Umgeben von guten Mächten

25. Januar 2006

In dieser neuen Reihe stellen wir Menschen vor, die für ihren Glauben an Gott das eigene Leben opferten – eben Zeugen, Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Einer von ihnen war Dietrich Bonhoeffer, der Autor der bekannten Zeilen „Von guten Mächten treu und still geborgen …“. Noch im April 1945 wurde er von den Nationalsozialisten hingerichtet.


Hundert Jahre wäre er alt geworden am 4. Februar 2006. Doch mit nur 39 Jahren wurde der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer von einem SS-Gericht zum Tode verurteilt und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. Eine kurze Lebensspanne, die jedoch in ihrer Bedeutung für die evangelische Kirche, für alle Christen und für ganz Deutschland ausstrahlt bis in die Gegenwart.

Spät rehabilitiert. Aus einer bildungsbürgerlichen Familie in Breslau stammend, entscheidet sich der junge Dietrich Bonhoeffer zum Studium der Theologie. In Berlin wird er 1927 mit der Arbeit: „Sanctorum communio. Eine Untersuchung zur Soziologie der Kirche“ promoviert. Sanctorum communio bedeutet Gemeinschaft der Heiligen. Jahre später soll er selbst zum „Heiligen“ werden, zum Blutzeugen für seinen Glauben. Jedoch tat sich seine eigene Kirche noch nach der Nazidiktatur schwer mit ihm und wusste zunächst nicht so recht, wie sie ihn einschätzen sollte, „nur“ als politischen Widerstandskämpfer oder als christlichen Märtyrer. Staatliche Stellen benötigten gar bis 1996, um den Theologen und Pastor formell zu rehabilitieren und das Todesurteil für rechtswidrig und ungültig zu erklären.
Schon wenige Tage nach der Machtergreifung Hitlers hielt Dietrich Bonhoeffer eine deutliche Rede im Rundfunk (die daraufhin abgebrochen wurde), in der er das Führerprinzip der NS-Ideologie kritisierte. Geprägt durch Auslandserfahrungen als Vikar in Barcelona, aber vor allem durch einen einjährigen Studienaufenthalt 1930 in New York, der ihm die überragende Bedeutung der Bergpredigt deutlich machte, wurde sein Glaube tiefer und gleichzeitig politischer. Sinngemäß soll Bonhoeffer über diesen Aufenthalt in den Gemeinden von Harlem gesagt haben: „Als Theologe bin ich dorthin gefahren, als Christ kam ich zurück.“

Reisen und Rückkehr. Privatdozent an der Universität Berlin, Betreuung der deutschen Gemeinde in London, Rückkehr nach Deutschland und Übernahme der Leitung des Predigerseminars der „Bekennenden Kirche“ in Berlin-Brandenburg kennzeichnen die darauf folgenden Jahre von 1931 bis 1937. Die Nationalsozialisten entziehen ihm 1936 die Lehrerlaubnis, 1937 wird das Predigerseminar geschlossen. Aus Berlin verwiesen, knüpft Bonhoeffer 1938 über seinen Schwager Hans von Dohnany erste Kontakte zu deutschen Widerstandskämpfern und  reist 1939 erneut in die USA zu Vorträgen. Alle Versuche, ihn dort zu halten, lehnt er ab. Er hat sich entschieden: Sein Platz ist in seiner Heimat, dort wo er sich gebraucht fühlt.

Mit den Juden schreien. Dass er sich mit seiner Rückkehr großen persönlichen Gefahren aussetzt, ist Dietrich Bonhoeffer klar. Längst steht er auf der Verdächtigenliste der Nazis, was er redet und tut, wird mit Argwohn betrachtet. Aber in dieser Zeit vollzieht sich für ihn eine Wende: Waren seine Beziehungen zum Widerstand bisher eher von „Mitwisserschaft“ geprägt, so gelangt er nun in den inneren Zirkel der Gruppe um Admiral Canaris. Er wird aktiv und ist dank seiner vielfältigen Auslandsbeziehungen für die Widerständler von unschätzbarem Wert. Auch wenn er bereits 1933 der Überzeugung war, dass es möglicherweise richtig sei, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“, scheint sich dies jetzt zur Gewissheit gewandelt zu haben.
Dietrich Bonhoeffer bleibt dabei zu keiner Zeit von Zweifeln und Ängsten verschont. Die Frage nach der Legitimation des „Tyrannenmordes“ bedrängt ihn. Sein Gewissen erkennt ausdrücklich das unbedingte Tötungsverbot an, unabhängig von Situationen und Gegebenheiten. So nimmt er es bewusst auf sich, schuldig zu werden, sich „die Hände schmutzig zu machen“. Jede Beurteilung über sein Tun und Lassen überlässt er Gottes großer Barmherzigkeit und Gnade.
Aus theologischer Sicht vollzieht sich für ihn in diesen Jahren eine Wende. „Diesseitigkeit“ prägt seine Auffassung von Religiosität; diesseitig insofern, als er glaubt, im Leben und Handeln, im Erleiden und Erfahren des profanen Lebens Christ zu sein und werden zu müssen. Die Kirche darf also nicht zum Sonderraum für religiöse Bedürfnisse werden, die mit dem übrigen Leben nichts gemein zu haben scheinen. So ist seine Kritik an seiner Kirche, die sich möglichst aus den politischen Fragen seiner Zeit heraushalten will, deutlich und scharf. „Wer nicht mit den Juden schreit, darf auch nicht gregorianisch singen“, dieses Wort von ihm (bereits aus 1935) wird nun immer klarer.

Ende, nein Beginn. Am 5. April 1943 wird Bonhoeffer von der Gestapo verhaftet unter dem Vorwurf der „Wehrkraftzersetzung“. Es folgen Gefängnisaufenthalte im Militärgefängnis in Berlin-Tegel, im Gestapogefängnis in Berlin und im KZ Buchenwald. Im Gefängnis in Tegel entsteht Bonhoeffers wohl berühmtestes Buch „Widerstand und Ergebung“, das zahlreiche Briefe enthält, u.a. an Maria von Wedemeyer, mit der er sich im Januar 1943 verlobt hatte. Seine Texte aus der Haftzeit zeugen von einer ungeheuren inneren Gelassenheit und Stärke, um die er aber – wie wohl jeder Mensch – immer wieder ringen muss. Auch von depressiven Phasen bleibt er nicht verschont. Bekannt und vielfach vertont ist das Gedicht aus seiner KZ-Zeit: „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“
Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 kann ihm die Gestapo seine Widerstandstätigkeit nachweisen. Auf persönlichen Befehl Hitlers wird er gemeinsam mit Admiral Canaris und General Oster am 9. April 1945 zum Tode durch den Strang verurteilt. Noch am gleichen Tag werden die Gefangenen hingerichtet, nackt, zur eigenen Demütigung und zur Belustigung der Henker. „Das ist das Ende“, soll der Henker ihm gesagt haben. Dietrich Bonhoeffer darauf: „Das ist der Beginn.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016