und den Tod seiner Unheimlichkeit und Unausweichlichkeit zu entkleiden. Fatalerweise: Der Fortschritt der Erkenntnis steigert das Nichtwissen in den Grundfragen (Karl Jaspers, Philosoph). Der Tod wird nicht als natürliches Finale angesehen, sondern eher noch als ein Versagen der ärztlichen Kunst beklagt. Der Tod, für den wir einfach keinen Platz finden in unserer durchorganisierten Maschinerie Leben. Schon immer hat der Mensch von der Unsterblichkeit geträumt, nach lebensverlängernden Mitteln getrachtet, krampfhaft sich an das diesseitige Leben klammernd, um dem Tod doch noch ein Schnippchen zu schlagen. Rein gar nichts hat er bis jetzt erreicht. Gott sei Dank. Künstlich erschaffene und am Leben erhaltene Homunkuli wie der des Frankenstein beflügeln seine Phantasie und läßt ihn schmachtenden Blickes auf die Unsterblichkeit schielen. Neue Hoffnung keimt jetzt auf, da uns die Wissenschaft eine Lebensverlängerung auf mindestens hundert Jahre für das nächste Jahrhundert in Aussicht stellt... Wird doch von den meisten Menschen heute als oberste Prämisse ein Leben geradezu eingefordert, das ausgefüllt über alle Maßen, intensiv und lang zu sein hat. Daß dieses Leben nur ein (schnell) vorübergehendes ist und in ein Leben nach dem Tod übergeht, rückt immer mehr aus (wenn es denn je drin war) dem Bewußtsein. Und dies obwohl doch in nahezu allen Kulturen und Religionen (ob Naturreligionen oder die großen Weltreligionen) der Tod nur als Teil-Ende des menschlichen Daseins angesehen wird.

Rituale des Todes. Die Totenkulte quer durch alle Kulturen sind zu vielfältig, als daß sie sich hier auch nur annähernd aufzählen ließen. Gemeinsam ist ihnen aber, daß durch sie böse Geister abgewehrt werden müssen (in diversen Naturreligionen so üblich) oder, verallgemeinernd formuliert, Sorge für das Wohl des Verschiedenen getragen werden muß.
Da gibt es ungezählte Varianten an Formen der Bestattung – die Toten werden eingekleidet, geschmückt, einbalsamiert, mumifiziert und vieles mehr. Genauso vielfältig ist die Trauerarbeit, die geleistet wird, die Riten und Kulte, die um den Toten betrieben werden. Hügelgräber oder Totenhäuser werden errichtet, Gedenktafeln oder Grabinschriften angebracht. Aber alles nur mit dem einen Ziel: Das Andenken an den Toten soll gewahrt bleiben. Schließlich soll er nicht gänzlich aus dem Leben der Zurückgelassenen verschwinden. Gleichzeitig wird zum Ausdruck gebracht: Der Tod bedeutet zwar den Verlust der Welt, die Seele aber verweist auf das Jenseits. Die Ergebenheit einer Gottheit gegenüber kann so groß sein, daß Menschenopfer dargebracht wurden. Ein für unser christliches Verständnis ungeheurer Vorgang, genauso wie die bis spät in unser Jahrhundert übliche Witwenverbrennung in Indien oder etwa die chinesische Praxis, daß der ganze Hofstaat dem gestorbenen Herrscher in den Tod folgen mußte, um ihm den Übergang in ein neues Leben mit allen Annehmlichkeiten zu ermöglichen.
Das Leben im Diesseits bestimmt oft auch dasjenige im Jenseits. Der Indianer geht in die ewigen Jagdgründe ein. Die Germanen hingegen stehen vor Odin im vielgepriesenen Walhalla. Im Islam bedarf es der Fürsprache des Propheten Mohammed bei Allah als dem obersten Richter. Dies steht unserem Verständnis natürlich sehr viel näher als der Brauch, den die Hindus im indischen Varanasi am Westufer des Ganges betreiben. Dies ist einer der heiligen Orte der Hindus, wo man sterben und die Asche des verbrannten Leichnams in den Ganges streuen soll. Eine Zeremonie, die für viele Inder zu teuer ist, so daß unzählige Leichen einfach dem Fluß überlassen werden, sehr zur Freude abertausender lauernder Geier.

Unterwegs zum Ziel. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Dieser Satz aus dem Munde Christi prägt unser Verhältnis zum Tod. Erst durch seine Erlösung ist die Menschheit aus ihrer todbringenden Erbsünde befreit worden. Sie gibt uns die Möglichkeit eines paradiesischen ewigen Lebens. Nicht die Garantie von vornherein, denn die müssen wir uns sozusagen erst erarbeiten. Vielleicht sollte man als einer von diesen Sterblichen das Leben als eine Art von Weg begreifen, auf dem wir wandern und den Tod als Ziel des Wanderers.

