Tempelfest in Deutschland

06. Juni 2005

Der Hinduismus war in Deutschland lange Zeit nur durch die Krishna-Mönche bekannt. Doch vor zwei Jahren entstand im westfälischen Hamm der größte Hindu-Tempel Kontinentaleuropas. Bedeutet dieser neue Kristallisationspunkt der indischen Weltreligion eine wachsende deutsche Anhängerschar? Eher nein. In diesem Tempel beten tamilische Migranten…

Der im Westen bekannteste Hindu dürfte Mahatma Gandhi sein, der mit seinem gewaltlosen Widerstand dazu beitrug, die Kolonialherrschaft der Engländer in Indien zu beenden. Der Hinduismus als eine der großen alten Weltreligionen hat seine Ursprünge in eben diesem Indien und reicht in seiner Entstehung bis etwa ins 3. Jahrtausend vor Christus zurück. Sogenannte arische Einwanderer (dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem von den Nationalsozialisten propagierten “Ariertum“) kamen um diese Zeit nach Nordwestindien und verbanden als neue Herrscher des Landes ihre Kultur und Religion mit der vorherrschenden Kultur der dort lebenden Völker. Das Entstehen des Hinduismus ist also nicht auf einen konkreten “Religionsstifter“ zurückzuführen, wiewohl natürlich im Laufe der Zeit herausragende Persönlichkeiten wie zum Beispiel Rabindranath Tagore, der 1913 den Literaturnobelpreis verliehen bekam, ihn geprägt und weiterentwickelt haben.

 

Zentrum in Hamm. In Deutschland leben ungefähr 90.000 Hindus, davon sind etwa 40.000 indische Hindus, rund 45.000 Tamilen - Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka- und eine kleinere Gruppe aus Afghanistan. Der wichtigste hinduistische Tempel steht heute in Hamm in Nordrhein-Westfalen und wird von Tamilen unterhalten. Ein Umstand, der darauf zurückzuführen ist, dass die Tamilen im Unterschied zu den indischen Hindus aus ganz anderen Gründen in Deutschland leben. Aus Not mit ihren Familien geflüchtet, fehlte ihnen die gewohnte religiöse Praxis und es entstand das verständliche Bedürfnis, in der Fremde ihre Religion gemeinschaftlich auszuüben, auch um kulturellen Identitätsverlust zu vermeiden. Die indischen Hindus sind in der Mehrzahl eher Studenten oder entstammen der Mittelschicht. Sie leben aus beruflichen Gründen und freiwillig für eine Zeit in Deutschland. Auf diesem Hintergrund scheint bei ihnen das Bedürfnis nach Gemeinschaft im Glauben eher geringer zu sein. Der Hindu-Tempel in Hamm ist der größte in Europa, sieht man einmal von Großbritannien ab, in dem durch seine historischen Beziehungen zu Indien eine große Zahl indischer Hindus leben.

 

Erste Berührungspunkte. Der Bau des Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in Hamm rief in den 90-er Jahren durchaus auch ablehnende deutsche Stimmen hervor, die sich (zum Teil leider rassistisch) einer solchen (steinernen) Manifestation hinduistischer Religion widersetzen wollten. Dabei mögen wiederum Ängste eine Rolle gespielt haben wie auch Unkenntnis über den Hinduismus als Religion. Außer der Hare-Krshna-Bewegung, die vielleicht noch einigen bekannt ist und deren Ursprung ebenfalls im Hinduismus zu suchen ist, gab es im Alltag der Deutschen bis zu dem Ankommen der Flüchtlinge aus Sri Lanka wenig Berührungspunkte mit dieser Religion. Das Kastenwesen und das Vorhandensein vieler Götterstatuen gehören wohl zu den wenigen Assoziationen, die man gemeinhin mit dem Hinduismus verbindet. Das liegt zum Teil auch daran, dass manche Hindus glauben, dass sie ihr Gesetz (Dharma) nur in Indien wirklich leben können und das Überschreiten dieser Grenze sie unrein mache. Dennoch haben natürlich andere Hindus diesen Schritt getan und mit Wiwekananda, einem hinduistischen Asket, der 1893 am Weltkongress der Religionen in Chicago teilnahm, kam der Hinduismus in Kontakt mit der westlichen Welt.

Wiedergeburt und Reinheit. Die religiösen Vorstellungen eines Hindu werden vor allem von den so genannten “Veden“, den heiligen Schriften, geprägt. Er versteht sein Leben als einen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt bis zur Erlösung (Mokscha) der Seele, im Hinduismus Atman genannt. Ganz unterschiedliche Götter (z.B. Vishnu) werden verehrt oder auch Göttinnen wie jene Sri Kamadchi Ampal, die Göttin “mit den Augen der Liebe“, zu deren Ehre der Tempel in Hamm errichtet wurde. Graduell unterschiedlich wird im Hinduismus dabei die Frage beantwortet, ob nicht diese verschiedenen Götter “nur“ vielfältiger Ausdruck einer einzigen, dahinter stehenden göttlichen Macht sind, es sich –vorsichtig gesagt – doch um eine quasi monotheistische Vorstellung handelt.

Im praktischen religiösen Leben der Hindus spielt die Frage der Reinheit und der Angst vor Unreinheit eine große Rolle. So gilt zum Beispiel der Kontakt mit Blut oder Abfall als verunreinigend. Auf diesem Hintergrund ist auch die Kaste der “Unberührbaren“ zu verstehen. In der altindischen Zeit gab es “nur“ die vier Varnas: Brahmanen (Priester, Geistesarbeiter), Ksatriyas (Herrscher, Verwalter, Krieger), Vaisyas (Bauern, Kaufleute), Sudras (Handwerker). Von den arischen Eroberern zu “verunreinigender“ Arbeit (z. B. dem Berühren toter Tiere) gezwungen, entstand aus der ursprünglich ansässigen Bevölkerung jene Gruppe, die gesondert von den anderen leben musste, um eben eine solche, auch spirituelle “Verunreinigung“ zu vermeiden. Im 20. Jahrhundert hat Gandhi die Angehörigen dieser Kaste dann als Harijans (Kinder des Himmels) bezeichnet. Im modernen Indien, das heißt in seinen Großstädten und vor allem in der Mittelschicht und in intellektuellen Kreisen, spielt dieses im Laufe der Jahrhunderte streng ausgebildete Kastenwesen wohl keine wesentliche Rolle mehr, - anders als in ländlichen Bezirken. Ganz abgesehen davon, dass in Indien seit 1950 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gilt.

Prozession zur Göttin. Zur religiösen Praxis gehören auch die so genannte puja, also die täglichen Verehrungen der Götter im Tempel. Der Tempel in Hamm bietet seinen Gläubigen dreimal am Tag diese Möglichkeit wie auch das Feiern der Jahresfeste des Hinduismus. Wichtigstes Fest ist dabei wohl das Tempelfest, an dem die Göttin den Tempel auf einem festlichen geschmückten Wagen umrundet. So finden die tamilischen Hindus dort eine Möglichkeit, fern ihrer Heimat ihren Glauben zu leben und bereichern damit auch die religiöse Vielfalt in Deutschland.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016