Es kann natürlich möglich sein, daß wir bisweilen eine Rast benötigen, weil wir das Ziel vor Erschöpfung nicht mehr zu erreichen scheinen. Manchmal lauert uns gar ein Raubtier auf, oder wir vermeinen es herannahen zu hören. Dieses Raubtier kann die Angst vor einer tödlichen Krankheit sein. Nach Herz-Kreislauferkrankungen ist statistisch gesehen der Krebs Todesursache Nummer zwei in unserem Land. An erster Stelle jedoch steht der Angstfaktor, der mit dieser Krankheit einhergeht. Wenn die Diagnose Krebs gestellt wird, stürzt der Betroffenen regelrecht aus seinem alltäglichen Leben heraus, Urängste werden wahr, denn Krebs wird mit Tod gleichgesetzt (was natürlich nicht der Realität entspricht, die Heilungschancen haben sich die letzten Jahre erheblich verbessert). Hilflos und überfordert steht der Patient wie unter Schock und muß sich jetzt aktiv und zwangsläufig mit etwas auseinandersetzen, was er immer gerne verdrängt hat: Seine eigene Begrenztheit, sein vielleicht baldiger Tod. Und er wird vielleicht auf etwas stoßen, was ihm bis dato nicht ins Bewußtsein gerückt war.

Humanes Sterben? Wenn er mit seiner ganz normalen Reaktion Angst mit seinem Schicksal hadert, auf sein Leben zurückblickt, vielleicht wieder oder erstmals zu Gott findet und sich um seine Zukunft sorgt, wird er feststellen, daß der Tod in Krankenhäusern und hinter Statistiken versteckt wird. Während es früher gang und gäbe war, daß ein alter Mensch - wenn die Zeit denn soweit war - in vertrauter Umgebung seines Zuhauses inmitten seiner Familie sterben konnte, so ist es heutzutage leider so, daß 80 Prozent aller Tode im Krankenhaus stattfinden. Die Gewährleistung der Versorgung und medizinischer Hilfe stand langezeit einsam im Vordergrund und nicht unbedingt die Gefühlswelt des Sterbenden. Spätestens seit die sogenannte Sterbebegleitungsforschung herausgefunden hat, wieviel ein Mensch selbst im Koma von seiner Umgebung noch wahrnimmt und von welch unschätzbarer Bedeutung die Umgebung und Zuwendung für einen sterbenden Patienten ist, beginnt ein Umdenken. Immer mehr stationäre Hospize (das sind Einrichtungen, in denen die Begleitung der letzten Lebenszeit in angenehmer räumlicher Umgebung möglich gemacht werden soll) entstehen. Auch ambulante Sterbehilfe in zahlloser Menge gibt es inzwischen, in denen sich so manche Prominente und eine idealistische Schar von namenlosen Helfern engagiert, um das Sterben des Einzelnen humaner zu gestalten. Die Zuwendung oder das einfache Nur-dasein soll die Zeiten vergessen machen, in denen etwa im letzten Krieg sterbende Soldaten ganz einfach in die nächste Abstellkammer geschoben wurden. Das Thema des menschenwürdigen Sterbens ist natürlich auch eng mit der Problematik der Sterbehilfe verbunden. Um klärend in diese Diskussion einzugreifen, haben jetzt jüngst die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz eine Christliche Patientenverfügung vorgestellt. In dieser Broschüre wird auch dargelegt, daß es aus christlicher Sicht zwar einen Anspruch auf menschenwürdiges Sterben, aber kein Recht auf Tötung gebe. Die Manie des Menschen, sich erlösen zu wollen oder Erlöser zu sein, ist groß. Bereits in der Apokalypse ist diese Anmaßung zum Scheitern verurteilt!

Kunst des Lebens. Vielleicht hilft uns ja ein Wort des heiligen Franziskus von Assisi, der in der Todesstrophe seines Sonnengesangs liebevoll vom Bruder Tod spricht. Die Kunst des Sterbens, so ein in der Sterbehilfe engagierter Seelsorger, hat viel mit der Kunst des Lebens zu tun. Auch wenn ich eigentlich bereits dem Sterben geweiht bin, denn in hundert Jahren wird von mir nur noch eine Handvoll Staub übrig sein - das Leben jetzt ist wunderbar. Danken wir Gott für jeden Tag, den wir erleben dürfen. Dann wird uns der Gedanke an den Tod nicht so schwerfallen.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016